Es fehlen Studien zu wirksamen Behandlungsformen und ein Kriterienkatalog, um Vernachlässigung festmachen zu können, hieß es bei einer Pressekonferenz der Österreichischen Kinderschutzzentren.
Emotionale Vernachlässigung oft übersehen
"Oft wird der Fokus auf die körperliche Vernachlässigung von Kindern gerichtet, weil hier schnell geholfen werden kann. Die erzieherische, kognitive und emotionale Vernachlässigung kommt aber in der öffentlichen Wahrnehmung und sogar auch in der Forschung zu kurz", sagte Petra Birchbauer, Vorsitzende im Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren. Das Fehlen an Studien und Leitfäden zum Thema Kindesvernachlässigung belaste damit auch Personen, die im Fachbereich arbeiten, meinte die Expertin: "Weil keine Kriterien vorhanden sind, wonach sie diese Kindeswohlgefährdung einschätzen und festmachen können." Die Erarbeitung eines klaren Kriterienkataloges soll deshalb auch ein Kernpunkt bei der Zweiten Kinderschutztagung am 12. und 13. Mai in Wien sein.
Psychologin fordert mehr Fokus auf Ursachen
Um Kindesvernachlässigung sichtbarer zu machen, gelte es vor allem, den Blick zu verändern: "Weg von den offensichtlichen Auswirkungen, wie etwa den schmutzigen Böden in den Wohnungen, der schlechten Kleidung der Kinder, und hin zu den Ursachen - der Bindung zwischen Eltern und Kindern", meinte die klinische Psychologin Renate Doppel. "Wir neigen dazu, Oberflächenkosmetik zu betreiben." Den Familien könne aber aus der Distanz nicht geholfen werden: "Man muss in die Wohnungen der Menschen gehen und sie dort abholen, wo sie stehen und die Ängste am besten bewältigt werden können."
Arbeit mit betroffenen Familien schwierig
Emotionale Vernachlässigung spiele sich in den privaten Innenräumen ab, die Eltern hätten oft wenige soziale Kontakte, lebten zurückgezogen in ihrer häuslichen Umgebung. "Die Schule und der Kindergarten bekommt oft nichts mit", erklärte Doppel die Schwierigkeit bei der Arbeit mit betroffenen Familien. "Vernachlässigte Familien sind für Außenstehende außerdem oft schwer zu verstehen. Menschen, die Probleme mit Aggression haben, sind uns besser vertraut und wir wissen eher mit ihnen umzugehen."
Kinder entwicklungsgerecht behandeln
Wenn Experten Kindesvernachlässigung früh erkennen, kann den betroffenen Kindern oft gut geholfen werden, Bindungsmuster zwischen Eltern und Kindern können etwa im Rahmen einer Therapie wieder hergestellt werden. "Viele der Veränderungen, die auch im Gehirn stattgefunden haben, sind reversibel", sagte die Neurobiologin Nicole Strüber. "Das setzt aber voraus, dass Kinder entwicklungsgerecht und nicht altersgerecht behandelt werden." Und sogar im Erwachsenenalter sei eine Therapie noch möglich und sinnvoll, der Ausbau an Hilfsangeboten daher eine zentrale Forderung der Österreichischen Kinderschutzzentren.
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