Sportwelt

Borgonovo und der Kampf gegen ALS – Liebeserklärung des Fußball-Poeten

Veröffentlicht: 14. März 2016 10:24 Uhr
Spätestens seit der Ice-Bucket-Challenge ist die tödliche und unheilbare Nervenkrankheit ALS ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt. In Italien wird nun ein Fußballplatz nach dem verstorbenen Kicker Stefano Borgonovo benannt, während sich der künftige Bayern-Trainer Carlo Ancelotti um das außergewöhnliche Vermächtnis seines Freundes kümmert.

Ancelotti war tief ergriffen und machte aus seinen Gefühlen keinen Hehl. Selbst Monate nach dem Tod seines Freundes Stefano Borgonovo stiegen dem damaligen Trainer von Real Madrid allein beim Namen seines früheren Teamkollegen die Tränen in die Augen. Ja, schluchzte der weltweit erfolgreichste Klubtrainer im Herbst 2013 bei einer Pressekonferenz in Madrid. Sein Kumpel habe gekämpft, sehr sogar, mehr als jeder andere vielleicht. Doch es half nichts. Dann kullerten Tränen über seine Wangen.

Von 100.000 Menschen erkranken pro Jahr weltweit etwa ein bis drei neu an ALS. In Österreich sind Schätzungen zufolge 800 bis 900 Menschen von der Nervenkrankheit betroffen.

Ancelottis Tränen standen stellvertretend für die Trauer der Fußball-Community über Borgonovos Tod. Der ehemalige italienische Teamstürmer und Meistercupsieger mit Milan hatte acht Jahre unermüdlich gegen die unheilbare Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) gekämpft. Am 27. Juni 2013, im Alter von 49 Jahren, schloss der Italiener für immer die Augen.

Borgonovo und der ewige Kampf gegen ALS

Dieser Tage gedenkt Italien abermals seinem ehemaligen Klassestürmer, der zur weltweiten Ikone im Kampf gegen ALS geworden ist. Drei Jahre nach seinem Tod widmet sein Heimatverein Como ihm eine Piazza, genau genommen den Platz vor dem legendären Stadio Giuseppe Sinigaglio in Como, wo er debütiert hatte. Donnerstag, am Tag seines 52. Geburtstages, wird der "Largo Stefano Borgonovo", eingeweiht. Einen Monat darauf folgt die Einweihung der Piazza vor dem Stadio Artemio Franchi in Florenz, wo Borgonovo mit Roberto Baggio in den 90er Jahren für Furore gesorgt hat. Straßennamen in Pescara und Mailand, wo Borgonovo ebenfalls gespielt hat, sollen folgen.

Ronaldo, Beckham und Co. trauern öffentlich

Eine derartige Ehrdarbietung ist selbst im einstmals fußballverrückten Italien ungewöhnlich. Borgonovo hat Italien nicht zum WM-Titel geschossen, er hat dem Vaterland auch keine außergewöhnlichen Dienste erwiesen und doch hat seine Lebens- und Leidensgeschichte die Menschen weit über die Grenzen Italiens hinaus berührt. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi, seit seiner Kindheit ein Fiorentina- und Borgonovo-Fan, betonte dessen Vorbildfunktion in Regierungskreisen immer wieder, sogar in Brüssel. Egal, ob bei Ronaldo, Balotelli, Beckham, Platini, kein Auge blieb trocken, als Borgonovo 2013 verstarb.

Stefano-Borgonovo-&-David-Beckham Salzburg24
Stefano-Borgonovo-&-David-Beckham

Borgonovo sprach mit den Augen. Sie waren das Einzige, was er noch bewegen konnte. Sie waren sein Tor zur Außenwelt. Mit den Augen lachte, weinte, lebte er. In seinen Augen sammelte der vierfache Familienvater, dessen Körper gelähmt war und der selbst aufgebahrt auf einem Bett lag, seine verbliebene Lebenskraft und seinen schier übermenschlichen Lebenswillen.

Lachen, wenn es nichts mehr zu lachen gibt

"Ich lache gern", schrieb der Angreifer in seiner 2010 veröffentlichten Autobiografie "Attacante nato" (Der geborene Stürmer). "Ja, auch jetzt noch, da manche meinen, es gäbe nichts zu lachen. Ich bin noch immer ich selbst. Ich bin glücklich, dass ich glücklich bin. Ich habe gelernt, das wertzuschätzen, was mir geblieben ist: Die Freude, die positiven Gefühle, eine Regung hie und da. Ich sehe die guten Seiten des Lebens und fühle mich privilegiert – trotz allem. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die weniger haben als ich. Warum soll ich nicht lachen?"

Borgonovo rückt ALS ins gesellschaftliche Bewusstsein

Viele Jahre waren diese strahlenden Augen wie ein Leuchtturm, der ihm den Weg zeigte und Kraft verlieh. Borgonovo gab nie auf, egal, wie sehr das Ungeheuer, so nannte er seine heimtückische Krankheit, auch an ihm nagte. Der Kämpfer wurde nie müde. Er hielt seine Augen offen und rückte eine weitgehend unbekannte Krankheit ins Bewusstsein der Gesellschaft. "Lieber Stefano, deine größte Leistung war es, das Übel deiner Krankheit zu einer Medizin für andere zu machen", brachte es sein Freund Roberto Baggio auf den Punkt.

Stefano-Borgonovo-con-la-coppa Salzburg24
Stefano-Borgonovo-con-la-coppa

Leidensgeschichte kommt auf die Bühne

In der Zwischenzeit wird Borgonovos Geschichte in Italien auch im Theater gezeigt. Die ersten Vorstellungen in der Lombardei und in der Toskana waren ausverkauft. Das Stück ist eine Hymne ans Leben und eine Ode an den Fußball. Borgonovo hat den Lidschlag des Glücks in einer vordergründig komplett aussichtslosen Situation neu definiert. In einer Sequenz stellt er sich die Hamlet-Frage. "Leben oder sterben? Die Entscheidung fiel mir nicht so schwer wie vermutet. Das Leben ist das Schönste, was es gibt. Das Leben ist einzigartig, in jeder Hinsicht. Auch meines, ein Leben, das man an ein Beatmungsgerät hängt, indem man ein Röhrchen in die Luftröhre steckt. Natürlich wollte ich weiterleben. Im Grunde genommen war die Frage dumm."

Das Stück, das nunmehr in Europa auf Tournee gehen soll, geht auch kurz auf den Fußballer Borgonovo ein. Dieser hatte am 18. April 1990 den größten Erfolg seiner Karriere gefeiert. Ein lässiger Heber im Münchner Olympiastadion – das wichtigste Tor in seiner Laufbahn – sicherte AC Milan damals den Einzug ins Meistercup-Finale. Schon im Hinspiel hatte Borgonovo einen Elfmeter gegen Bayern München herausgeholt. Milan stieg in Folge dank der Auswärtstorregel auf (Hinspiel 1:0, Rückspiel 1:2). Im Finale besiegten die Mailänder Benfica Lissabon durch ein Tor von Frank Rijkaard mit 1:0 in Wien.

Künftiger Bayern-Coach Ancelotti führt ALS-Kampf fort

Carlo Ancelotti war Borgonovos Mitspieler. Die beiden hatten immer eine ganz besondere Beziehung. Damals und selbst heute noch. Der zukünftige Bayern-Trainer hat seinem Freund versprochen, den Kampf gegen ALS weiter zu führen. In der Öffentlichkeit lässt Ancelotti keine Gelegenheit aus, um für die Sache zu werben und Gelder für die Forschung zu generieren. Mitte Dezember, kurz nachdem bekannt geworden war, dass er für die Bayern unterzeichnet hat, sah man ihn sogar in der ungewohnten Rolle als Schlagzeuger. Die Einnahmen aus seinen Memoiren "Preferisco La Coppa", ("Ich bevorzuge den Pokal"), hat Ancelotti ebenfalls der ALS-Stiftung gewidmet. Bei der Vorstellung seines Buchbandes sagte er 2010: "Die Medizin muss rasch eine Lösung gegen diese schreckliche Krankheit finden, wir müssen uns beeilen, denn ich weiss nicht, wie lange mein Freund noch zu leben hat."

Am Mittwoch, 26 Jahre nach Borgonovos legendärem Treffer in München, am Tag vor seinem 52. Geburtstag, treffen Bayern München und Juventus Turin in München aufeinander. Carlo Ancelotti hütet noch nicht die Bank der Bayern. Dafür steht auf der Gegenseite mit Massimiliano Allegri ebenfalls ein ehemaliger Mitspieler Borgonovos. Die beiden haben gemeinsam bei Pescara Calcio gekickt. Allegri war der erste, der  Stefanos Frau Chantal und den vier Kindern kondoliert und sie unmittelbar nach Borgonovos Tod zu Hause aufgesucht hatte. Wie viele hat Allegri seine unbändige Willenskraft, seinen differenzierten Humor und seinen unendlichen Lebensmut bewundert.

Borgonovo: Lektion in Sachen Leben und Sport

Borgonovo ist und bleibt Hoffnungsträger und Vorbild für viele. Sein unermüdlicher Kampf war eine Lektion in Sachen Leben und Sport. Wie Nelson Mandela hatte Borgonovo die positive Kraft des Sports gepredigt. Dabei konnte er doch nicht einmal sprechen.

Didier Drogba (li.), Borgonovo und Ancelotti im Chelsea-Trainingszentrum. /Borgonovo Stiftung Salzburg24
Didier Drogba (li.), Borgonovo und Ancelotti im Chelsea-Trainingszentrum. /Borgonovo Stiftung

"Danke an den Fußball"

"Oft werde ich gefragt, was das letzte Wort war, das ich gesagt habe. Ich weiß es nicht mehr. Wenn ich aber poetisch werden darf, würde ich mir wünschen, dass es 'Danke' war. Danke an meine Frau Chantal. Danke an meine vier Sterne, Andrea, Alessandra, Benedetta und Gaia. Danke an all jene, die mir nahe waren, die mich respektiert haben. Und vor allem: Danke an den Fußball."

(Quelle: salzburg24)

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