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Rückblick auf vier Jahre Prozess gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund"

Veröffentlicht: 25. Juli 2017 14:34 Uhr
2013 begann der Prozess gegen die Terror-Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ kurz NSU in München. Hauptangeklagte im Prozess ist Beate Zschäpe. Am Dienstag haben die Plädoyers in einem der längsten Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte begonnen. Wir geben euch einen kurzen Überblick über den bisherigen Prozessverlauf.
Jacqueline Winkler

Die Rechtsextremisten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sollen laut deutscher Bundesanwaltschaft jahrelang unerkannt gemordet haben. Das Trio aus Jena tauchte demnach nach einer Razzia in seiner Bombenwerkstatt 1998 ab und gründete eine Terrorgruppe.

Zehn Morde und ein Bombenanschlag

Zwischen 2000 und 2007 erschoss die Gruppe nach Erkenntnissen der Ermittler neun türkisch- und griechischstämmige Kleinunternehmer und eine Polizistin. Mit Sprengstoffanschlägen sollen sie Dutzende verletzt haben. Spätestens von 2001 an nannte sich das Trio NSU.

Mundlos und Böhnhardt töteten sich im November 2011 nach einem Banküberfall, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Zschäpe stellte sich der Polizei. Seit Mai 2013 muss sie sich vor dem Münchner Oberlandesgericht verantworten. Ihr wird eine Mittäterschaft an den zehn Morden zur Last gelegt.

NSU - Neonazi-Terror in Deutschland Salzburg24
NSU - Neonazi-Terror in Deutschland

Wer ist Beate Zschäpe?

Die mittlerweile 42-Jährige tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Zeugen beschreiben Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied.

Die Anklage

Die deutsche Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe Mittäterschaft bei sämtlichen Taten der NSU vor: Zschäpe habe gemeinschaftlich mit den gestorbenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unter anderem zehn Morde begangen. In der Anklage beschrieb Bundesanwalt Herbert Diemer das Konzept des NSU. Demnach sollten Menschen südeuropäischer, vornehmlich türkischer Herkunft "willkürlich ausgewählt und durch hinrichtungsgleiche Erschießungen getötet werden".

Der Prozess von 2013 bis 2015

Eine eisern schweigende Hauptangeklagte, offensive Verteidiger und strenge Sicherheitsvorkehrungen: 13 Jahre nach dem ersten Mord der rechtsextremen Terrorgruppe NSU begann im Mai 2013 der Prozess um die Verbrechensserie. In dem Verfahren vor dem Münchner Oberlandesgericht müssen sich neben der Hauptangeklagten Beate Zschäpe vier mutmaßliche Helfer des NSU verantworten. Zschäpe muss sich als Mittäterin bei allen Taten der Terrorzelle verantworten. Ihr droht lebenslange Haft.

Der ehemalige Funktionär der rechtsextremen NPD, Ralf Wohlleben, sowie Carsten S. sind wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. André E. und Holger G. wird die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.

6. Mai 2013: In München beginnt der Prozess gegen die Terrorgruppe NSU.

22. August: Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages legt seinen Abschlussbericht vor. Er wirft den Sicherheitsbehörden schwere Versäumnisse bei den Ermittlungen gegen die Terrorzelle vor.

16. Juli 2014: Zschäpe gibt an, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre Pflichtverteidiger. Wenige Tage später lehnt das Gericht ihren Antrag auf neue Anwälte ab.

21. August: Ein Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags kommt in seinem Abschlussbericht zu der Einschätzung, dass die Mordserie hätte verhindert werden können, wenn die Ermittlungsbehörden nicht so gravierende Fehler begangen hätten. Es liege der "Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertreibens des Auffindens der Flüchtigen" nahe.

Weil Zschäpe nicht redet, muss das Gericht in mühevoller Kleinarbeit versuchen, ein Puzzle mit Tausenden Teilen zusammenzusetzen: Wusste Zschäpe von den Morden und Anschlägen des NSU? War sie im juristischen Sinne tatsächlich Mittäterin, wie es ihr die deutsche Bundesanwaltschaft vorwirft, etwa weil sie für die jahrelang funktionierende Tarnung sorgte? Dann könnte sie als Mörderin bestraft werden. In einem Fall ist die Täterschaft Zschäpes ziemlich unbestritten: Sie hat, daran gibt es keine ernsthaften Zweifel, im November 2011 die letzte gemeinsame Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand gesteckt. Aber hat Zschäpe noch an der Wohnungstür der alten Nachbarin geklingelt? Oder nahm sie bewusst und billigend deren Tod in Kauf - und den zweier Handwerker, die im Haus beschäftigt und nur zufällig zum Zeitpunkt der Explosion nicht anwesend waren?

Das zweite große Anliegen, das der NSU-Prozess versuchen muss zu befriedigen: Der Wunsch der Nebenkläger nach weiterer Aufarbeitung von Hintergründen der Verbrechensserie und des Versagens der Behörden.

6. Juli 2015: Das Oberlandesgericht München ordnet Zschäpe auf eigenen Wunsch den Anwalt Mathias Grasel als vierten Pflichtverteidiger bei.

20. Juli: Zschäpes andere Verteidiger beantragen, von ihren Pflichtmandaten entbunden zu werden. Das Gericht lehnt das ab.

31. Juli: Zschäpe scheitert zum dritten Mal mit ihrem Ansinnen, ihre ursprünglichen Verteidiger loszuwerden.

Zschäpe hat nach zweieinhalb Jahren ihr Schweigen gebrochen. In ihrer Aussage wies sie eine direkte Beteiligung an der Mordserie der Neonazi-Terrorgruppe ab. "Ich war weder an den Vorbereitungshandlungen noch an der Tatausführung beteiligt", erklärte sie. Sie beteuerte, sie habe von den Morden immer erst im Nachhinein erfahren. Sie habe Mundlos und Böhnhardt dennoch nicht verraten. "Die beiden waren meine Familie." Zschäpe bat die NSU-Opfer und deren Angehörigen um Entschuldigung. "Ich weise den Vorwurf, ich sei ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung namens NSU gewesen, zurück", schrieb Zschäpe in dem von ihrem Pflichtverteidiger Matthias Grasel verlesen Text. "Ich hatte mit den Morden nichts zu tun." Zschäpe gestand, an diesem Tag die letzte Fluchtwohnung der Gruppe in Zwickau in Brand gesetzt zu haben. Vor der Brandstiftung sei sie durchs Haus gegangen, um sicherzustellen, dass sich niemand mehr darin befinde.

2016: Zschäpe schreibt sich passive Rolle in NSU zu

Beate Zschäpe hat sich nach eigener Darstellung in der rechtsextremen Gruppe resigniert in den Alkohol geflüchtet. "Für mich waren die Tage nur mit dem Konsum von Sekt, den ich bei Aldi oder Penny kaufte, erträglich", ließ Zschäpe ihren Verteidiger Hermann Borchert vor dem Oberlandesgericht München erklären. Sie schreibt sich eine passive Rolle in der NSU zu.

Drei Jahre NSU-Prozess: Hunderte Zeugen befragt, Tausende Aktenseiten studiert und Hunderte Anträge sind gestellt worden. Jeder der knapp 300 Prozesstage kostete geschätzt 150.000 Euro, der gesamte Prozess somit bisher deutlich über 40 Millionen Euro. Zwei Richter schieden aus, ihre Plätze nahmen Ersatzrichter ein, von denen der Senat vorsorglich drei bestellt hatte.

Beate Zschäpe hat im Münchner NSU-Prozess zum ersten Mal persönlich das Wort ergriffen. Sie verlas eine kurze Erklärung, in der sie einräumte, sich früher "durchaus mit Teilen des nationalistischen Gedankenguts" identifiziert zu haben. Dies sei heute jedoch nicht mehr so.

2017: Keine Verbindung zu Mordfall Peggy

Der Verdacht einer neuen Ermittlerpanne im deutschen Mordfall Peggy hat sich bestätigt. Das in der Nähe der Leiche der Neunjährigen gefundene DNA-Material des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt wurde von der Polizei versehentlich selbst an den Tatort gebracht, wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwoch sagten. Einen Zusammenhang zwischen dem für die NSU-Mordserie mit zehn Toten mitverantwortlichen Böhnhardt und der Schülerin schlossen die Ermittler definitiv aus.

(APA)

(Quelle: salzburg24)

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