Verfassungsschutz-Bericht

Corona-Demos als Bühne für "neurechte" Gruppierungen

Veröffentlicht: 16. Februar 2022 17:24 Uhr
Mit einiger Verspätung hat das Innenministerium am Mittwoch den Verfassungsschutzbericht für 2020 vorgelegt, jenem Jahr, in dem es zu dem schweren islamistischen Terroranschlag in Wien kam. Dieser Bereich habe im Berichtsjahr "eine anhaltende und hohe Bedrohung für Österreich" dargestellt, heißt es darin.

Rechtsextremistisch motivierte Straftaten gingen zurück, "neurechte" Gruppierungen hätten Corona-Maßnahmenproteste aber als Bühne genutzt. Aus dem noch von Karl Nehammer (ÖVP) als Innenminister verantwortete Papier geht hervor, dass Österreich bis zum 2. November 2020, dem Datum des Anschlages, EU-weit zwar nicht zu den am stärksten durch einen terroristischen Anschlag gefährdeten Ländern gezählt habe, wohl aber zu jenen Ländern mit einer - an der Einwohnerzahl gemessenen - überproportional hohen Anzahl an "Foreign Terrorist Fighters" (FTF) von 334 zu Jahresende.

Radikalisierung via Social Media

Auch die Razzien der "Operation Luxor" vom 9. November 2020 gegen die Muslimbruderschaft und die Hamas finden Erwähnung. Bedrohungspotenzial bezüglich Gewalttaten wird im Bericht im Licht der Radikalisierung über Social Media und andere einschlägige Internet-Kanälen mit islamistischen und jihadistische Inhalten hauptsächlich bei radikalisierten Einzelaktivisten und potenziellen Nachahmungstätern gesehen.

Rückgang bei rechtsextremistischen Straftaten

Im Bereich des Rechtsextremismus verzeichnete das Innenministerium einen Rückgang der Straftaten. Bundesweit wurden 1.364 Delikte zur Anzeige gebracht, das sind um 18,7 Prozent weniger als im Jahr 2019 (1.678 Delikte); dies bei 895 rechtsextremistischen, fremdenfeindlich/rassistischen, islamfeindlichen, antisemitischen sowie unspezifischen oder sonstigen Tathandlungen.

Die Rede ist von einer Konsolidierung der im 2019 begonnenen personellen und organisatorischen Veränderungen bei rechtsextremen Organisationen. "Langjährige Führungskader der heimischen organisierten rechtsextremistischen Szene konnten ihre Strukturen und Netzwerke wieder nutzen, um teilweise auch öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten", heißt es im Bericht.

Corona-Proteste mit Neuen Rechten

Erwähnung finden auf die Corona-Proteste: "Die Ideologen der Neuen Rechten haben im Berichtsjahr 2020 frühzeitig erkannt, dass sich die COVID-19-Pandemie eignet, um ihre eigene verschwörungserzählerische Weltsicht vom 'Großen Austausch' in den 'Great Reset' - der durch COVID-19 stattfinden soll - zu transformieren." Es würden dystopische Endzeitszenarien entworfen. "Über die Proteste gegen die COVID-19-Maßnahmen konnten die Neuen Rechte schlussendlich neue Bevölkerungsgruppen mit ihrer Propaganda erreichen. Ein Trend der sich auch im kommenden Jahr fortsetzen wird", so die Verfassungsschützer.

Linksextremismus in Pandemie

Auch der Linksextremismus findet im Bericht in Zusammenhang mit Corona Erwähnung. Es sei "evident, dass linksextremistische Akteure, die zu Beginn der Pandemie noch versuchten, den Protest gegen die Bundesregierung unter dem Vorwand der Kritik am COVID-19-Maßnahmengesetz mitzubestimmen, zunehmend eine Position als kritische Beobachter der Anti-COVID-19-Sammelbewegungen - insbesondere in Hinblick auf das Agieren von rechtsextremen Kreisen innerhalb dieser Bewegungen - eingenommen haben".

Dokumentiert wurden insgesamt 167 Tathandlungen mit erwiesenen oder vermuteten linksextremen Tatmotiven (2019: 218 Tathandlungen), wobei eine Tathandlung mehrere Delikte mit gesonderten Anzeigen beinhalten kann. Zwölf Tathandlungen, das sind 7,2 Prozent, konnten aufgeklärt werden. Bundesweit 257 wurden Anzeigen (2019: 311 Anzeigen) erstattet.

Letzter Verfassungsschutzbericht vom BVT

Zum letzten Mal war für den Bericht das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zuständig, das Ende des Vorjahres in der neuen Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) aufgegangen ist. Die Veröffentlichung hat sich verzögert, weil sich die Behandlung im zuständigen Unterausschuss verschoben hatte - eine Begründung, die man bei der SPÖ für fragwürdig hält, wie gegenüber der APA betont wurde. Für 2021 soll sich beim Bericht einiges ändern, er soll früher erscheinen auch die Wiedereinführung eines eigenen Rechtsextremismusberichts ist bereits beschlossen.

Kritik von Grünen

Von den Grünen kam Kritik an dem Bericht, sie orteten einen fragwürdigen Fokus und lückenhafte Informationen. Er sei ein gutes Beispiel dafür, warum man das BVT so umfassend neu aufstellen musste. "Der Bericht geht in der Schwerpunktsetzung an den eigentlichen Problemen vorbei. Darüber hinaus fehlt die nötige Objektivität und Nachvollziehbarkeit", meinte der Sicherheitssprecher der Grünen, Georg Bürstmayr, in einer Aussendung: "Das ist fast schon absurd. Über Schmierereien und Sachbeschädigungen am Rande von 'linken' Demos wird ausführlicher berichtet als über den Terroranschlag vom 2. November 2020 mit mehreren Toten, oder über die Gefahr durch rechtsextreme Gruppierungen mit riesigen Waffenlagern."

Sabine Schatz, SPÖ-Sprecherin für Erinnerungskultur, kritisierte die späte Veröffentlichung. "Es ist Februar 2022 und wir bekommen heute den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2020. Das alleine ist besorgniserregend. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, zeitnahe über Bedrohungen und Gefahren für die Innere Sicherheit zu erfahren. Der heute vorgelegte Bericht ist längst überholt", kritisiert sie: "Gerade für das Jahr des Terroranschlags und der neu aufflammenden rechten Bewegungen im Zuge der Corona-Pandemie hätte es eine Menge Aufarbeitung benötigt."

(Quelle: apa)

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