Wie die Zeit zwischen November 1918 bis zum Beginn des Faschismus 1922 erlebt wurde, haben zwei jungen Historiker in einem neuen Buch nachgezeichnet. Dabei stehen neben den bekannten politischen Entwicklungen auch deren Auswirkungen auf das alltägliche Leben der Menschen im Zentrum. Die Autoren Marion Dotter und Stefan Wedrac haben dafür zahlreiche Zeitzeugenberichte, Briefe und Fotografien, die bisher zum Teil in Privatbesitz waren, aufgestöbert und zusammengetragen.
Teilung beginnt noch im Krieg
Die Teilung Tirols beginnt in den letzten völlig chaotischen Stunden des Krieges. Kriegsmüdigkeit, Meuterei und schließlich ein unüberlegt zu früh erteilter Befehl zur Einstellung der Kämpfe auf Seiten der Armee des sich bereits auflösenden Habsburgerreiches führten dazu, dass bis zum Waffenstillstand am 4. November um drei Uhr Nachmittag rund 380.000 Soldaten der Monarchie in Kriegsgefangenschaft gerieten.
Italiener marschieren in Innsbruck ein
Der Rückzug der fast zweieinhalb Millionen Soldaten von der Südfront verlief chaotisch. Durch Tirol marschierten Hunderttausende. Angesichts der Nahrungsmittelknappheit kam es zu Plünderungen und Ausschreitungen. Der Einmarsch der italienischen Truppen in Innsbruck am 23. November bedeutete daher zunächst auch eine Rückkehr zu Ruhe und Ordnung.
Die siegreichen Truppen verhielten sich größtenteils sehr respektvoll, höflich und diszipliniert, wie die Historiker aufzeigen. Sie verteilten Lebensmittel an die hungernde Bevölkerung. Während es in Nordtirol aber um eine rein militärische zeitlich begrenzte Besetzung ging, richteten sich die Italiener südlich des Brenners bereits ein, um zu bleiben.
Südtirol wird italienisch
Die Besatzung stieß daher dort auch auf deutlich mehr Ablehnung, auch wenn den Einwohnern erst langsam klar wurde, dass der Landteil südlich des Brenners dauerhaft italienisch bleiben sollte. Die endgültige Entscheidung fiel erst im Frühsommer 1919 bei der Friedenskonferenz in Paris.
Bis dahin kam es in Bozen zu einem Ringen zwischen der Militärverwaltung unter dem liberalen, gemäßigten Gouverneur Pecori Giraldi und den glühenden Nationalisten um den berühmten Trentiner Ettore Tolomei. Zunächst setzte sich der vernünftige Giraldi durch und sorgt dafür, dass die deutschsprachige Minderheit rücksichtsvoll behandelt wurde. So blieben etwa die deutschen Schulen bestehen.
Brutale Italienisierung in Südtirol
Auch nachdem die militärische Verwaltung im Juli 1919 durch eine zivile ersetzt wurde, hatten vernünftige gemäßigte italienische Politiker und Beamte zunächst noch die Oberhand. Die verhältnismäßig liberale Ära endete 1922 mit dem steigenden Druck der Faschisten. Bis dahin war die Abtrennung vom Rest Tirols für die Südtiroler zwar eine große Umstellung, bedeutete aber noch nicht die Unterdrückung und brutale Italianisierung, wie sie in den folgenden Jahren folgen sollte.
(APA)
(Quelle: apa)