„Prinzipiell glaube ich schon, dass Kinder schauen, wie Erwachsene auf neue Situationen reagieren", schildert der Salzburger Kinder- und Jugendtherapeut Lars Larsen im S24-Interview. Meist würden sich Kinder am näheren Umfeld orientieren. Dazu zählen Eltern, enge Familienmitglieder und besonders bei Jüngeren auch Lehrer.
Kinder übernehmen Konzepte von Eltern
Gewisse Dinge würden sich die Kids dadurch auch aneignen und einige Konzepte übernehmen. „Wenn ich bei der Kindertherapie mit Eltern ins Gespräch komme, beobachte ich oft, dass da eher die eigenen Sorgen oder Ängste dahinterliegen.“ Gerade bei Jüngeren merke man, dass Zuhause oft sehr viel über Corona, Schule oder das Testen gesprochen werde.
Jugendliche bilden eigene Meinung
Etwas anders würden die Jugendlichen mit der Situation umgehen: „Die haben schon ein differenzierteres Denken und holen sich Informationen mehr von Gleichaltrigen. Sie beziehen auch manchmal Gegenpositionen zu den Eltern oder Lehrern.“
Mehr psychische Erkrankungen
Was den Umgang mit neuen Situationen generell betrifft, so hätten Kinder den Erwachsenen etwas voraus. Grundsätzlich seien sie nämlich sehr anpassungsfähig: "Grund dafür ist die neuronale Plastizität in unserem Gehirn." Dennoch gebe es Gruppen, die es schwerer haben, erklärt der Therapeut: „Kinder, die aus Familien kommen, wo Familienmitglieder körperlich erkrankt sind oder ein geschwächtes Immunsystem haben, machen sich oft große Sorgen." Das könnte sich in psychischen Erkrankungen oder Ängsten manifestieren, bei denen die Kinder therapeutische Begleitung benötigen würden. Zu den Symptomen würden etwa Angst- oder Schlafstörungen oder depressive Gedanken gehören.
Angststörung bei Jüngeren
Die Angststörung nehme vor allem bei den Jüngeren zu: „Das heißt Trennungsängste, Kinder schaffen den Wechsel zwischen Zuhause und Schule nicht mehr so gut.“ Häufig spiele auch das Thema Wut eine Rolle. Bei Frustrationen könnten manche Kinder ihre Emotionen nicht mehr so gut steuern. Grund hierfür sei vor allem die Verunsicherung: „In dieser neuen Phase gibt es einfach viele neue Herausforderungen für uns alle. Wir müssen uns oft umstellen.“ Wenn diese vielen Veränderungen nicht gut kommuniziert werden, würden eben diese die Verunsicherung erzeugen. Auch Schlafstörungen aufgrund von Nachdenkens und Grübelns könnten vermehrt auftreten.
Depressionen, Zukunftsängste und Essstörungen
Jugendliche würden hingegen eher zu depressiven Gedanken neigen. Grund hierfür könnten Sorgen um die Zukunft sein. Auch Essstörungen seien wieder präsenter. Hier gebe es zwei Extreme: Die eine Gruppe hätte während den Lockdowns bzw. in der Pandemie damit begonnen, viel zu wenig zu essen. Die andere Gruppe würde versuchen, Frust oder Sorgen Zuhause mit Essen zu beruhigen.
Bedarf an Beratung während Pandemie gestiegen
Der Bedarf an psychotherapeutischer Begleitung und Beratung sei in der Corona-Krise "auf jeden Fall" gestiegen, meint Larsen. Sowohl im niedergelassenen, als auch im stationären Bereich, mache sich ein hoher Andrang bemerkbar. Laut Studien würden in Nicht-Pandemiezeiten 20 bis 23 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen null und 18 Jahren irgendwann einmal an einem Symptom einer psychischen Störung leiden, so Larsen. „Das hat sich jetzt aufgrund einer neuen Studie, die die Donau Universität Krems veröffentlicht hat, sogar fast verdoppelt.“
"Gefühle, Sorgen und Ängste in Worte fassen"
Dennoch gebe es Möglichkeiten, wie man als Familie der Pandemie bei all dem Negativen auch etwas Positives abgewinnen kann, versichert der Experte. Es sei natürlich wichtig, mit den Kindern über die Corona-Situation zu sprechen und zu versuchen, dem Erlebten Worte zu geben. „Vor allem jüngere Kinder tun sich oft schwer, ihre Gefühle, Sorgen und Ängste in Worte zu fassen.“ Es sei wichtig, Informationen zu geben, aber auch zu beruhigen. Denn auch wenn Erwachsene einmal aufgeregt seien und sich etwa über gewisse Maßnahmen ärgern, sollten sie das nicht unbedingt vor den Kindern beim Essen besprechen, rät Larsen. "Ich habe immer wieder erlebt, dass die Kinder Elterngespräche mithören.“
Neue Rituale einführen
Ebenso könnten neue Rituale helfen, ist Larsen überzeugt: „Ich kann ein Beispiel von mir persönlich geben. Wir haben in den Lockdowns einfach beschlossen, dass es nur in dieser Zeit einmal die Woche eine Besonderheit gibt.“ Anbieten würden sich Spaziergänge, Ausflüge oder spezielle Familienaktivitäten. Der Gefährlichkeit bzw. großen Veränderung aufgrund des Lockdowns könne man so entgegenwirken.
Auf Stabilität statt auf Defizite achten
Auch gegen Unsicherheit kann man einiges tun, weiß der Experte. Unser Gehirn würde dazu neigen, eher auf die Defizite zu schauen und Fragen stellen wie „Wie lange geht’s noch? Geht’s überhaupt noch?“. Menschen seien evolutionär bedingt sehr gut darin, Probleme oder Gefahren zu sehen. Man könne aber auch überlegen, wo es genauso Stabilität oder Dinge gebe, die etwa trotz eines Lockdowns oder anderen Phasen der Einschränkungen gleichbleiben würden. „Ich werde trotzdem meine Freunde noch haben, auch wenn ich sie nicht sehe oder nicht im Klassenzimmer sehe. Ich werde auch noch am gleichen Ort wohnen, auch wenn ein Lockdown kommt oder eine Schulklasse geschlossen wird.“ Dazu gehöre auch, selbst an einer Tagesstruktur zu arbeiten, „weil das dem Gehirn auch eine Art von Sicherheit und Beruhigung gibt“, so der Kinder- und Jugendtherapeut abschließend.
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