Die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) erwirbt den literarischen Nachlass von Thomas Bernhard um 2,1 Millionen Euro. 1,6 Millionen Euro steuert dafür das Kulturministerium (BMKÖS) bei, 500.000 Euro kommen von der ÖNB selbst. "Wir sind uns der Verantwortung bewusst, diesen Bestand langfristig für die Forschung und die Allgemeinheit zu sichern", stellte ÖNB-Generaldirektorin Johanna Rachinger in einer Pressemitteilung fest. Bernhards Werk sei "Teil der Weltliteratur".
Bernhard Nachlass nahezu vollständig
"Thomas Bernhard hat einen singulären literarischen Kosmos geschaffen, in dem Sprache, Stil und Weltanschauung unauflöslich ineinander verwoben sind", so Bernhard Fetz, Direktor des Literaturarchivs und des Literaturmuseums der ÖNB. Der Nachlass sei nahezu vollständig überliefert, decke die gesamte literarische Produktion Bernhards ab, umfasse sämtliche veröffentlichten und unveröffentlichten Werke und überlieferten Korrespondenzen – etwa Briefe von Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Elias Canetti, Peter Handke und Bernhards Lebensmenschen Hedwig Stavianicek.
30.000 Handschrift-Blätter
Knapp 30.000 Blätter mit Handschriften, handschriftlich korrigierten Typoskripten und Fahnenkorrekturen mache der Werk-Bestand aus. Anhand der Korrespondenz mit Verlagen lassen sich Entstehung und Rezeption der Werke nachzeichnen. "Der Nachlass gewährt Einblicke in die Werkstatt, in der Bernhards Themen wie die Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit und das Verhältnis von Geist und Körper angesichts des Todes bearbeitet werden", erklärte Fetz.
Ausstellungen, Lesungen und Diskussionen folgen
Zuvor hatte es jahrelange Bemühungen der ÖNB zur Übernahme des Nachlasses gegeben, Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) habe die Verhandlungen unmittelbar nach ihrem Amtsantritt neu angestoßen. Der Preis, zu dem einer "der bedeutendsten deutschsprachigen Nachlässe des 20. Jahrhunderts" angekauft wurde, habe sich an einem unabhängigen, von der ÖNB in Auftrag gegebenen Gutachten orientiert. "Großer Dank gilt dem Verhandlungsteam und Dr. Peter Fabjan, der das Erbe seines Bruders mehr als drei Jahrzehnte lang professionell und mit großer Umsicht betreut und wesentlich zur internationalen Wirkung dieses einzigartigen Autors beigetragen hat", so Mayer.
Der Nachlass komme nun mit einem Auftrag, so Mayer: "Nämlich das Werk Bernhards in seiner Entstehung zu erforschen, immer wieder aufs Neue auf seine Aktualität hin zu befragen und in Ausstellungen, Sonderschauen, Lesungen, Diskussionen und anderen Formaten dem literaturinteressierten Publikum zu präsentieren." Das Literaturmuseum soll als Ort für "weitere Begegnung mit Thomas Bernhards literarischem Vermächtnis" herhalten, hieß es in der Pressemitteilung.
Wer war Thomas Bernhard?
Nicolaas Thomas Bernhard (* 9. Februar 1931 in Heerlen, Niederlande; † 12. Februar 1989 in Gmunden, Oberösterreich) war ein österreichischer Schriftsteller. 1970 erhielt er den Georg-Büchner-Preis; seit den 1980er-Jahren wird er international zu den bedeutendsten österreichischen und deutschsprachigen Autoren gerechnet.
Prägend für Bernhards Entwicklung als Schriftsteller war die Zeit, die er in frühester Kindheit bei seinem Großvater Johannes Freumbichler verbracht hatte, dazu das Gefühl, von seiner Mutter alleingelassen, ungeliebt, unerwünscht zu sein, vom Vater verleugnet. Dazu kam ein schweres Lungenleiden und später das „Boeck-Besnier-Schaumann-Syndrom“ (Morbus Boeck), in dessen Verlauf es zu einer dilatativen Kardiomyopathie, einer „Herzerweiterung“, kam.
Es gab in seinem Leben, wie er sagte, zwei für ihn „existenzentscheidende“ Menschen: seinen Großvater, der ihm den Sinn für die Philosophie, für das „Höchste, Allerhöchste“ mitgegeben und der ihm Montaigne, Schopenhauer und Pascal nähergebracht hatte, und seinen „Lebensmenschen“ Hedwig Stavianicek. geb. Hofbauer (1894–1984). Mit ihr verband ihn bis zu ihrem Tod eine innige Beziehung und Freundschaft.
Viele Romane und Erzählungen Bernhards bestehen zum Großteil oder zur Gänze aus Monologen des Ich-Erzählers und einem fiktiven stummen oder beinahe stummen Zuhörer oder Schüler, wie zum Beispiel dem Erzähler Franz-Josef Murau und seiner Schülerfigur Gambetti im späten Hauptwerk Auslöschung.
(Quelle: apa)