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Ukraine-Krieg, Tag 37

Russische Truppen positionieren sich neu

Weitere Verhandlungsrunde trotz Angriffsvorwürfen

Meldungsliste(7)_2.jpg APA/AFP/FADEL SENNA
Bilder (aufgenommen am 31. März) zeigen, wie ukrainische Soldaten Menschen nach einem Luftangriff kontrollieren.

Die ukrainische Hauptstadt Kiew kann sich in der sechsten Woche des Krieges erstmal aus einer versuchten Umklammerung durch russische Truppen befreien. Die militärisch bisher gescheiterten Angreifer scheinen sich, wie von Moskau angekündigt, aus dem Gebiet der Metropole komplett zurückzuziehen – und auch aus dem nördlich gelegenen Tschernihiw. Von Entspannung kann dennoch keine Rede sein.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg brachte es auf eine einfache Formel: "Nach unseren Geheimdienstinformationen ziehen sich russische Einheiten nicht zurück, sondern positionieren sich neu." Erwartet wird, dass das russische Militär seine Kräfte sammelt, auffrischt und dann in den Kampf schickt. Dafür spricht auch, was britische Militärs beobachten: Aus den abtrünnigen georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien wird Verstärkung herangeführt, um die bisher erlittenen Verluste der Russen auszugleichen.

Russische Angriffe im Westen des Landes

Auch dass Russland im Westen der Ukraine Tanklager und Nachschublinien attackiert, um die Ukraine militärisch zu schwächen, passt nach Angaben von Militärexperten zu dieser Strategie. Zugleich beobachten westliche Diplomaten, dass die russischen Gespräche mit der Ukraine "wenig unterfüttert seien" - also vom Inhalt und der Besetzung her womöglich nicht auf eine Lösung am Verhandlungstisch abzielen.

Die russische Militärführung hat erklärt, dass sich ihre Truppen nunmehr auf die komplette Eroberung der ostukrainischen Gebiete Luhansk und Donezk konzentrieren sollen. Das Unvermögen, die Hauptstadt einzunehmen, wird zum Plan umgedeutet: Ziel der ersten Etappe sei es gewesen, "den Gegner zu zwingen seine Kräfte, Mittel, Ressourcen und Militärtechnik für den Halt großer Siedlungen, einschließlich Kiews, zu konzentrieren."

Ukrainische Armee rückt weiter vor

Auch das Pentagon bestätigt einen Rückzug russischer Soldaten aus dem Gebiet Kiew ins benachbarte Belarus. "In den vergangenen Tagen haben wir begriffen, was für eine starke und große Gruppierung sich vor Kiew befand", sagte dazu der ukrainische General Olexander Pawljuk.

Kurz zuvor hatte das ukrainische Militär bereits die Rückeroberung des Kiewer Vororts Irpin gemeldet. Ebenso erfolgreiche ukrainische Vorstöße gab es demnach im Gebiet Dnipropetrowsk, bei denen russische Einheiten in die benachbarte Region Cherson zurückgedrängt worden seien. Eine unmittelbare Bedrohung der Großstadt Krywyj Rih sei abgewendet worden. Kleinere Erfolge wurden ebenso aus dem Gebiet Saporischschja gemeldet. Dazu haben die ukrainischen Truppen westlich und östlich der ostukrainischen Großstadt Charkiw mehrere Orte zurückerobert.

Berichte über Angriff in Russland

Erstmals seit Beginn des Krieges hat Russland der Ukraine einen Angriff auf das eigene Territorium vorgeworfen. Ukrainische Hubschrauber hätten ein Treibstofflager im Westen Russlands angegriffen und einen Großbrand ausgelöst, so der Gouverneur der Region Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, am Freitag im Messengerdienst Telegram. Beide Seiten setzten ihre Verhandlungen um eine Waffenruhe dennoch fort. In Mariupol wurde ein neuer Versuch gestartet, tausende Zivilisten zu retten.

Das aktuelle Hauptziel der russischen Truppen bleibt dabei die seit Anfang März eingeschlossene Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer. Russischen Angaben zufolge wurden dabei die ukrainischen Kräfte bereits zweigeteilt. Unter russischer Kontrolle soll sich bereits mehr als die Hälfte der Großstadt mit einst 440.000 Menschen befinden, darunter auch Teile des Zentrums um das schwer zerstörte Stadttheater. Auf ukrainischer Seite wird damit gerechnet, dass frische russische Kräfte die Kämpfe intensivieren - einschließlich verstärktem Einsatz von Luftwaffe und Artillerie.

Schwere Kämpfe im Osten befürchtet

Die russischen Truppenverlegungen dürften auch zu größerem Kräfteeinsatz im übrigen Teil der Gebiete Donezk und Luhansk führen. "Dort wird die Hauptschlacht dieses Krieges stattfinden, die den weiteren Verlauf der Ereignisse in der Ukraine definieren wird", sagte der ukrainische Militärexperte Oleh Schdanow im Staatssender Dom.

Ziel bleibt es dort offenkundig, die ukrainischen Einheiten um die Städte Slowjansk und Kramatorsk im Gebiet Donezk und Sjewjerodonezk und Lyssytschansk im Luhansker Gebiet einzukesseln. Damit sollen die kampfkräftigsten Teile der ukrainischen Streitkräfte ausgeschaltet und die Regierung in Kiew zu Zugeständnissen bei den zeitgleich stattfinden Friedensverhandlungen gezwungen werden.

"Wer redet, schießt nicht", hatte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock noch im Jänner in einem Interview gesagt. Der Satz drückt eine Hoffnung aus, die enttäuscht wurde - allerdings schon im Kosovo, in Syrien, im Jemen und in fast allen kriegerischen Konflikten. Im Gegenteil scheint Putin seine Gegner nach einer Phase strategischer Fehlentscheidung in Unklarheit über seine Ziele lassen zu wollen - und auf eine Doppelstrategie aus Krieg und Konferenztisch zu setzen.

Pläne am Donbass?

Sollte er seine Donbass-Pläne umsetzen können, besteht weiterhin die Gefahr eines Vorstoßes entlang der Schwarzmeerküste in Richtung Odessa, um der Ukraine den Meereszugang zu nehmen und eine Verbindung in Richtung des international nicht anerkannten Transnistriens in der Republik Moldau herzustellen. Und er kann zum wichtigen Strom Dnipro vordringen und danach eine Offensive nach Norden zur Eroberung Kiews starten lassen.

Parallel zu den Bodenkämpfen setzt Russland die Raketen-Angriffe aus der Luft und von See aus fort. Neu ist dabei, dass nun vor allem Tanklager und auch Munitionsdepots bis in die Westukraine gezielt zerstört werden. Doch sind auch weiter Objekte der ukrainischen Rüstungsindustrie Ziel der Attacken - und das durchaus mit Erfolg. Der Präsidentenberater Olexij Arestowytsch konstatierte schon am Mittwoch: "Sie haben praktisch unsere Rüstungsindustrie vernichtet und erledigen in vielen Bereichen unsere zivile Industrie."

"Ein zweites Syrien wird es nicht geben"

Zwar könne Putin das Militär neu gruppieren, sagt der frühere Nato-General Hans-Lothar Domröse der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Allerdings müsse der russische Präsident erkannt haben, dass er die Hauptstadt nicht erobern könne. "Auch neue, frische Kräfte kommen nicht in die Stadt rein." Domröse hält es für wahrscheinlich, dass Putin an einem Punkt versuchen wird, Gebietsgewinne als Sieg zu verkaufen.

"Ein zweites Syrien wird es nicht geben, das halten beide Seiten nicht durch. Die Menschen verhungern und verdursten in Mariupol, der ukrainische Präsident ist immer in seinem Bunker", sagt Domröse. "Und auch die Russen haben Verluste, nach britischen Informationen etwa weit über 10.000 Tote in den ersten vier Wochen. Das ist das Dreifache von dem, was die Amerikaner über Jahre im Irak erlitten haben."

(Quelle: Apa/Dpa)

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