Die Taliban hatten die Provinzhauptstadt am Montag überraschend überrannt, die Regierung hatte am Dienstag mit einer Gegenoffensive begonnen. Unterstützt wurden die Truppen durch US-Kampfflugzeuge.
Mit etwa 2.000 Kämpfern hatten die radikalislamischen Taliban am Montag das rund 250 Kilometer von Kabul entfernte Kunduz erobert. Es war das erste Mal seit ihrer Entmachtung im Jahr 2001 durch internationale Truppen, dass die Taliban die Kontrolle über eine größere afghanische Stadt übernehmen konnten. Für den vor einem Jahr ins Amt gekommenen Präsidenten Ashraf Ghani markiert ihr Einmarsch in die Stadt einen herben Rückschlag.
Ein Regierungsvertreter am Flughafen berichtete am Dienstag von heftigen Kämpfen. Strom und Telefone seien fast überall ausgefallen: "Die Sicherheitskräfte haben die meisten strategisch wichtigen Plätze zurückgewonnen, in vielen Stadtteilen ist Gewehrfeuer zu hören." Unklar war vorerst, wie viele Menschen bei den Gefechten getötet wurden. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Kabul sagte, 16 Leichen seien in Krankenhäuser gebracht worden. 172 Menschen seien verletzt worden. "Wir wissen nicht, ob das Zivilisten oder Taliban sind."
Taliban-Chef Mullah Akhtar Mohammad Mansour versicherte indes, die Aufständischen würden "Leben, Besitz und Ehre der respektierten Bürger der Stadt Kunduz schützen." In einer Mitteilung Mansours zur "Befreiung" der Stadt hieß es, die Menschen dort könnten ihr Leben "in absoluter Sicherheit" weiterführen. "Die Mujaheddin denken nicht an Rache, sondern sind mit einer Botschaft des Friedens gekommen", teilte Mansour mit. Er rief Mitarbeiter der "Invasoren und ihres Handlanger-Regimes" dazu auf, überzulaufen, um ihr Leben und ihren Besitz zu schützen.
Die NATO hatte ihren 13 Jahr andauernden Kampfeinsatz in Afghanistan im vergangenen Jahr beendet. Der Nachfolgeeinsatz "Resolute Support" dient vor allem der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Die im Land verbliebenen gut 13.000 ausländischen Soldaten sollen den bisherigen Plänen zufolge bis Ende 2016 vollständig vom Hindukusch abgezogen werden.
Die Eroberung von Kunduz durch die Taliban hat unterdessen in Deutschland eine Diskussion über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Nordafghanistan ausgelöst. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sprach sich am Dienstag klar dafür aus. Der stellvertretende Unionsfraktionschef Franz Josef Jung forderte eine Überprüfung des Abzugsdatums. Die konservative Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte, die NATO solle ihre Beschlüsse über die weitere Truppenstationierung nicht nach "starren Zeitlinien" treffen, sondern nach der aktuellen Sicherheitslage. Der sozialdemokratische Außenminister Frank-Walter Steinmeier nannte den Fall von Kunduz ein "dramatisches Signal".
(Quelle: salzburg24)