Von Terror- zur Mondrakete

Was die Mondlandung mit den Nazis zu tun hatte

Veröffentlicht: 15. Juli 2019 10:21 Uhr
Der Vorgänger der Rakete, die Neil Armstrong, Edwin Aldrin und Michael Collins mit "Apollo 11" zum Mond brachten, war die "Vergeltungswaffe 2" (V2) der Nazis, mit der sie London, Antwerpen und Paris bombardierten. Der "große Schritt für die Menschheit" war zwar eine Errungenschaft für die Zivilisation, hatte aber eine gewalterfüllte Vorgeschichte, so der Historiker Bertrand Perz.

Die Geschichte begann in Deutschland ganz unverfänglich mit einer großen Euphorie für Raketen und einem Stummfilm, berichtet Perz, der am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien forscht. Er hieß "Frau im Mond", hatte einen äußerst romantischen Plot, war aber technisch und wissenschaftlich auf dem letzten Stand, unter anderem, weil man sich den Siebenbürgener Raketenpionier Hermann Oberth als Berater holte.

Dieser war zwar ein "Garagenbastler", hatte aber bahnbrechendes über Stufenraketen veröffentlicht und beschrieben, wie man die Erdanziehungskraft überwinden kann. Er sollte zur Filmpremiere in Berlin 1929 eine Rakete 50 Kilometer weit ins All schicken. Oberth versuchte dies mit ein paar jungen Raketenenthusiasten, die in einem "Verein für Raumschifffahrt" zusammengeschlossen waren, darunter auch der in der späteren V2- und Apollo-Entwicklung maßgeblich beteiligte Wernher von Braun. Das Projekt scheiterte zwar, aber die Raketenbegeisterung war damals in der Öffentlichkeit groß, der Boulevard berichtete breit über das Thema.

Mondlandung: NS-Forschung leistet Hilfe

Dies änderte sich schlagartig, als die Nazis an die Macht kamen. Der Enthusiasmus der neu geschaffenen Wehrmacht beschränkte sich ab 1933 darauf, die Raketen als Waffen zu entwickeln, so Perz. Viele der Mitglieder des Raumschifffahrtsvereins fanden sich ein paar Jahre später im eigens geschaffenen Großforschungszentrum des Heeres in Peenemünde auf der Ostsee-Halbinsel Usedom ein, um Boden-Boden Raketen als Waffen zu bauen. Der junge Wernher von Braun wurde technischer Direktor und leitete die Entwicklung. Er war Mitglied in der "Schutzstaffel (SS)" und in der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP)". Als die Raketen 1943 in Serienproduktion gehen sollte, wurden in Peenemünde für den Raketenbau Insassen von Konzentrationslagern (KZ) als Zwangsarbeiter eingesetzt.

Die Nazis konnten die exponierte Versuchsanstalt nach alliierten Bombenangriffen im August 1943 nur mehr eingeschränkt nützen, das galt auch für geplante Produktionsstandorte wie in Wiener Neustadt in den Rax-Werken, wo KZ-Häftlinge aus Mauthausen für den Aufbau herangezogen wurden, berichtete Perz. Tests und Raketenbau wurden in den Untergrund, genauer gesagt in die Stollen des sogenannten "Mittelwerks" im Harzgebirge verlegt. Die Arbeiter rekrutierte man aus dem KZ Buchenwald, von wo von Braun teils selbst geeignete Häftlinge aussuchte, und sperrte sie in ein Außenlager namens "Arbeitslager Dora". Die menschenunwürdigen Bedingungen kosteten nach offizieller Zählung 12.000, nach neueren Schätzungen 20.000 Zwangsarbeitern das Leben. Von Braun ist laut einem Überlebenden an neben der Ambulanzbude aufgehäuften "Häftlingen, die das Arbeitsjoch und der Terror der rachsüchtigen Aufseher zu Tode gequält hatten" vorbeigegangen, "so nahe, dass er die Leichen fast berührte".

Terrorwaffe im Zweiten Weltkrieg

Er leitete dort die Entwicklung der Flüssigrakete "Aggregat 4", die Propagandaminister Joseph Goebbels nach Angriffen auf London "Vergeltungswaffe 2" taufte. Sie war das erste vom Menschen konstruierte Objekt, das die Grenze zum Weltraum in 100 Kilometern Höhe durchstieß. Sie war eine reine Terrorwaffe, denn ihre Kursgenauigkeit war viel zu schlecht, um auf militärische Objekte zu zielen. Die Nazis setzten sie gegen die Zivilbevölkerung großer Städte wie London und Antwerpen, aber auch Paris und Maastricht ein, die ein leichtes Ziel waren. Insgesamt wurden etwa 3.200 Raketen abgefeuert, die mehr als 8.000 Menschen töteten.

"Für die Fortsetzung der Raketenentwicklung, insbesondere der von Braun geplanten Interkontinentalraketen, mit denen Amerika beschossen werden sollte, mussten ab Herbst 1943 tausende KZ-Häftlinge aus Mauthausen an einem unterirdisches Forschungszentrum bei Ebensee im Salzkammergut bauen", sagte Perz. Die Nazis änderten aber zwischendurch ihre Pläne und verwendeten die Stollen für andere Rüstungszwecke. Außerdem wurden in Redl-Zipf in Oberösterreich mit KZ-Häftlingen Brauereistollen für Raketentests und -treibstoffproduktion adaptiert.

Kritik an Nazi-Vergangenheit

Nachdem die Nazis den Krieg verloren hatten, eilte von Braun mit vielen seiner Mitarbeiter in die von den Amerikanern besetzten Gebiete und stellte sich diesen in Reutte, Tirol. Die Amerikaner würdigten dies und das Wissen um den Raketenbau von ihm und seinen Leuten. Im Rahmen der geheimen Aktion "Paperclip" wurden die deutschen Techniker in den USA aufgenommen und waren maßgeblich an der Entwicklung von Raketen beteiligt. Jegliche Strafverfolgung blieb aus. Von Braun wurde amerikanischer Staatsbürger und baute sich dort eine neue Existenz auf.

Als die Amerikaner das Rennen zum Mond am 21. Juli 1969 gegen die Sowjets gewonnen hatten, wurde von Braun zum Nationalhelden. Er war ein großartiger Manager, kannte sich in der Materie aus und konnte sich unter anderem mit Hilfe von Walt Disney sehr gut vermarkten. Kritik an seiner Nazi-Vergangenheit trat nur in homöopathischen Dosen auf. So wagte etwa der US-Liedermacher Tom Lehrer in seinem Song "Wernher von Braun" zu lästern: "der gute alte Amerikaner Wernher vom Braun", gäbe sich unpolitisch und sagt "wenn die Raketen einmal oben sind, wen kümmert',s wo sie runterkommen, das ist nicht mein Arbeitsgebiet".

Österreicher wollen Teil des Ruhmes

Auch in Deutschland und in Österreich "beschlagnahmten" manche Leute einen Teil des Ruhms. Immerhin hätten die Amerikaner ohne "einem von ihnen" nicht die Reise zum Mond geschafft. Dass dieser seine Expertise mithilfe von KZ-Insassen und Zwangsarbeitern erlangt hatte, wurde verdrängt, die meisten wussten es auch noch nicht. Wie so viele andere gab sich von Braun als begeisterter Techniker, der von den Nazi-Verbrechen nichts mitbekommen hatte. Ersteres war wahr, zweiteres schlichtweg gelogen.

Wernher von Braun starb 1977, die KZ-Forschung folgte erst in den 1980er-Jahren. Was sie über Leute wie Wernher von Braun zutage brachte, machte das Verdrängen und Vergessen schwerer. Auf Initiative der US-Senatorin Elisabeth Holtzman, wurden viele ehemalige Nazis ausgewiesen, unter anderem einer der engsten Mitarbeiter von Brauns, Arthur Rudolph. Durch das "Holtzman Amendment" kam übrigens auch Kurt Waldheim auf die "Watchlist" und durfte nicht mehr in die USA einreisen.

Bedarf an Aufarbeitung gegeben

In Deutschland wurde man den neuen Erkenntnissen ebenso gerecht. Schulen, Straßen und Institutionen, die nach Wernher von Braun benannt waren, bekamen einen neuen Namen. Die Geschichte seiner Nazi-Vergangenheit wurde in den Medien aufgearbeitet.

Auch heute, in der Euphorie des Mondlande-Jubiläums, sei es wichtig darauf hinzuweisen, dass einige der beteiligten Techniker zuvor in Gewaltsysteme involviert waren, sagte Perz. In der Fachwissenschaft sei dies zwar wohlbekannt, in der Allgemeinheit aber weniger. Er sieht auch bei anderen Technikern wie den Flugzeugingenieuren Willy Messerschmitt und Ernst Heinkel noch Bedarf, zum Beispiel in den Museen nicht nur ihre "technisch geilen Produkte" abzubilden, während "ihre gesamte politische und gesellschaftliche Involvierung in den Nationalsozialismus in den Hintergrund gedrängt wird".

(Quelle: apa)

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