Beim ersten Luftangriff auf die Mozartstadt im Zweiten Weltkrieg sind am 16. Oktober 1944 insgesamt 534 Fliegerbomben abgeworfen worden. Bei den beiden folgenden Angriffen am 11. und 17. November wurde die Anzahl der Bomben nochmals jeweils mehr als verdoppelt. Insgesamt gingen 9.284 Bomben auf die Stadt Salzburg nieder.
Immer wieder Blindgänger gefunden
Wie viele Blindgänger – also nicht explodierte Sprengkörper – fast 80 Jahre nach Kriegsende noch in der Erde unter Salzburg lauern, weiß niemand. Die Wahrscheinlichkeit, in einst heftig umkämpften Gebieten auf solche Relikte zu stoßen, sei laut Experten aber nach wie vor hoch. Schätzungsweise 13 Prozent der Fliegerbomben sind beim Aufprall nicht explodiert.

"Je mehr gebaut wird, desto mehr Aufgaben fallen auch für Kampfmittelräumdienste an", sagt Stefan Plainer, Geschäftsführer der EOD-Munitionsbergung im Gespräch mit SALZBURG24. Der anhaltende Bau-Boom in Österreich tue dabei sein Übriges. Dazu komme ein gestiegenes Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung. Eine Zunahme solcher Einsätze bestätigt auch Wolfgang Korner, Leiter des Entminungsdienstes beim Bundesheer, gegenüber S24.
So arbeiten Kampfmittelräumer
Firmen wie EOD suchen im Auftrag von Häuslbauern oder Baufirmen potenziell von Kriegsrelikten belastete Grundstücke ab. In der Stadt Salzburg stehen mit dem neuen Dienstleistungszentrum und S-Link gleich zwei große Bauprojekte an. Bei der Erweiterung der Regionalstadtbahn rund um den Mirabellplatz wird der Untergrund auf alte Kampfmittel untersucht, wie S-Link bereits bekanntgab.
Wenn die Kampfmittelsondierung ein verdächtiges Objekt zeigt, bringt nur eine Grabung Gewissheit. "Weil es kein Gerät auf der Welt gibt, das ein Kriegsrelikt erkennt, müssen wir alle unsere Sinne einsetzen", gibt Plainer Einblick in die Arbeit der Kampfmittelräumer. Jeder Verdachtspunkt muss berührungsfrei ausgegraben und identifiziert werden. Falls es sich tatsächlich um eine Altlast handelt, wird es zunächst klassifiziert und geprüft, ob es noch sprengfähig ist. Dabei sei es für die Experten ein Leichtes, Kriegsrelikte eindeutig den Weltkriegen zuzuordnen.
Bombe oder Feuerlöscher?
Solche Ausgraben seien auch trotz jahrelanger Erfahrung noch "kribbelig, weil die Trefferquote bei Sondierungen recht gering ist." Verdachtspunkte stellen sich häufig als "nichtmilitärischen Ursprunges" heraus, wie etwa vergrabene Feuerlöscher. Bei einem tatsächlichen Fund wird die Polizei alarmiert, die dann den Entminungsdienst des Bundesheers hinzuzieht. Denn jedes Kriegsrelikt muss nach dem Waffengesetz an das Bundesheer übergeben werden, das sich um Abtransport und Entsorgung kümmert. Die Sprengkörper werden in den meisten Fällen entschärft, abtransportiert und später unschädlich gemacht.
2020 führte der Entminungsdienst des Bundesheeres in ganz Österreich 1.267 Einsätze durch. Dabei wurde im vergangenen Jahr 26 Tonnen Kriegsmaterial geborgen, darunter 30 Streubomben, 13 Anti-Personen-Minen und 18 Bombenblindgänger. Fast die Hälfte der Einsätze (603) fand in Niederösterreich statt, gefolgt von der Steiermark (186) und OÖ (128). Im Land Salzburg gab es 19 Einsätze.
Bauprojekte bringen Kriegsrelikte zutage
Dabei sind Funde aus dem Zweiten Weltkrieg durchaus keine Seltenheit, auch wenn sie manchmal zufällig passieren: So wurde im benachbarten bayerischen Landkreis Berchtesgaden erst Ende September eine 250-Kilo-Bombe durch einen Murenabgang freigelegt. Und im Zuge des Umbaus vom Salzburger Hauptbahnhof konnten mehrere Kriegsrelikte entdeckt und unschädlich gemacht werden, darunter drei 500-Kilo-Bomben.

Ein solcher Sprengkörper kam im Sommer 2014 am Kapuzinerberg zutage und im November 2017 konnte in Salzburg-Aigen eine 250-Kilo-Bombe entschärft werden. Im Sommer vergangenen Jahres fand ein Wanderer ein ebensolches Kriegsrelikt am Untersberg.
Bahnhöfe und Gleise als Ziele
Wie auch Innsbruck, Linz oder Villach wurde die Stadt Salzburg zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem von Fliegerbomben heimgesucht. Salzburgs ländlicher Teil war tendenziell nicht so stark betroffen. Der letzte Angriff auf die Mozartstadt erfolgte am 1. Mai 1945. "Als strategisches Ziel in Salzburg galten insbesondere die Bahnanlagen in der Stadt", weiß Kampfmittelräumer Plainer. Weil die Mozartstadt jedoch mit schweren Flugabwehrkanonen geschützt war, haben die US-Bomber ihre tödliche Fracht stets aus großer Höhe von bis zu 8.000 Metern abgeworfen.

Deshalb verfehlten viele auf den Bahnhof zielende Sprengkörper ihr Ziel und trafen das gesamte Stadtgebiet weit verstreut. "Die Fläche von einem Hektar, also etwa die Größe eines Fußballfelds, entspricht etwa 30 bis 40 Bombentrichtern", zeigt Plainer auf.
Stadt Salzburg in Trümmern
Insgesamt haben die US-Flugzeuge bei 15 Luftangriffen mehr als 9.200 Bomben auf die Stadt Salzburg abgeworfen, die 547 Todesopfer forderten – jedes einzelne Schicksal hat der Historiker Erich Marx in seinem Buch "Bomben auf Salzburg" dokumentiert. Fast die Hälfte aller Gebäude im Stadtgebiet wurde demnach bis Kriegsende beschädigt oder zerstört. Mehr als 14.500 Menschen sind damals von einer Sekunde auf die andere obdachlos geworden. Am 4. Mai 1945 ist die Stadt Salzburg kampflos an anrückende US-Truppen übergeben worden. Erst einige Tage später erreichten die alliierten Truppen auch das Innergebirg. Im letzten Kriegsjahr kam es auch zu Luftangriffen auf Gemeinden in der Umgebung der Landeshauptstadt, wie auf Grödig (Flachgau), Hallein (Tennengau), Bischofshofen und Schwarzach (beides Pongau).
Nicht vorhersehbare Gefahr
Nicht explodierte Sprengkörper haben sich bis zu acht Meter tief in den Boden gebohrt und sind seitdem verschüttet. Detonationen könne man nicht vorhersehen. Der Schlagbolzen wird durch mehrere Zelluloid-Schichten festgehalten, doch nach der Zeit würden sich diese zersetzen und es kann zur Explosion kommen. Dabei spielt nicht nur die Zersetzung eine Rolle, sondern auch Erschütterungen und Temperaturveränderungen nach dem Freilegen. Weil von außen nicht zu erkennen sei, ob der Zünder beschädigt bzw. blockiert ist oder lediglich noch nicht ausgelöst hat, würden Bomben-Blindgänger eine stetige Gefahr darstellen. Besonders bedrohlich sind die chemischen Langzeitzünder (LZZ). Solche Vorkehrungen sollten ursprünglich erst Stunden oder Tage nach dem Abwurf in die Luft gehen, allerdings sind manche bis heute nicht explodiert. Oft würde eine kleine Berührung ausreichen, um den Zünder auszulösen.
Traurige Erinnerungen an Sommer 2003
Viele Salzburger werden sich noch an den Juli 2003 erinnern, als im Stadtteil Schallmoos zwei Entminungsexperten ums Leben gekommen sind, als sie eine mit einem LZZ versehene 250-Kilo-Fliegerbombe entschärfen wollten. Ein weiterer Beamter wurde bei der Explosion verletzt, die einen Krater mit sechs Metern Durchmesser hinterließ.
Prinzipiell seien alle von einer Stahlrolle ummantelten und mit Sprengstoff gefüllten Kriegsrelikte immer noch funktionstüchtig, weil "sie gebaut wurden, um zu töten", bringt es Plainer auf den Punkt. Dem Zünder würde eine fast 80-jährige Inaktivität nichts ausmachen: "Das hat nichts an Brisanz verloren." In der Regel wird das Kriegsrelikt vor Ort vom Entminungsdienst entschärft und anschließend abtransportiert, um es dann auf einem Bundesheer-Truppenübungsplatz zu vernichten sowie zu entsorgen. Ausnahmen seien Sprengkörper mit LZZ: "Diese Bomben gehören gesprengt", sagt Korner, der seit 1989 beim Entminungsdienst ist.
Problematisch ist, dass es keine gesicherten Zahlen darüber gibt, wie viele Fliegerbomben noch im Boden unter Salzburg schlummern. Auch fehlen Aufzeichnungen darüber, wie viele der Blindgänger noch während des Krieges oder in der Nachkriegszeit entschärft wurden, ergänzt Korner.
Gefährlicher Trugschluss aus Bombenkataster
Aus diesem Grund hat die Landeshauptstadt vor sieben Jahren einen Bombenkataster über die digitale Stadtkarte veröffentlicht, der im Boden vermutete Bomben-Blindgänger in Salzburg zeigen sollte. Nach breiter Kritik wurde das Projekt schließlich wieder eingestellt und vom Netz genommen. "Die Falschinterpretation dieses Bombenkatasters hat wohl zu den fahrlässigsten Umgängen mit Kampfmittelgefährdung geführt, da dieser Kataster für jedermann einsehbar gemacht wurde", sagt Plainer. "Das Dokument zeigt tatsächlich die Stelle von etwaig im Boden befindlichen Bomben-Blindgängern, was natürlich sehr wichtig sein kann", erklärt der Sachverständige für Kampfmittelerkundung. Wenn man daraus jedoch interpretieren würde, dass in ganz Salzburg lediglich diese Punkte gefährlich sind und jegliche Grundstücke, auf denen kein Verdachtspunkt eingezeichnet ist, als ungefährlich erachtet werden, dann entstünde aus dieser Falschinterpretation eine massive Gefährdung. Diese Ansicht teilt auch Korner von Entminungsdienst.
In massiv bombardierten Gebieten sei die Auflistung einzelner Verdachtspunkte sehr bedenklich, meint Plainer. Andere Städte in Österreich würden es dahingehend besser machen. Graz etwa klassifiziert das gesamte Stadtgebiet von Grün bis Rot nach dem Grad der Bombardierung. Dafür wurden Tausende Luftaufnahmen aus den Kriegsarchiven ausgewertet. Grundbesitzer können dort eine ergänzende Auswertung anfordern, um speziell bei Bauarbeiten entsprechende Begleitmaßnahmen zu veranlassen.
Bei entdeckten Objekten, deren Herkunft und Beschaffenheit verdächtig erscheint, gilt es laut Entminungsdienst folgende Regeln zu beachten: Abstand halten und verhindern, dass andere Personen oder Tiere dem Fund zu nahe kommen sowie die nächste Polizeidienststelle kontaktieren.
Wer Blindgänger-Freilegung zahlt
Eine generelle Verpflichtung, vor Baubeginn nach Kampfmitteln zu suchen, gibt es in Österreich übrigens nicht. Bezahlt werden muss die Freilegung von Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg vom jeweiligen Grundeigentümer. Die Suche und Bergung für ein Kriegsrelikt erreicht rasch Summen im niedrigen sechsstelligen Bereich.
Ein jahrelanger Rechtsstreit zum Umgang mit Blindgängern wurde 2011 seitens des Obersten Gerichtshofs gegen die Stadt Salzburg entschieden. Es gibt kein Gesetz, dass die Suche nach Bombenblindgängern regelt, hieß es in der Begründung. Aufgrund dieser fehlenden öffentlichen-rechtlichen Norm sei der Bund nicht verpflichtet, Fliegerbomben-Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg aufzusuchen und dafür die Kosten zu übernehmen. Der Bund sieht sich nur für die Entschärfung und den Abtransport der Fliegerbomben zuständig. Suche, Freilegung, Bergung und die Identifizierung des Materials kann also von privaten Unternehmen, wie EOD, durchgeführt werden. Mit dem Salzburger Urteil wurde klargestellt, dass Grundbesitzer die Kosten für das Aufspüren von Bomben selbst übernehmen müssen.
Im Magistrat der Stadt Salzburg gibt es aktuell übrigens keinen eigenen Mitarbeiter für diese entsprechenden Agenden. So oder so dürfte der nächste Fund einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg in der Landeshauptstadt wohl nur eine Frage der Zeit sein.
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