Bei dem 18-jährigen mutmaßlichen Attentäter aus Neumarkt am Wallersee (Flachgau) handelt es sich nicht um einen „klassischen Islamisten“, betont die Exekutive. Der Salzburger mit bosnischen Wurzeln war mit dem eigenen Auto nach Deutschland eingereist und eröffnete gestern, am 5. September 2024, auf dem Karolinenplatz in München das Feuer auf die Polizisten. Diese schossen zurück und töteten den jungen Mann.
Videos der Tat, die im Netz veröffentlicht wurden, zeigen einen jungen Mann in einer dunkelroten Hose und schwarzem Oberteil in der Nähe des NS-Dokumentationszentrums und des israelischen Generalkonsulats mit einer Langwaffe hantieren und schließlich auch schießen. Die Behörden haben das Video als „authentisch“ eingestuft. Der Bursche trägt keine Maske, ist ungeschützt und sucht ganz offensichtlich auch nicht nach Deckung. Was auch auffällt ist, dass er beim Schuss fast von dem Rückstoß umgeworfen wird. Der deutsche Journalist, Autor und Terrorismusexperte Shams Ul Haq geht im Interview mit SALZBURG24 davon aus, dass der Täter die Tat spontan geplant hat und unerfahren im Umgang mit Waffen ist. „Er ist ganz offensichtlich nicht mit Waffen vertraut, das sieht man daran, wie er damit umgeht.“ Dass er unmaskiert war, zeige, dass er in der islamistischen Szene als Märtyrer bekannt werden wollte, meint der Terrorexperte. „Sie gehen davon aus, dass sie angeschossen oder getötet werden und wollen sich dann auch gar nicht verstecken.“
Waffe legal in Salzburg gekauft
Bei der Waffe, die der 18-Jährige mit sich trug, soll es sich um ein altertümliches Gewehr mit Bajonett gehandelt haben. Für Shams Ul Haq stellt sich die Frage, wie der Flachgauer an diese gekommen ist. Über den Schwarzmarkt in Deutschland und Österreich sei es ganz einfach an eine illegale Waffe zu kommen. Noch einfacher ist es hingegen, wenn eine solche Waffe frei käuflich ist. Wie mehrere deutsche Medien übereinstimmend berichten, soll der 18-Jährige die Waffe einen Tag vor der Tat in Salzburg legal gekauft haben. Das ist auch tatsächlich möglich. Das Repetiergewehr fällt in Österreich unter die Kategorie C, bei dem der Erwerb und Besitz ab 18 Jahren möglich ist, sofern die Waffe binnen sechs Wochen nach Kauf oder Weitergabe registriert wird. Das Mitführen einer solchen Waffe ist nur mit Waffenpass oder gültiger Jagdkarte bzw. für Mitglieder von traditionellen Schützenvereinen erlaubt. Das Waffengesetz in Österreich stammt übrigens aus dem Jahr 1996.
Gegen den 18-Jährigen bestand ein aufrechtes Waffenverbot. Im Vorjahr war er bei der Staatsanwaltschaft Salzburg wegen terroristischer Vereinigung angezeigt worden, nachdem auf seinem Handy Daten und ein Computerspiel, die eine Nähe zu islamistisch-terroristischem Gedankengut bezeugten, sichergestellt wurden. Das Verfahren wegen Mitgliedschaft bei der radikalislamischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" wurde im April 2023 eingestellt. Die Salzburger Anklagebehörde gab dazu zunächst keine näheren Auskünfte, stellte aber eine Stellungnahme zu einem späteren Zeitpunkt in Aussicht.
„Die Politik hat geschlafen“, sagt Ul Haq im S24-Interview. Ein Mensch, der als Islamist oder Terrorist in Verdacht kommt, dürfe nicht unbeobachtet bleiben, kritisiert er. „Warum hat man sein Handy nicht kontrolliert? Warum hat man nicht festgestellt, dass er sich eine Waffe besorgt?“ Fragen, die die polizeilichen Ermittlungen in den nächsten Tagen hoffentlich noch beantworten werden.
Salzburger mit Imam aus München in Kontakt?
Die österreichischen Behörden gehen davon aus, dass es sich bei dem 18-Jährigen um einen Einzeltäter handeln dürfte und er keinem IS-Netzwerk angehört. Wie eine nicht genannte Quelle Ul Haq bestätigt, soll der Salzburger über TikTok radikalisiert worden und bereits seit längerem mit einem Imam in München in Kontakt gestanden sein. Dieser soll ihn auch auf den Gedenktag des Olympia-Attentats in München 1972 aufmerksam gemacht haben. Der Polizei in München sei es zu verdanken, dass nicht Schlimmeres passiert ist, sagt Ul Haq. „Es ist offensichtlich, dass der Täter in das Konsulat hineinwollte.“
Deutsche Sicherheitskreise gehen inzwischen davon aus, dass der Verdächtige einen Bezug zur islamistischen Gruppe HTS hatte, wie Freitagvormittag bekannt wurde. HTS steht für "Haiat Tahrir al-Sham", eine militant-islamistische Miliz. Der bayerische Verfassungsschutz schreibt, dass HTS 2017 aus dem Zusammenschluss eines früheren Al-Kaida-Ablegers und einiger kleinerer militanter syrischer Gruppen hervorgegangen sei. Anders als Al-Kaida, die weiter Anschläge im Westen plane, konzentriere sich HTS auf Syrien und wolle den dortigen Machthaber Bashar al-Assad stürzen.
Radikalisierung über Social Media
Die Radikalisierung junger Menschen durch den IS oder islamistische Extremisten geschehe zum einen über die sozialen Netzwerke, insbesondere Gruppen auf Telegram, wo radikale Videos gepostet und Hass vorbereitet werde. „Was es auf der anderen Seite immer noch gibt, ist die Radikalisierung in Hinterhofmoscheen. Jungen Männern wird dort von radikalen Islamisten Videopropaganda gezeigt. Aktuell bekommen sie Videomaterial aus Gaza zu sehen, wo Kinder brutal umgebracht werden“, schildert Ul Haq.
Hat Österreich ein Terrorproblem?
Nach dem Terroranschlag in Wien am 2. November 2020 mit vier Toten und vielen zum Teil Schwerverletzten, dem vereitelten Anschlag auf ein Taylor Swift-Konzert vor wenigen Wochen und jetzt diesem Ereignis, ist für Ul Haq klar: „Österreich hat ein großes Problem mit Islamisten, die über die Balkanroute ins Land kommen und an den Hinterhofmoscheen ihre Propaganda verbreiten.“ Auch dürfe man die Gefängnisse in Österreich nicht vergessen, mahnt Ul Haq. Gefährder und Islamisten würden dort über Propagandavideos aus dem Netz auch andere Häftlinge radikalisieren. „Es darf in den Gefängnissen keinen Internetzugang geben und es braucht dort eine gezielte Deradikalisierung.“
Wir müssten in Zukunft mit weiteren Anschlagsversuchen oder auch Anschlägen rechnen. Das bestätigte gestern auch die österreichische Extremismusexpertin Daniela Pisoiu im ZIB2-Interview. „Tatsache ist, wir befinden uns in einer neuen Welle des dschihadistischen Terrors und werden weiter solche Anschläge sehen“, sagte sie. Maßgeblich dafür verantwortlich sei der Konflikt in Gaza. Österreich und Deutschland würden vermehrt zum Ziel, weil beide Länder bedingungslos auf der Seite Israels im Nahost-Konflikt stehen.
Ul Haq warnt indes davor, Wien als das einzige Terrorziel Österreichs zu definieren. „Wir wissen, dass Terroristen überraschen wollen. Wenn sie in Wien auffallen, gehen sie in eine andere Stadt – potenzielle Gefahr besteht also überall.“ Er verlangt neue Konzepte und Programme seitens Politik und Behörden. „Sobald jemand mit islamistischem Gedankengut auffällt, braucht es eine Handhabe und mitunter schnelle Konsequenzen. In jedem Fall aber müssten solche Personen beobachtet werden“, so Ul Haq.
Im Fall des getöteten 18-jährigen Schützen aus Neumarkt am Wallersee laufen die Ermittlungen der Polizei in Deutschland und Österreich auf Hochtouren. Viele Fragen sind noch offen. Einige werden geklärt werden, mache aber wohl für immer unbeantwortet bleiben.
Über Shams Ul Haq
Shams Ul Haq ist Journalist und Terrorexperte. Er kam mit 15 Jahren nach Deutschland, seit 2007 arbeitet er als Investigativ-Journalist in Libyen, Syrien, Afghanistan und Pakistan. In Österreich war er sechs Monate lang in Wien und Graz in der islamistischen Szene unterwegs.

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(Quelle: salzburg24)