Welt

Merkels Selbstkritik schlägt hohe Wellen

Deutsche Bundeskanzlerin: "Die Wiederholung der Situation will niemand, auch ich nicht"
Veröffentlicht: 20. September 2016 09:25 Uhr
Die Selbstkritik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Bezug auf Versäumnisse ihrer Regierung im Umgang mit der Flüchtlingskrise 2015 hat international für Schlagzeilen gesorgt. Merkel gestand am Montag, wenn sie die Zeit zurückdrehen könnte, vieles anders machen würde. Deutschland hätte besser auf die Flüchtlingskrise vorbereitet sein sollen.

Sie werde nun dafür kämpfen, dass eine solche Krise nicht mehr passieren könne. "Die Wiederholung der Situation will niemand, auch ich nicht." Es müsse aber auch gesehen werden, dass immer weniger Flüchtlinge nach Deutschland kämen.

CSU findet lobende Worte für Merkel

Die mitregierenden bayrischen Christdemokraten (CSU) haben die Selbstkritik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik begrüßt und als Ankündigung eines Schwenks gewertet. "Das halte ich für einen hochrespektablen Akt", sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende, Agrarminister Christian Schmidt, der Deutschen Presse-Agentur.

Bayerns Finanzminister Markus Söder lobte: "Ein Kurswechsel kündigt sich an. Die Aussagen der Kanzlerin sind schon beachtlich. Das ist ein richtiger Ansatz." In der "Welt" (Dienstag) fügte er hinzu. "Aber natürlich müssen den Worten Taten folgen." Die von Merkel erneut abgelehnte CSU-Forderung nach einer Obergrenze für den Flüchtlingszuzug sei nicht verhandelbar.

Im Streit um diesen Punkt mahnte die Chefin der CSU-Bundestagsgruppe, Gerda Hasselfeldt, beide Parteien zur Einigung. "In dem einem Punkt, wo CDU und CSU nicht beisammen sind, müssen wir jetzt zügig eine gemeinsame Sprachregelung finden", sagte sie der "Rheinischen Post" (Dienstag). "Ob Obergrenze, Richtwert oder Orientierungsgröße - CDU und CSU haben das gleiche Ziel: die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren und zu begrenzen."

So kommentiert die Presse Merkels Selbstkritik

"De Telegraaf" (Amsterdam):

"Nach einer ganzen Reihe von Wahlniederlagen rudert Merkel nun zurück. Sie distanziert sich von ihrem im Inland wie im Ausland geschmähtes Motto 'Wir schaffen das', mit dem sie eineinhalb Millionen - vor allem islamische - Flüchtlinge nach Deutschland eingeladen hatte. (...)

Die Bundeskanzlerin, die bereits zehn Jahre an der Macht ist, räumt nun ein, dass ihre Überzeugungen manche Wähler provoziert haben. Derweil schließt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, der Chef der CDU-Schwesterpartei CSU, nicht mehr aus, dass er sich um das Kanzleramt bemühen und gegen Merkel antreten könnte. Mit dieser Drohung hat Seehofer der Regierungschefin die Daumenschrauben angelegt. Sowohl Seehofer als auch die AfD treiben Merkel vor sich her."

"El Pais" (Madrid):

"Die Pleite der CDU in Berlin bestätigt die Konsolidierung des Extremismus (...) Die Ergebnisse in der deutschen Hauptstadt sind auch für die SPD schlecht. Obwohl diese das Gesicht wird wahren können, wenn Michael Müller es schafft, den Bürgermeisterposten zu behalten. Die Sozialdemokraten haben trotz des Sieges im Vergleich zur letzten Wahl sieben Punkte verloren. Die Tatsache, dass ihr historischer Rivale eine noch größere Schlappe erlitten hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die extremistischen Parteien sowohl von rechts als auch von links die großen Nutznießer dieser Wahl sind. Es ist eine gefährliche Tendenz. Die großen Parteien Deutschlands werden in den nächsten Monaten größte Anstrengungen unternehmen müssen, um zu verhindern, dass der populistische Diskurs bei der Bundestagswahl von 2017 die politische Stabilität bedroht."

"Neue Zürcher Zeitung":

"Sie versuchte so den doppelten Brückenschlag: jenen zu den Kritikern ihrer Flüchtlingspolitik in den Unionsparteien und jenen zu den Wählern, die sich von der lange als so rational handelnden, für Kontrolle, Sicherheit und Gewissheit stehenden Kanzlerin in den zurückliegenden Monaten enttäuscht abgewandt hatten. (...)

Ein Jahr vor der Bundestagswahl und vor entscheidenden Wochen beim Versuch, den Streit mit der CSU mit Blick auf die Parteitage der Unionsparteien zu beenden, war dies wohl der letzte Moment für eine solche Analyse. Noch lässt Merkel offen, ob sie 2017 erneut für die Kanzlerkandidatur zur Verfügung steht - ihre Partei, die Konkurrenz und die Medien ergehen sich in Deutungen und Spekulationen. Merkels trotzige Demut ist für sich genommen kein eindeutiges Signal. Aber sie lässt auf jeden Fall nicht erkennen, dass ihr die Interpretation ihrer Politik gleichgültig geworden wäre."

"Magyar Idök" (Budapest):

"Die Niederlagen der CDU bei den (letzten) Landtagswahlen haben ihre Wirkung auf Merkel nicht verfehlt. In mehreren ihrer Erklärungen sprach sie über die Verschärfung des Asylrechts und sogar darüber, dass sich 2015 nicht wiederholen darf. Am Tag vor der Berliner Wahl distanzierte sie sich in einem Interview vom Narrativ des 'Wir schaffen das'. (...) Nach der fünften und zugleich letzten Regionalwahl des Jahres 2016 bleibt Merkel die Verliererin ohne Alternative. Der CDU-Parteitag wird sie im Dezember mit großer Wahrscheinlichkeit erneut zur Parteivorsitzenden wählen. Nach der bisherigen Praxis bedeutet das, dass sie dann auch die Kanzlerkandidatin (für die Bundestagswahl im nächsten Jahr) sein wird."

"Hospodarske noviny" (Prag):

"Angela Merkel zu beerdigen zählt zum ständigen Repertoire all jener, die ihre einzigartige Menschlichkeit gegenüber Kriegsflüchtlingen kritisieren. Es gehört schon zum Ritual, wenn die deutschen Christdemokraten, deren Vorsitzende Merkel ist, bei Landtagswahlen einen Misserfolg erleiden, wie jüngst in Mecklenburg-Vorpommern oder jetzt am Wochenende in Berlin. Dann macht sich auf dem gesamten europäischen Kontinent Schadenfreude breit. Doch der nähere Blick auf die bundespolitische Szene in Deutschland zeigt, dass es für Merkel trotz der Misserfolge bei den Landtagswahlen längst nicht so kritisch steht, dass sie nicht an einen Sieg bei der Bundestagswahl im übernächsten Jahr denken könnte. Dann wird wirklich über ihre Politik entschieden werden."

(APA)

(Quelle: salzburg24)

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