Das offizielle Österreich hat am Freitag der Opfer der Novemberpogrome gegen die jüdische Gemeinde vor 87 Jahren gedacht. Mehrere Regierungsmitglieder erinnerten bei einer Kranzniederlegung an der Shoah-Namensmauer im Wiener Ostarrichipark an die Pogrome. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, warnte im Anschluss vor Medienvertretern vor einem "Tsunami" an antisemitischen Übergriffen auf der ganzen Welt.
Auch in Österreich steige die Zahl der Übergriffe, so Deutsch. Durch eine Zusammenarbeit mit dem Innenministerium, das jüdische Einrichtungen schütze, seien Juden und Jüdinnen in Österreich zwar sicher. Wie am Donnerstag jedoch bekannt wurde, stellte die Direktion Staatsschutz Nachrichtendienst in Österreich der Hamas zugerechnete Waffen sicher. Es besteht der Verdacht, dass die Waffen für mögliche Terroranschläge in Europa gegen israelische oder jüdische Einrichtungen vorgesehen gewesen sein sollen. "Das zeigt: die Gefahr rückt näher", warnte Deutsch.
Bures, Babler, Pröll - kein Rosenkranz
Um dem steigenden Antisemitismus entgegenzuwirken, sei die Politik gefordert. Die überarbeitete Antisemitismusstrategie soll am Montag präsentiert werden, kündigte Deutsch an. "Aber eine Strategie von heute auf morgen zu entwickeln, die das Krebsgeschwür Antisemitismus beseitigt, ist schwierig." Eines der wichtigsten "Tools" sei es, antisemitische Vorfälle möglichst schnell vor Gericht zu bringen. "Es sind alle Leute gefordert, aufzustehen und zu sagen 'das geht nicht'", betonte Deutsch abschließend.
Bei der Gedenkfeier Freitagfrüh war ein großer Teil der Bundesregierung, angefangen bei Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) und dem für Antisemitismus zuständigen Staatssekretär Alexander Pröll (ÖVP), anwesend. Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) verrichtet seine Amtsgeschäfte nach einer Operation weiter von zuhause aus. Auch der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und die Klubobleute von NEOS und Grünen, Yannick Shetty und Leonore Gewessler, waren vor Ort - nicht jedoch Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ). Die IKG verwehrt seit seinem Amtsantritt Gespräche mit Rosenkranz und der FPÖ, sie verweist dabei auf zahlreiche antisemitische Vorfälle innerhalb der Partei. An seine Stelle trat die dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ).
Offener Brief von Kulturschaffenden
In einem offenen Brief machten auch mehrere Kulturschaffende, darunter etwa Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die Schauspieler Cornelius Obonya und Katharina Stemberger sowie die Autoren Doron Rabinovici und Julya Rabinowich, auf die steigende Zahl an antisemitischen Vorfällen aufmerksam. "In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten waren es Appelle an die Zivilcourage, die uns wach halten sollten. Sie haben ihre Wirkung offensichtlich verfehlt: Was wir sehen, ist eine ständige Grenzverschiebung des Sagbaren, und antisemitische Übergriffe, Beleidigungen und Gewalttaten sind an der Tagesordnung", heißt es darin. Es gehe nicht darum, "zur Situation im Nahen Osten das Falsche oder Richtige zu sagen. Worum es geht, wofür uns in erster Linie Verantwortung zukommt, sind die Zustände in unserer Gesellschaft."
Systematische Gewalt gegen Jüdinnen und Juden
In der Nacht von 9. auf 10. November 1938 waren im gesamten "Deutschen Reich" systematisch Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte geplündert und Jüdinnen und Juden misshandelt worden. Allein in Österreich wurden damals mindestens 30 Juden getötet, 7.800 verhaftet und aus Wien rund 4.000 sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert.
(Quelle: apa)




