Nicht weniger authentisch wirkte die 75-jährige Marie-Therese Kerschbaumer. In ihrem Schlüsselwerk "Der weibliche Name des Widerstandes" setzt sie ebenfalls auf wertfreien, scheinbar distanzierten Erzählton, der begreifbar macht, ohne zu moralisieren. Zudem fesselte Kerschbaumer mit einem verblüffend rhythmischen, an liturgische Sprachmelodie angelehnten Vortrag sowie mit einer Reihe von Gedichten in raffinierten Versmaßen.
Die große humanistische Katastrophe des 20. Jahrhunderts ist auch Thema zweier junger Autorinnen und ihrer neuen Romane. Die 34-jährige Astrid Rosenfeld - sie betonte, keine Jüdin zu sein, nichts persönlich erlebt oder beobachtet und alles frei erfunden zu haben - sowie die 30-jährige deutsche Jüdin Vanessa Fogel versuchten, die Schuld der dritten Generation erfassbar zu machen - nicht, ohne die im Wahnwitz des Vernichtungskrieges liegenden Wurzeln ihrer Liebesgeschichten und Dramen zu beleuchten. Besonders Fogel beeindruckte mit ihrer geradlinig-unverschnörkelten Sprache. Michael Stavaric befasste sich in seinem aktuellen Roman "Brenntage" mit dem Loslassen und Abschiednehmen, und der Autor, Theologe und Dogmatiker Gottfried Bachl versuchte sich unter anderem in seinem Buch "Der schwierige Jesus" der Schuldfrage von katholischer, aber humorvoll-freigeistiger Seite her zu nähern.
Eher langweilige, an Thema und Publikum vorbeischrammende Lesungen waren auch dabei in den vergangenen vier Tagen. Marlene Streeruwitz' Beitrag aber gehörte da nicht dazu. Besonders ihr Projekt am Freitag, in dem sie eine begonnene und unfertige Geschichte von Rauriser Hobby-Literartinnen fertigschreiben ließ, beeindruckte nicht nur die aktiv Mitwirkenden. Spannend auch Ludwig Lahers Lesung aus seinem aktuellen Roman "Verfahren". Darin beschäftigt sich der Autor mit einer Serbin, die vom österreichischen Asylrecht zermürbt wird. Und - ganz zu Beginn - der Beitrag der Rauriser Literaturpreisträgerin Dorothee Elmiger aus der Schweiz, die in ihrem Roman "Einladung an die Waghalsigen" eine starke Geschichte virtuos erzählt. Diese vielfach gelobte und ausgezeichnete 25-jährige Schweizerin gilt als eine der literarischen Hoffnungen und setzte am Donnerstag einen beeindruckenden Akzent an den Beginn dieses Literaturfestivals in Rauris.
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