Bei der russischen Präsidentenwahl ist es am Wochenende im In- und Ausland zu Protesten gegen die Herrschaft von Amtsinhaber Wladimir Putin gekommen. Vor Wahllokalen bildeten sich Sonntagmittag in einzelnen Städten lange Warteschlangen. Anhänger des gestorbenen Oppositionellen Alexej Nawalny hatten dazu aufgerufen, um 12.00 Uhr wählen zu gehen und damit ein unverfängliches Protestzeichen zu setzen. Das Bürgerrechtsportal OVD-Info zählte mindestens 74 Festnahmen.
Reuters-Reporter sahen am Sonntag an Wahllokalen in Moskau und Jekaterinburg einen leicht ansteigenden Zustrom, darunter viele jüngere Menschen. Unter den jeweils mehreren Hundert Wartenden sagten einige, sie seien dem Protestaufruf gefolgt. Die Behörden hatten vor Protestaktionen gewarnt und mit einem harten Durchgreifen gedroht. An diplomatischen Vertretungen im Ausland etwa in Kasachstan und Georgien reihten sich ebenfalls Hunderte russische Bürger zum Wählen ein.
Oppositionspolitiker bei Protestaktion „Mittag gegen Putin“
Auch der von der Präsidentenwahl ausgeschlossene Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin beteiligte sich an der friedlichen Protestaktion "Mittag gegen Putin". Im Moskauer Institut für Physik und Technik, wo ein Wahllokal ist, wurde er mit großem Applaus von Studenten empfangen, wie ein von ihm am Sonntag bei Telegram veröffentlichtes Video zeigt. "Ich denke, ihr werdet noch die Chance haben, für mich zu stimmen", sagte er den Versammelten. Er kündigte die Veröffentlichung eigener Nachwahlbefragungen nach Schließung der Wahllokale an. Deren Ergebnisse unterschieden sich stark von dem, was die Obrigkeit erwartet habe, sagte er.
Nawalnys Witwe wählt in russischer Botschaft in Berlin
Die Witwe Nawalnys, Julia Nawalnaja, reihte sich in die Warteschlange vor der russischen Botschaft in Berlin ein. Die Menschen klatschten, Nawalnaja wurden Blumen überreicht. Sie hatte zu einer Protestaktion am letzten Wahltag aufgerufen, bei der Gegner von Staatschef Wladimir Putin in Massen zu den Wahllokalen strömen sollen.
Störversuche an ersten beiden Wahltagen
An den ersten beiden Wahltagen am Freitag und Samstag war es nach Behördenangaben zu mehreren Protestaktionen und Störversuchen gekommen. In 20 Fällen hätten Personen Flüssigkeiten in Wahlurnen geschüttet, um die Stimmzettel unbrauchbar zu machen, hatte die Wahlkommission mitgeteilt. Außerdem habe es Brandstiftungsversuche gegeben.
Nawalnys Team beklagte massenhaften Betrug bei der Abstimmung. Die Aktion gegen Putin sollte laut dem Nawalny-Team auch zeigen, dass die Angaben zur Wahlbeteiligung auch laut vielen unabhängigen Beobachtern manipuliert sind.
Russische Behörden warnen vor Protestaktion
Teils hatten die Behörden in Russland vor solchen Protestaktionen gewarnt und den Menschen mit Anzeigen wegen Extremismus gedroht. In den sozialen Medien veröffentlichten Wähler Stimmzettel, auf denen neben Putins Namen das Wort Mörder stand. Manche schrieben demnach auch einfach den Namen Nawalnys auf den Stimmzettel. Ein älterer Mann sagte mit Blick auf den im Februar gestorbenen Oppositionsführer: "Mein Präsident ist schon nicht mehr unter den Lebenden". Nawalny ist in Moskau beerdigt.
Auch andere Putin-Gegner wie der im Exil in Großbritannien lebende russische Geschäftsmann Michail Chodorkowski riefen die Menschen auf, keine Angst zu haben und an der Aktion teilzunehmen.
Putin will weitere sechs Jahre Russlands Präsident sein
Putin will sich mit der Abstimmung für weitere sechs Jahre im Amt bestätigen lassen. Die Wahl gilt als weder frei noch fair. Zustimmungswerte von mehr als 80 Prozent für Putin gelten zwar als realistisch. Dennoch stehen Behörden unter Druck, möglichst gute Ergebnisse zu seinen Gunsten zu melden. Am Sonntag gaben die Behörden den Zwischenstand der Wahlbeteiligung mit mehr als 60 Prozent an. Die letzten Wahllokale schließen am Abend um 19.00 Uhr (MEZ) in der russischen Exklave Kaliningrad. Offizielle Prognosen werden unmittelbar danach erwartet.
Die drei von der Putin-treuen Parlamentsopposition aufgestellten Bewerber gelten als reine Zählkandidaten. Putins politischen Gegner wurden von einer Kandidatur ausgeschlossen oder kamen plötzlich ums Leben wie Nawalny.
(Quelle: apa)