Ermittlungen im Gange

Spionage-Verdacht: Ex-BVT-Mitarbeiter in U-Haft

Aussenansicht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) aufgenommen am Montag, 12. November 2018, in Wien. (ARCHIVBILD)
Veröffentlicht: 01. April 2024 15:09 Uhr
Ex-BVT-Mitarbeiter Egisto Ott befindet sich seit Montag wegen Spionage-Verdachts in U-Haft. Chats zeigen nun die enge Verzahnung zwischen dem Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek mit dem russischen Inlandsgeheimdienst. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) beruft für den 9. April den Nationalen Sicherheitsrat (NSR) ein.

Nach der Festnahme des Ex-BVT-Mitarbeiters Egisto Ott, der sich seit Montag wegen Spionage-Verdachts in U-Haft befindet, kristallisiert sich immer mehr heraus, wie eng verzahnt der nach Moskau geflüchtete Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek mit dem russischen Inlandsgeheimdienst sein dürfte. Das machen nun bekannt gewordene Chats mit einem inzwischen in Großbritannien inhaftierten Bulgaren deutlich, der eine mehrköpfige, für Russland tätige Spionage-Zelle angeführt haben soll. Diese belasten Ott und dessen ehemaligen Vorgesetzten, den Leiter der Spionage-Abteilung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Martin Weiss.

Chats belasten Ott schwer

Die Chats wurden zusammen mit mehreren Berichten - der letzte langte am 13. März ein - aus Großbritannien der Staatsanwaltschaft Wien übermittelt. Aus ihnen geht hervor, dass Ott "systematisch" den russischen Geheimdienst mit geheimen, streng vertraulichen Tatsachen und Erkenntnissen aus dem Verfassungsschutz sowie personenbezogenen Daten aus Polizeidatenbanken versorgt haben dürfte. Darauf stützt die Staatsanwaltschaft jedenfalls ihre Festnahmeanordnung. Aus ihr geht hervor, dass Otts ehemaliger Vorgesetzter Martin Weiss, der als dessen "Ansprechpartner und Auftraggeber" bezeichnet wird, engen Kontakt zu Jan Marsalek und dem inzwischen in Großbritannien inhaftierten russischen Spion Orlin R. hatte. Marsalek, der für den russischen Geheimdienst tätig sein soll, bezeichnet in einem Chat mit Orlin R. Weiss als "unseren Freund" und legt dar, er habe dessen "Evakuierung" nach Dubai organisiert, wo Weiss vor dem Zugriff österreichischer Behörden sicher ist, weil es kein Auslieferungsübereinkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt.

Brisante Unterlagen in Wohnung des Ex-Schwiegersohns

Aus Chats zwischen Marsalek und Orlin R. ergibt sich weiters, dass am 10. Juni 2022 in der Wiener Wohnung des Ex-Schwiegersohns von Egisto Ott brisante Unterlagen an von Marsalek beauftragte Männer zum Transport nach Moskau sowie anschließender Auswertung durch den russischen Geheimdienst übergeben wurden. Es handelte sich um die gespiegelten Handys dreier Spitzenbeamter des Innenministeriums, nämlich des damaligen Kabinettschefs Michael Kloibmüller und der damaligen Kabinettsmitarbeiter Michael Takacs und Gernot Maier, die mittlerweile als Bundespolizeidirektor bzw. Direktor des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl fungieren. Deren Handys waren 2017 "Opfer" eines Unfalls geworden. Bei einem Ausflug des Innenministeriums war ein Kanu gekentert, die Smartphones fielen ins Wasser. Daraufhin wurde ein IT-Techniker des Verfassungsschutzes gebeten, die Diensthandys zu reparieren.

Die Geräte landeten in weiterer Folge bei Ott. Dieser soll schon im Herbst 2019 erfolglos versucht haben, sie auswerten zu lassen, sie wieder zurückbekommen und schließlich in der Wohnung seines Ex-Schwiegersohns dem russischen Geheimdienst bereitgelegt haben. Am 12. August 2022 - knapp zwei Monate nach der Übergabe der Geräte - soll dann an derselben Adresse ein von Marsalek entsandter Kurier eine nicht näher bekannte Menge an Bargeld überbracht haben - offenbar die Gegenleistung für die dem russischen Geheimdienst überlassenen Handys der ranghohen Mitarbeiter des heimischen Innenressorts.

"laundry guys" im Auftrag von Marsalek

Im selben Jahr tauchten dann noch ein Mal dem russischen Geheimdienst zuzurechnende Männer an der Adresse von Otts Schwiegersohn auf. Sie sollen am 19. November 2022 dort einen Laptop mit geheimen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Unterlagen erhalten und dafür 20.000 Euro bezahlt haben. Das geht ebenfalls aus den aus Großbritannien übermittelten Chats hervor. Dort ist von "laundry guys" die Rede, die im Auftrag von Marsalek das Geld nach Wien gebracht haben sollen. Der Laptop soll, wie Marsalek Orlin R. mitteilte, "nach Lubyanka" gebracht worden sein - dem Sitz des russischen Inlandsgeheimdienst FSB in Moskau.

Den Männern bulgarischer Herkunft wird von den britischen Strafverfolgungsbehörden vorgeworfen, von August 2020 bis Februar 2023 für russische Geheimdienste gleichermaßen geheime wie nützliche Informationen gesammelt sowie in Großbritannien und anderen europäischen Ländern Personen ausgekundschaftet zu haben. Mit dem mutmaßlichen Chef dieser bereits zur Anklage gebrachten Gruppierung, der 2009 nach Großbritannien übersiedelt war und der als ausgewiesener Spezialist für Abhörtechniken gilt, tauschte sich Marsalek rege aus. So berichtete Marsalek von einer Schießübung "mit den Alfa-Jungs", einer Spezialeinheit des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB. Auch über "aktive Maßnahmen" gegen den russlandkritischen Investigativjournalisten Christo Grozev unterhielten sich Marsalek und sein Gesprächspartner.

Grozev lebte bis Anfang 2023 in Wien. Er hatte zu den Giftanschlägen auf Sergei Skripal und Alexej Nawalny recherchiert, im Dezember 2022 setzte ihn das russische Innenministerium auf eine Fahndungsliste, im Februar 2023 übersiedelte Grozev aus Sicherheitsgründen in die USA. Mittlerweile gilt als gesichert, dass Grozev einer von mindestens 309 Betroffenen war, für die Marsalek illegale Abfragen aus Polizeidatenbanken tätigen bzw. vertrauliche, der Verschwiegenheit unterliegende Informationen einholen ließ. Marsalek, der nach seiner geglückten Flucht nach Moskau mit neuen Identitäten ausgestattet worden sein soll und seither geheimdienstliche Tätigkeiten für Moskau verrichten dürfte, soll sich dazu ausgerechnet zweier ehemaliger Mitarbeiter des heimischen Verfassungsschutzes bedient haben.

Österreichischer Journalist Max Zirngast betroffen

Unter den 309 Personen war auch der österreichische Journalist Max Zirngast. Er sei zum Teil darüber informiert worden, dass Abfragen über ihn gemacht worden waren, noch bevor der "Spiegel" Anfang März darüber berichtete hatte, sagte Zirngast am Dienstag im Gespräch mit der APA. Als er den Artikel des deutschen Nachrichtenmagazins gelesen habe, habe er nur geschmunzelt. "Es ist mir ziemlich wurscht. Im Vergleich zu dem, was türkische Geheimdienste machen, ist das relativ fad", meinte Zirngast, der zu der Zeit, als die Abfragen gemacht wurden, in der Türkei inhaftiert war. Zum Inhalt der Abfragen und welche Informationen weitergegeben wurden, wollte er sich aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens nicht äußern.

Landesgericht Wien geht von Verdunkelungsgefahr aus

Egisto Ott wiederum soll bei der Informationsbeschaffung für Marsalek bzw. den russischen Geheimdienst polizeiliche Datenbanken systematisch abgefragt und einen wahrheitswidrigen Bezug zum BVT behauptet haben. Er soll dabei sogar unter Ausnützung von Rechtshilfeersuchen britische und italienische Quellen "angezapft" haben. Für Ott, der alle Vorwürfe bestreitet, gilt die Unschuldsvermutung. Das Landesgericht Wien geht allerdings von dringendem Tatverdacht und Tatbegehungs- und Verdunkelungsgefahr aus, über Ott wurde am Montag die U-Haft verhängt.

Demgegenüber sieht das Landesgericht für Strafsachen beim Ex-Schwiegersohn Otts, den die Staatsanwaltschaft als Beitragstäter betrachtet, keinen dringenden Tatverdacht. Dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verhängung der U-Haft wurde daher nicht Folge gegeben, was Stephanie Kramberger und Andreas Schweitzer, das Verteidiger-Team des Mannes, als Erfolg verbuchen konnten. "Er hat von all dem nichts gewusst", sagte Schweitzer. Im Unterschied zur Polizei und der Staatsanwaltschaft habe es der Richter "für durchaus plausibel gehalten, dass es so ist, wie mein Mandant sagt. Er hat nichts weitergegeben", betonte der Anwalt im Gespräch mit der APA.

Ott legt "Teilgeständnis" ab

Aus dem Wiener Landesgericht hieß es am Dienstag zu einem jüngsten Medienbericht, demzufolge Ott nach seiner Festnahme ein "Teilgeständnis" abgelegt haben soll, bei seiner Einvernahme anlässlich der Verhängung der U-Haft habe Ott die ihm unterstellte nachrichtendienstliche Tätigkeit zum Nachteil der Republik zurückgewiesen. "Insofern war er zum Kern der Vorwürfe vor dem Journalrichter nicht geständig" bekräftigte Gerichtssprecherin Christina Salzborn gegenüber der APA.

In dem Bericht der "Kronen Zeitung" hieß es weiter, Ott strebe "möglicherweise einen Deal mit der Staatsanwaltschaft an". Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nina Bussek, erklärte dazu: "Es gibt keinen Deal." Bussek wollte auf APA-Anfrage unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen keine weiteren Auskünfte zu Ott und vor allem nicht zu etwaigen Schritten gegen Martin Weiss erteilen. Auch das Bundeskriminalamt hielt sich ausgesprochen bedeckt und blockte Fragen ab. Otts bisheriger Verteidiger, der diesen jedenfalls bis Ostern vertreten hatte, dürfte indes das Mandatsverhältnis aufgelöst haben. "Wir vertreten in dieser Sache nicht mehr", hieß es am Dienstag aus der Kanzlei des Rechtsanwalts, der persönlich vorerst telefonisch nicht erreichbar war.

Marsalek soll gemeinsam mit dem Chef der britischen Spionage-Zelle in Diensten Russlands die Beschaffung von drei Diensthandys von ranghohen damaligen Kabinettsmitarbeitern des Innenministeriums organisiert haben, deren Geräte 2017 bei einem Bootsausflug ins Wasser gefallen waren. Die Daten sollten gerettet werden, was misslang. Die Handys landeten in weiterer Folge über einen Polizisten bei Egisto Ott, der sie in der Wohnung eines Verwandten in Wien-Floridsdorf bereitstellte. Dort wurden sie am 10. Juni 2022 von Männern im Auftrag Marsaleks abgeholt und sollen zwecks Auswertung nach Moskau verbracht worden sein. Russland hatte knapp vier Monate zuvor die Ukraine überfallen.

Hochsensible Daten eines EU-Staates auf Laptop

Auf den Handys befanden sich laut Ermittlungsakt dem Amtsgeheimnis unterliegende sensible dienstliche und private Daten der Spitzenbeamten des Innenressorts. Für Russland von erheblichem Interesse dürften auch mehrere SINA-Laptops gewesen sein, von denen bisher nicht geklärt ist, wie diese in den Besitz Otts gelangt waren. Auf ihnen sollen sich der Geheimhaltung unterliegende, hochsensible Daten eines EU-Staates befunden haben. SINA steht für Sichere Inter-Netzwerk Architektur, mit der die Übertragung und Verarbeitung von schützenswerten Informationen in unsicheren Netzen möglich ist. Die seit 2000 entwickelte SINA-Produktfamilie enthält die einzigen vom deutschen Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bis zum höchsten nationalen Einstufungsgrad ("Streng geheim") zugelassenen IP-basierten Kryptosysteme. Schwerpunkt ist dabei der Schutz von elektronischen Informationen vor unberechtigten Zugriffen.

Einen dieser Laptops sollen mit falschen Pässen ausgestattete russische Agenten am 19. November 2022 in der Wohnung von Otts Verwandtem abgeholt und über Istanbul nach Russland geschafft haben, und zwar direkt zum Sitz des FSB in Moskau. Dafür sollen 20.000 Euro bezahlt worden sein, wobei Marsalek das Geld von Berlin nach Wien bringen ließ, wie sich aus den Chats ergibt.

(Quelle: apa)

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