"Die Situation wird sich leider noch stärker verschlechtern", warnte Tusk. Die Flüchtlingskrise habe das Potenzial zu massiven Veränderungen in der politischen Landschaft. Jedenfalls handle es sich um "außerordentliche Zeiten, die außerordentliche Maßnahmen erfordern - außerordentliche Opfer und außerordentliche Solidarität", sagte Tusk. Wesentlich sei es, dass die EU-Staaten und die Institutionen an einem Strang ziehen.
Das Sonntags-Treffen mit acht EU-Staaten zur Westbalkanroute hätte im Normalfall gar nicht stattfinden müssen, sagte Juncker. "Der Normalfall müsste doch sein, dass die Westbalkanstaaten statt übereinander zu reden miteinander reden würden." Er habe deshalb die Länder gebeten, sich um einen Tisch zu versammeln und die Probleme regional und bilateral anzusprechen.
Juncker fügte sarkastisch hinzu: "Dem Wunsch wurde in fast übertriebener Form Genüge getan". Angesichts von Zwischenmeldungen des Gipfels vom Sonntag hätte nach außen der Eindruck entstehen können, "als ob wir es mit einem Zerwürfnis und einer endgültigen Spaltung der EU in zwei oder mehrere Teile zu tun hätten". Aber "das ist nicht einmal ein Ausnahmefall gewesen. Das ist ein Nicht-Fall gewesen, dass EU-Staaten nicht über gemeinsame Probleme reden. Das zeigt, dass die EU in keinem guten Zustand ist".
Die Aussprache am Sonntag-Gipfel sei "teilweise anstrengend gewesen", so Juncker. Und "nicht jedes Gespräch und nicht jede Wortmeldung entspricht der Qualifizierung eines Dialogbeitrags". Aber er sei trotzdem jedem Teilnehmer dankbar, "dass wir uns insofern zusammengerauft haben", als deutlich gemacht wurde, dass "wir Europa nicht gegeneinander aufbauen können, nur miteinander".
Die Dinge würden sich derzeit nicht schnell genug entwickeln, wobei Juncker die Hotspots nannte. Notwendig sei der unmittelbare Schutz aller ankommenden Flüchtlinge, "damit sie nicht draußen bei Temperaturen unter Null Grad bleiben. Sie brauchen Lebensmittel und Wasser, sanitäre Versorgung und Zivilschutzmechanismen". Das erste konkrete Follow-up vom Sonntag sei gewesen, dass Kroatien den Zivilschutzmechanismus aktiviert habe.
Juncker sprach sich auch dafür aus, dass EU-Staaten, die sich außerordentlich bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise bemühten, Flexibilität bei der Interpretation des Stabilitätspakts im Fall von zusätzlichen Ausgaben erhalten können. Denn der EU-Haushalt sei begrenzt und die Flexibilisierungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Der EU-Kommissionspräsident forderte die Staaten vor dem Gipfel in La Valetta in Malta mit den afrikanischen Partnern auf, "dort nicht mit vollen Taschen nur voller Versprechungen" aufzutreten, sondern die Verpflichtungen auch einzuhalten. "Wir können nicht den ernsthaften verantwortungsbewussten Dialog mit den afrikanischen Cousins aufnehmen, wenn wir selber nicht in der Lage sind, die gegebenen Versprechungen einzulösen".
Juncker unterstrich auch die Bedeutung der Zusammenarbeit mit der Türkei bei der Flüchtlingskrise. "Ob es passt oder nicht, ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen mit der Türkei zusammen arbeiten. Die Türkei braucht drei Milliarden Euro". Ohne eine Einigung mit der Türkei werde die Lage wesentlich schwieriger als es derzeit der Fall sei.
Natürlich könne die EU sagen, angesichts der ungelösten Fragen könne man mit der Türkei keine Vereinbarung treffen. Er teile zwar Kritiken in punkto Menschenrechte und Pressefreiheit, "aber das bringt im Moment nichts". Natürlich werde man in den Gesprächen mit der Türkei die Missstände ansprechen. "Aber wir müssen jetzt konkrete Schritte in einer gemeinsamen Solidarität mit der Türkei einleiten, weil die Türkei dafür sorgt, dass die Flüchtlinge in der Türkei bleiben".
Auch Tusk unterstrich einmal mehr, wie wichtig der Schutz der EU-Außengrenzen sei. "Wir haben noch keine Einigung bisher, wie das operationell konkret gestaltet wird. Aber zumindest in einem Punkt sind wir einig, dass die Priorität darin liegt, die Außengrenzen zu schützen. Die Einigung mit der Türkei ist nur dann sinnvoll, wenn sie einen Beitrag leistet, die Migrationsströme einzudämmen". Es werde keine leichte Zusammenarbeit sein. Ein Drittland inklusive der Türkei "kann nicht für uns unsere Grenzen schützen", so Tusk.
(Quelle: salzburg24)