Die Türkei werde die Grenzen nicht länger für Flüchtlinge schließen, "die nach Europa wollen", sagte ein ranghoher Regierungsvertreter am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. Bereits zuvor hatten türkische Medien berichtet, die Türkei habe ihre Grenzen zu Griechenland und Bulgarien "geöffnet". Später am Freitag dementiert ein Sprecher diese Aussage.
Warnung vor zunehmenden Flüchtlingsstrom
Ministeriumssprecher Aksoy warnte aber, dass die Migrationsbewegungen in der Türkei Richtung Außengrenzen "im Falle einer Verschlechterung der Situation" stetig zunehmen könnten. Die Entwicklungen in der syrischen Stadt Idlib und die Massenvertreibungen dort hätten "den Migrationsdruck, der auf unserem Land lastet" noch erhöht. Dies hätten auch die Flüchtlinge und Migranten im Land verfolgt, so dass sie nun angefangen hätten, "sich in Richtung unserer westlichen Grenzen zu bewegen".
Griechenland und Bulgarien verschärften daraufhin die Grenzkontrollen Richtung Türkei. Das griechische Staatsfernsehen (ERT) zeigte am Freitag Bilder von Hunderten Menschen, die auf der türkischen Seite des Grenzübergangs von Kastanies/Pazarkule nahe der türkischen Stadt Edirne auf eine Gelegenheit warteten, nach Griechenland zu kommen.
Erdogan drohte mehrfach Grenzen zu öffnen
Die Türkei hat in den vergangenen Jahren 3,7 Millionen Flüchtlinge aus dem 2011 begonnenen syrischen Bürgerkrieg aufgenommen, zuletzt aber ihre Grenzen geschlossen. Die EU sagte Ankara 2016 daraufhin sechs Milliarden Euro für die Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu. Dies war Teil eines Flüchtlingspaktes, der die türkische Seite verpflichtete, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Migranten zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen.
Die Türkei kritisierte die Auszahlung der Gelder regelmäßig als zu langsam, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte auch bereits mehrfach mit der Aufkündigung des Flüchtlingspaktes gedroht. Die EU wies die Vorwürfe zurück.
Tote bei Luftangriffen
Bei Luftangriffen auf Stellungen der türkischen Armee in der nordwestsyrischen Provinz Idlib wurden nach türkischen Angaben mindestens 29 Soldaten getötet. Als Vergeltung griff die türkische Armee in der Nacht auf Freitag Stellungen der Assad-Truppen an. Alle bekannten Ziele der syrischen Regierungstruppen in der Region seien von der türkischen Armee aus der Luft sowie vom Boden aus angegriffen worden, teilte Erdogans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun mit. Diese Angriffe würden von der türkischen Armee fortgeführt. "Unsere tapferen Soldaten werden gerächt werden", erklärte Altun. Er appellierte zugleich an die NATO und die internationale Gemeinschaft, die von den syrischen Regierungstruppen in Idlib begangenen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu stoppen.
Konflikt zwischen Türkei und Syrien
Der Sprecher der in der Türkei regierenden AK-Partei Erdogans, Ömer Celik, sagte im Fernsehen, die NATO müsse an der Seite der Türkei stehen. Der Artikel 4, unter dem das für Freitagvormittag angesetzte Treffen einberufen wurde, besagt, dass jeder Alliierte jederzeit um Beratungen bitten kann, wenn seiner Meinung nach "die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist".
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg rief die Konfliktparteien in Nordwestsyrien zur Deeskalation auf. Sie müssten die "gefährliche Lage" entschärfen und eine weitere Verschlimmerung der "schrecklichen humanitären Lage" in der Region vermeiden, erklärte Stoltenberg nach Angaben seiner Sprecherin Oana Lungescu. Der NATO-Generalsekretär hatte zuvor mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu telefoniert. Die Türkei ist im Gegensatz zu Syrien NATO-Mitglied.
Todesopfer auf beiden Seiten
Der Gouverneur der an Syrien angrenzenden türkischen Region Hatay, Rahmi Dogan, teilte mit, dass es bei den Luftangriffen auf türkische Stellungen in Idlib neben den 29 Toten noch weitere 36 verletzte türkische Soldaten gegeben habe. Sie seien in Hatay ins Krankenhaus gebracht worden. In einer vorherigen Zwischenbilanz hatte der Gouverneur noch von 22 Todesopfern unter den türkischen Verbänden gesprochen.
Mit den jüngsten Todesopfern sind in diesem Monat den türkischen Angaben zufolge bereits mindestens 49 türkische Soldaten in Syrien getötet worden. Die Türkei hat im Rahmen eines im Jahr 2018 geschlossenen Abkommens mit Russland zwölf militärische Beobachtungsposten in der Provinz Idlib. Präsident Erdogan hatte die Regierung in Damaskus wiederholt aufgefordert, ihre Truppen aus dem Umfeld der türkischen Posten abzuziehen. Der türkische Staatschef setzte dafür eine Frist bis Monatsende, also bis diesen Samstag.
In Idlib und benachbarten Provinzen im Nordwesten Syriens geht die syrische Armee seit Dezember mit militärischer Unterstützung Russlands verstärkt gegen islamistische und jihadistische Milizen vor. Assad will die letzte Milizen-Hochburg im Land wieder unter seine Kontrolle bringen. Ein Teil der Rebellengruppen in Idlib wird von der Türkei unterstützt. Im Zuge der Offensive war es der syrischen Regierungsarmee in den vergangenen Wochen gelungen, mehrere Ortschaften in Idlib unter Kontrolle zu bringen. Von der Türkei unterstützte Milizen eroberten am Donnerstag jedoch die strategisch wichtige Stadt Saraqeb zurück.
Zehntausende Menschen auf der Flucht
Seit Anfang Dezember sind nach UNO-Angaben rund 950.000 Menschen aus den umkämpften Gebieten in Nordwestsyrien geflohen, darunter eine halbe Million Kinder. Viele von ihnen leben unter katastrophalen Bedingungen in der Grenzregion zur Türkei. Kaltes Winterwetter verschärft die Lage. Der russische Botschafter bei der UNO, Wassili Nebensja, erklärte jedoch, andere Sicherheitsratsmitglieder versuchten, "die Situation zu dramatisieren".
Millionen Flüchtlinge in Türkei
Die Türkei hat in den vergangenen Jahren 3,7 Millionen Flüchtlinge aus dem 2011 begonnenen syrischen Bürgerkrieg aufgenommen, zuletzt aber ihre Grenzen geschlossen. 2015/16 kam es in Europa zu einer sogenannten Flüchtlingskrise, bei der Hunderttausende Menschen aus Syrien, aber auch anderen Staaten Asiens und Afrikas nach Europa kamen. Die EU sagte Ankara 2016 daraufhin sechs Milliarden Euro für die Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu. Dies war Teil eines Flüchtlingspaktes, der die türkische Seite verpflichtete, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Migranten zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen.
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat sich angesichts der eskalierenden Situation in der umkämpften syrischen Grenzregion Idlib besorgt geäußert und erneut eine umgehende Waffenruhe gefordert.
(Quelle: salzburg24)