Die Tiroler Unternehmerin Martha Schultz (ÖVP) übernimmt ab Samstag geschäftsführend die Agenden des zurückgetretenen Harald Mahrer in der Wirtschaftskammer Österreich und im ÖVP-Wirtschaftbund. Das teilte der Wirtschaftsbund am Freitagnachmittag via Aussendung mit. Zuvor hatten sich dessen Landespräsidentinnen und -präsidenten beraten. In der Wirtschaftskammer wird Schultz amtsführende Präsidentin, im ÖVP-Bund geschäftsführende. Schultz gilt in der Volkspartei als gut vernetzt. Die 62 Jahre alte Touristikerin war bereits Vize von Mahrer.
Mahrer musste Hut nehmen
Mahrer musste seinen Hut nehmen, hatte den Rückhalt in den eigenen Reihen verloren. Grund waren Gehaltserhöhungen für die Kammermitarbeitenden deutlich über der Inflation, sehr hohe Steigerungen bei den Entschädigungen für Präsidiumsmitglieder in den Wirtschaftskammern und eine einhergehende missglückte Kommunikation. Dazu kam Kritik an Mahrers Mehrfachbezügen. Es reichte nicht, dass er seinen Rückzug als Nationalbank-Präsident ankündigte, schlussendlich musste er die Funktionen als WKÖ- und Wirtschaftsbundchef niederlegen. Der Wirtschaftsbund ist eine wichtige Teilorganisation der Volkspartei.
Unterdessen wurden die Rufe nach Reformen in der Kammer lauter. Sie müsse schlanker und günstiger für die Mitgliedsbetriebe werden, forderte die Industriellenvereinigung (IV) am Freitag. Mit einem Wechsel an der Spitze sei es nicht getan, so IV-Präsident Georg Knill am Freitag. Es brauche eine starke, aber schlankere Wirtschaftskammer im Kammersystem.
Knill zollte Mahrer Respekt für dessen Arbeit und auch dessen Rückzug, den dieser am Donnerstag via Video angekündigt hatte, nachdem der Druck auf ihn aus den eigenen ÖVP-Reihen zu stark geworden war - Stichwort: Gehälter in der WKÖ, Entschädigungen für Präsidiumsmitglieder, eigene Doppelbezüge und eine missglückte Kommunikation dazu. Die Ereignisse der vergangenen Tage hätten das Fass zum Überlaufen gebracht, so Knill. Aufgrund der schon allzu lange anhaltenden, tristen wirtschaftlichen Lage habe sich über Jahre viel Frust bei den Kammer-Pflichtmitgliedern aufgestaut.
"Rücktritt kein Schlusspunkt"
"Der Rücktritt ist kein Schlusspunkt sondern die Chance für einen notwendigen Neuanfang", sagte der Industriepräsident. Es gehe um Strukturen, nicht Personen. "Es geht um Verantwortung und die Frage, wie wir die Wirtschaft und Industrie gemeinsam und mit Nachdruck vertreten wollen." Mit einer "starken Modernisierung - schneller, schlanker und mit gezielten Entlastungen für die Betriebe" könne die Wirtschaftskammer nicht nur handlungsfähig bleiben sondern wieder Vertrauen zurückgewinnen und ihrem Auftrag der Unternehmensvertretung stärker nachkommen. "Es muss stärker im Interesse der Unternehmen gearbeitet werden."
Das Präsidium der Industriellenvereinigung hat eigene Reformvorschläge erarbeitet. Diese will man laut Knill "zeitnah" mit der Kammerspitze diskutieren - und freilich einiges davon durchbringen. Die IV ist kein "echter" Sozialpartner, sondern ein freiwilliger Verein für Österreichs eher größere (Industrie-)Betriebe.
Beiträge einfrieren und bis 2029 um 30 Prozent senken
Alle Beiträge sollen sofort eingefroren werden, und bis 2029 gegenüber dem aktuellen Stand um 30 Prozent (ab 2027 jährlich je minus zehn Prozent bei den Kammerumlagen 1 und 2) sinken. Ein Anhäufen von Rücklagen gehöre beendet, nach einer Analyse könnten Teile der Rücklagen auch der Beitragssenkung bzw. der Kammerarbeit dienen. Es werde sich zeigen, ob Teile der über zwei Milliarden Euro schweren Rücklagen verwendbar seien.
IV pro Sozialpartnerschaft, nicht gegen WKÖ-Pflichtmitgliedschaft
Die Pflichtmitgliedschaft selbst will Knill nicht angreifen, die Kammer müsse aber mehr dafür tun, dass diese nicht so stark hinterfragt werden, wie von manchen Unternehmern derzeit. Knill sprach sich auf Journalisten-Nachfragen auch gegen Initiativen aus, Beiträge einfach einzubehalten. Das sei letztlich auch nicht gesetzmäßig. Erarbeitet gehöre eine "neue unbürokratische Bemessungsgrundlage für die Kammerumlagen". Strukturen sollen "zeitgemäß" umgestaltet werden. Hier sei vieles vorstellbar und gehöre besprochen.
"Wir dürfen uns nur nicht länger mit Stillstand zufrieden geben", sagte Knill. "Die Kammer muss gestalten, nicht verwalten." Mit Absenkungen von Beiträgen und mehr Service könne man dann gegebenenfalls auch Vorbild für andere Sozialpartner sein - und vor allem selber eine starke Wirtschaftsvertretung innerhalb der Sozialpartnerschaft, die seitens der IV nicht angezweifelt werde. Jedenfalls solle die Berechnung der Beiträge besser nachvollziehbar und transparenter werden.
Die Fragen der Gehälter- bzw. Präsidium-Entschädigungserhöhungen müsse die Wirtschaftskammer selber klären. Die Kammerspitze müsse schauen, was hier gegenüber den "Zwangsmitgliedern" vertretbar sei. Anderen Kammern wolle man nicht dreinreden oder Empfehlungen geben, die Wirtschaftskammer sei die Kammer, der die IV-Betriebe angehören.
Anderl: Sozialpartnerschaft funktioniert auf vielen Ebenen
Das Kammersystem und die Sozialpartnerschaft greift die Industriellenvereinigung nicht an, während FPÖ-Chef Herbert Kickl am Freitag in einer Aussendung einmal mehr ein "Ende des Kammerstaats" forderte. Am Donnerstag sah SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer die Sozialpartnerschaft wegen der Krise in der Wirtschaftskammer vorübergehend geschwächt. AK-Präsidentin Renate Anderl hielt auf Anfrage der APA zur Lage der Sozialpartnerschaft fest: "Die Sozialpartnerschaft funktioniert auf vielen Ebenen, in den Ländern, Branchen, Betrieben. Ich bin davon überzeugt, dass das auch weiterhin so sein wird. Wir alle in der Sozialpartnerschaft haben ein gemeinsames Interesse: Österreich zu einem guten Ort für die Mitarbeiter:innen, Betriebe und Unternehmen zu machen."
Große sollen in WKÖ mehr Macht bekommen
Mehr Mitspracherecht sollen in Zukunft, geht es nach der IV, große Mitgliedsbetriebe in der Wirtschaftskammer bekommen. Denn diese bezahlten am meisten. Auf Nachfrage sagte Knill: "Ein Prozent der Betriebe zahlen 28 Prozent der Beiträge." Da diese großen Firmen aus den Bereichen Einzelhandel, Industrie und Finanzdienstleistungen mehr zahlten, sei "mehr Gehör für diese nur fair". Nicht nur dahingehend gehöre das Wahlrecht reformiert, das viele Wirtschaftskammer-Kenner als undurchschaubar bezeichnen.
(Quelle: apa)






