Die dürfte es aber nicht so rasch geben. Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs bereiteten Cameron einen eher frostigen Empfang. Zwar wurden keine Vorwürfe an den Briten-Premier gerichtet, der als Initiator des Referendums das Tohuwabohu mit verursacht hat, doch konzedierte man gleichzeitig, dass die Aktivierung des Austrittsmechanismus nach Artikel 50 des EU-Vertrags nicht sofort erfolgen müsse.
In Großbritannien scheint es unterdessen nicht nur innerparteiliche Probleme bei den Torys von Cameron und dessen Widersacher Boris Johnson zu geben, sondern auch in der oppositionellen Labour Party gärt es gewaltig.
Nach Brexit: Schockstarre in Großbritannien
Cameron trat für einen Verbleib bei der EU ein, während Johnson an der Spitze des Brexit-Lagers stand. Seit der Abstimmung in Großbritannien ist eine Art Schockstarre eingetreten. Vor allem junge Briten wollen am liebsten ein zweites Referendum, weil sie um ihre Zukunft ohne die Vorteile einer Mitgliedschaft in der EU fürchten. Und auch die Brexit-Proponenten, die lautstark mit markigen Sprüchen von Unabhängigkeit von Brüssel auftraten, bekamen offenbar kalte Füße und verstummten großteils.
Bei der Labour Party gerät deren Parteivorsitzender Jeremy Corbyn immer stärker unter Druck. Corbyn wird von eigenen Anhängern nachgesagt, sich nicht genug um einen Verbleib der Briten in der EU eingesetzt zu haben. Von den Labour-Abgeordneten musste er am Dienstag eine Misstrauensabstimmung von 172 gegen 40 seiner eigenen Mandatare hinnehmen. Doch Corbyn dachte zunächst nicht an Konsequenzen, weil er sich von der Basis unterstützt sieht, die ihn im Vorjahr zum Parteichef gemacht hatte.
EU-Gipfel tritt in neue Ära
Der EU-Gipfel tritt unterdessen in eine neue Ära. Nach dem offiziellen Treffen aller 28 Staats- und Regierungschefs am Dienstag, wo gegenüber Cameron Enttäuschung und Trauer zum Ausdruck kamen, wird der Mittwoch erstmals ohne den britischen Premier tagen. Damit ist dies auch lediglich ein informelles Treffen der verbliebenen 27 Länderchefs.
Umkehrung des Brexit-Votums unmöglich
Beim Dienstag-Gipfel wurde von EU-Seite mehrmals klargemacht, dass ein Zurückdrehen der Zeit und eine Umkehrung des britischen Austrittsvotums unmöglich seien. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach dabei von einem Wunschdenken, das nicht der Realität entspreche. EU-Ratspräsident Donald Tusk gestand den Briten einige Zeit zur Klärung zu, "damit sich der Staub im Vereinigten Königreich legen kann" und rechnet mit einer Entscheidung über den Austrittsantrag frühestens im Herbst. Für September hat Tusk auch einen informellen EU-Sondergipfel wiederum ohne Cameron über das weitere Vorgehen angekündigt.
Wirtschaftliche Folgen noch nicht abschätzbar
Was bis dahin passiert, ist unklar. Das gilt sowohl für Großbritannien als auch für die EU. Die wirtschaftlichen Folgen eines Brexits können derzeit noch nicht abgeschätzt werden. EZB-Chef Mario Draghi warnte beim EU-Gipfel davor, dass das Wachstum der Eurozone in den kommenden drei Jahren um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte geringer als angenommen ausfallen könnte. Noch stärker könnte es aber die Briten selbst erwischen - auf der Insel haben nach einer jüngsten Umfrage viele angekündigt, wegen des Brexit viele Anschaffungen nicht mehr zu tätigen. Dies würde den Binnenmarkt in Großbritannien deutlich schwächen.
Unterdessen erreichte eine Internet-Petition, die nach dem Brexit ein zweites Referendum fordert, um nicht aus der EU ausscheiden zu müssen, Mittwoch früh die 4-Millionen-Grenze. Die Petition "#Whathavewedone" kam 4.008.791 Unterstützer.
Bemühungen für Auswegszenario?
In Brüssel und London dürften im Hintergrund Bemühungen für ein Auswegszenario laufen, dass die Briten doch in der EU bleiben könnten. Allerdings hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker deutlich gemacht, dass in einer Demokratie ein Ergebnis einer Abstimmung zu respektieren sei. Österreichs Kanzler Christian Kern hatte Mittwoch früh auf die Frage, ob es für die Briten einen Weg zurück zur EU gebe, erklärt, "das ist alles kein Spiel". Jedenfalls werde es bei Austrittsverhandlungen mit Briten über die künftige Gestaltung der Beziehungen "keine einseitige Vereinbarung" geben können.
Als eine Möglichkeit eines Doch-noch-Verbleibs der Briten wurde diskutiert, dass in London nach Neuwahlen eine andere Regierung die Weichen stellen könnte. Wenn diese Parteien für Neuwahlen mit einem Bekenntnis zur EU und einem Verbleib in der EU werben und den Urnengang so gewinnen, könnte eine Schubumkehr stattfinden. Die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite hatte am EU-Gipfel eine Rückkehr der Briten nicht ausgeschlossen. Auf die Frage, was passiert, wenn niemand in Großbritannien den Austrittsknopf drückt, sagte Grybauskaite: "Willkommen zurück".
(APA)
(Quelle: salzburg24)