Das Gegenüber vor den Kopf stoßen und trotzdem ans Ziel gelangen: Dieses Kunststück hat NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger vollbracht. Als Nun-doch-noch-Teil einer schwarz-rot-pinken Koalition hat sie ihrer Partei den lang ersehnten Platz in der Regierung verschafft. Ob sie dort die reklamierte moderierende Rolle spielen kann, muss sie erst beweisen. Noch mehr gilt das für ihr Amt als Außenministerin, hat Meinl-Reisinger doch EU-Erfahrung, aber kaum diplomatischen Stallgeruch.
Als die NEOS Anfang Jänner die Dreierverhandlungen mit ÖVP und SPÖ hingeschmissen hatten, sahen viele eine historische Chance vertan. Nach dem Scheitern von FPÖ-Chef Herbert Kickls Volkskanzlerambitionen ergriff die einzige im Parlament vertretene Parteichefin aber die zweite Gelegenheit. Die Kritik an Reformverweigerung, die Attacken gegen SPÖ-Chef Andreas Babler - all das trat dafür in den Hintergrund.
"In den Hintern treten"
Was genau jetzt anders ist, wird Meinl-Reisinger noch beantworten müssen, und zwar vor allem auch den eigenen Parteimitgliedern, die am Sonntag über den Regierungspakt abstimmen. Zu vermuten ist, dass die selbstbewusste 46-Jährige den steten NEOS-Ruf nach "Leuchtturmprojekten" bei ÖVP und SPÖ nun für erhört hält. Diesen beiden "ein Stück weit auch in den Hintern zu treten", hatte sie bei Aufnahme der ersten Regierungsverhandlungsrunde als ihr Ziel genannt.
Als ihr Alleinstellungsmerkmal dient den NEOS nämlich stets der Mut zur unbeliebten Botschaft: Ein Sparpaket? Jedenfalls. Eine Pensionsreform? Sowieso. Gesundheitssystem? In die Luft sprengen und neu bauen. Und dass jetzt, inmitten des Trump'schen Erdbebens in der Weltpolitik, der Ruf nach einer Selbstermächtigung Europas immer lauter wird, lässt die lange verhöhnte NEOS-Forderung nach einem Europäischen Heer geradezu prophetisch erscheinen.
Frau in einer Männerriege
Im Wahlkampf war Meinl-Reisinger, die die 2014 gegründete Partei 2018 vom Gründungsvorsitzenden Matthias Strolz übernommen hatte, die einzige Frau an der Spitze. Von der dichten Männerriege - auch in ihrer eigenen Partei - zeigte sie sich stets unbeeindruckt, entstammt sie doch der ÖVP, der das Patriarchat auch nicht gerade fremd ist. Der zuletzt immer verhaltensauffälligere Strolz, der im Vorjahr kurz vor der Wahl seine Parteimitgliedschaft zurücklegte, jetzt aber gerne als Bildungsminister zurückgekommen wäre, passt da ins Bild - und wurde zuletzt endgültig kaltgestellt.
Meinl-Reisinger stammt aus bürgerlichem Haus, besuchte das Gymnasium Wasagasse in Wien-Alsergrund, studierte Rechtswissenschaften in Wien und machte den Master in European Studies an der Donau-Universität in Krems. Ein Traineeprogramm der Wirtschaftskammer brachte die passionierte Tennisspielerin und Läuferin nach Brüssel, wo sie für die Europäische Kommission sowie als Assistentin bei ÖVP-EU-Mandatar Othmar Karas tätig war. Mit Wirtschaftskammer und Wiener ÖVP ging es in der Folge weiter, bald hatte sie aber "die Schnauze voll" von deren "Law-and-Order"-Kurs und dem beginnenden Aufstieg von Sebastian Kurz.
Pinke Parteigründung
Die pinke Parteigründung kam Meinl-Reisinger recht und die Mutter von drei Töchtern, die als ausnehmend belastbar gilt, wurde zur Frau für alle Fälle. Nach dem Einzug in den Nationalrat war sie rasch in Wien gefragt, um den NEOS auch in der Bundeshauptstadt den Einzug ins Landesparlament zu ermöglichen, was ihr auch gelang. Erst Strolz' Rückzug 2018 erforderte ihre Rückkehr in den Bund, die ihr sichtlich nicht schwerfiel. Seither rannte die Juristin, die mit einem Richter verheiratet ist, unermüdlich in Richtung Regierung - und hat das Ziel nun quasi in der Nachspielzeit geschafft.
Zur Person: Beate Meinl-Reisinger, geboren am 25. April 1978 in Wien, verheiratet, drei Kinder. Abgeschlossenes Jus-Studium. Politische Tätigkeit u.a. als Assistentin des ÖVP-EU-Abgeordneten Othmar Karas sowie als Kabinettsmitglied bei Familienstaatssekretärin Christine Marek (ÖVP). 2012 Mitbegründung der NEOS, wo sie zunächst als stellvertretende Vorsitzende und Wiener Landeschefin fungiert. Von 2013 bis 2015 Abgeordnete im Nationalrat, nach erfolgreicher Spitzenkandidatur bei der Wien-Wahl Landtagsabgeordnete. Spitzenkandidatin der Wiener Landesliste bei der Nationalratswahl 2017, im Mai 2018 als Parteichefin nominiert, am 23. Juni 2018 von der Mitgliederversammlung gewählt. Seitdem zweimal als Parteichefin bestätigt, zuletzt im Juli 2024 mit 91 Prozent.
(Quelle: apa)