"Hier werdet ihr belogen"

Demonstrantin mit Anti-Kriegs-Plakat zu Geldstrafe verurteilt

Nach dem TV-Protest wurde die Übertragung unterbrochen.
Veröffentlicht: 15. März 2022 07:48 Uhr
Nach ihrem Protest im russischen Staats-TV gegen den Ukraine-Krieg ist die Frau in Moskau zu 30.000 Rubel (226 Euro) Geldstrafe verurteilt worden. Das Urteil erging, weil Marina Owssjannikowa in einem Video zu Protesten gegen den Krieg aufgerufen habe, wie das Bürgerrechtsportal OWD-Info am Dienstag meldete.
SALZBURG24 (tp)

Sie wurde zunächst nicht nach dem neuen russischen Mediengesetz angeklagt, das bis zu 15 Jahre Haft für die Verbreitung von "Falschnachrichten" über das Militär vorsieht. Die Angeklagte bekannte sich nicht schuldig.

Demonstrantin erkennt Schuld nicht an

"Ich erkenne meine Schuld nicht an", sagte Owsjannikowa im Saal des Bezirksgerichts Ostankino, wie eine Journalistin der Nachrichtenagentur AFP berichtete. "Ich bin überzeugt, dass Russland ein Verbrechen begeht", meinte sie weiter. Russland sei "der Aggressor in der Ukraine", fügte sie hinzu.

Ihr Anwalt Daniil Berman hatte eine Anklage auf Grundlage des neuen Mediengesetzes befürchtet, wie er der Nachrichtenagentur AFP am Dienstag sagte. "Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Behörden daran ein Exempel statuieren, um andere Protestierende zum Schweigen zu bringen", betonte Berman. Er beklagte zudem, dass er zu seiner Mandantin keinen Zugang habe und nicht wisse, wo genau sie festgehalten wurde.

Der außergewöhnliche Protest fand am 19. Tag des Kriegs statt, der mit dem Einmarsch des russischen Militärs in die Ukraine am 24. Februar begonnen hat.

 

 

Das russische Parlament hatte vor kurzem ein Gesetz verabschiedet, das bis zu 15 Jahre Haft für die Verbreitung von "Falschnachrichten" über das Militär vorsieht. Damit wurde auch die Bezeichnung des russischen Militäreinsatzes in der Ukraine als "Krieg" unter Strafe gestellt. Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bezeichnete die Aktion der Demonstrantin als "mutig".

Bei der Live-Ausstrahlung der wichtigsten Nachrichtensendung Russlands hatte es am Montag einen ungewöhnlichen Zwischenfall gegeben: Owsjannikowa, eine Mitarbeiterin des Senders, protestierte im Fernsehstudio mit einem Plakat und lauten Rufen gegen den russischen Militäreinsatz in der Ukraine. Nach Angaben der Organisation OWD-Info wurde sie nach dem Vorfall festgenommen.

Live während TV-Nachrichtensendung

Owsjannikowa tauchte während der Sendung "Wremja" des Senders Perwy Kanal plötzlich hinter der Nachrichtensprecherin Jekaterina Andrejewa auf und hielt ein Schild mit der Aufschrift "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen" in die Kamera. Sie rief außerdem "Stoppt den Krieg!", bevor die Live-Übertragung abbrach.

Perwy Kanal ist der wichtigste Fernsehsender des Landes. Die Nachrichtensendung "Wremja" wird seit Jahrzehnten um 21.00 Uhr ausgestrahlt.

Der Sender sprach in einer von der Nachrichtenagentur TASS veröffentlichten Erklärung von einem "Vorfall mit einer fremden Frau während der Aufnahme". Es werde eine interne Untersuchung geben.

Vater Ukrainer, Mutter Russin

In einem zuvor aufgezeichneten Video, das von OWD-Info veröffentlicht wurde, erklärte Owsjannikowa, dass ihr Vater Ukrainer und ihre Mutter Russin sei. Deshalb ertrage sie es nicht, die beiden Länder verfeindet zu sehen. "Leider habe ich in den vergangenen Jahren für Perwy Kanal gearbeitet und Propaganda für den Kreml gemacht. Dafür schäme ich mich heute sehr", postulierte sie.

"Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles erst begann", sagte sie weiter und bezog sich damit offenbar auf die Übernahme der Krim durch Moskau und die Unterstützung der pro-russischen Separatisten in der Ukraine. "Wir sind nicht zu Protesten gegangen, als der Kreml (den mittlerweile inhaftierten Oppositionellen Alexej) Nawalny vergiftete. Wir haben dieses menschenfeindliche Regime einfach schweigend beobachtet. Und jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewandt."

Ein Video der Protestaktion während der Nachrichtensendung verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Online-Netzwerken. Zahlreiche Internetnutzer lobten den "außergewöhnlichen Mut" der Frau. Leonid Wolkow, der Nawalny nahe steht, kündigte auf Twitter an, die Oppositionsbewegung sei "bereit, jede Geldstrafe zu zahlen", die gegen Owsjannikowa verhängt wird.

Der Wortlaut des im Netz verbreiteten Videos in einer dpa-Übersetzung:

"Das, was jetzt in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen. Und Russland ist der Aggressor. Und die Verantwortung für diese Aggression liegt nur auf dem Gewissen eines Menschen - und dieser Mensch ist Wladimir Putin.

Mein Vater ist Ukrainer, meine Mutter ist Russin - und sie waren nie Feinde. Diese Kette an meinem Hals ist wie ein Symbol dafür, dass Russland den Bruderkrieg sofort stoppen muss und unsere Brudervölker sich noch versöhnen können.

In den vergangenen Jahren habe ich leider beim Ersten Kanal gearbeitet und mich mit Kreml-Propaganda beschäftigt. Ich schäme mich jetzt sehr dafür. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass vom TV-Bildschirm gelogen wurde. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass Russen in Zombies verwandelt wurden.

Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles anfing. Wir sind nicht für Demonstrationen rausgekommen, als der Kreml Nawalny vergiftet hat. Wir haben dieses menschenfeindliche Regime einfach nur stillschweigend beobachtet. Jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewendet. Und noch zehn Generationen unserer Nachfahren werden sich von der Schande dieses Brudermord-Krieges nicht reinwaschen können.

Wir, die russischen Menschen, können denken und sind klug. Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Geht demonstrieren. Fürchtet nichts. Sie können uns nicht alle einsperren."

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(Quelle: apa)

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