Es ist eine kaum fassbare Menge an Tönen, die Saalfelden alljährlich Ende August bietet. Internationale Stars und Entdeckungen treffen auf spannende österreichische Formationen, das Publikum nimmt die Branchenschau im Kongresshaus der inneralpinen Salzburger Gemeinde gerne an.
Der Eröffnungs-Freitag des 35. Jazzfestivals begann mit der starken Weltpremiere des neuen Projekts "Wire Resistance" von Philipp Nykrin. Der österreichische Pianist und Keyboarder bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Jazz und Elektronik, sein Quintett agierte stets groove-orientiert. Überzeugen konnte auch das Amir ElSaffar Quintett, brach der US-Trompeter mit irakischen Wurzeln doch aus klassischem Jazzklang heraus in entfernte, mitunter mikrotonale Klangwelten auf.
Unterschiedliche Reaktionen gab es hingegen auf das brachiale Sextett "The Young Mothers" rund um den Bassisten Ingebrigt Haker Flaten und das Solo von Marc Ribot. Der New Yorker Gitarren-Querdenker widmete sich Protestsongs und Texten aus der Bürgerrechtsbewegung, seine Gesangsperformance ließ Ribots breite Fangemeinde in Saalfelden etwas ratlos zurück.
Die Kraft des Kollektivs prägte den Auftakt des mit sechs Konzerten zentralen Samstags. "Mühlbacher's USW,..." nennt sich das 17-köpfige Ensemble des Wiener Percussionisten Christian Mühlbacher, das seit fast zwei Jahrzehnten die Größen der heimischen Szene vereint. Die Trompeter Franz Hautzinger und Lorenz Raab sowie Saxofonist Gerald Preinfalk seien nur als Spitze des Eisbergs genannt, der klangmächtig wie vielfältig auf die begeisterte Jazz-Gemeinde zufuhr.
Ben Goldberg sorgte mit seinem US-Quintett danach für eher entspannte Grooves. Goldberg gab dabei auf seiner Kontra-Alt-Klarinette den variablen Mittelsmann zwischen dem Saxofon-Block und der Rhythmussektion um den mit Effekten irritierenden Nels Cline und Drummer Ches Smith. Mit ungewohnten Trompeten-Sounds und ausgedehnten Solo-Exkursen punktete das japanisch-französische Quartett Kaze, das die individuelle Freiheit des Jazz vielleicht am intensivsten verkörperte.
Henry Threadgill am Jazzfestival Saalfelden
Salzburg24
Nominell war Bandleader Henry Threadgill wohl der schillerndste Saalfelden-Gast am Samstag. Sieben Musiker versammelte der Altmeister des Konzept-Jazz abends auf der Bühne, die vielen Notenpulte wirkten aber bald zweitrangig ob der zwingenden Kraft des ungeraden Grooves, der ganze 50 pausenlose Minuten lang wild umhertaumelte. Den Urkern bildete eine expressionistisch anmutende vierhändige Klavier-Fantasie von Jason Moran und David Virelles, die sich zu einem Sog von hoher Intensität ausweitete.
Nach einem allzu lyrischen Intermezzo des Trios um Cellist Erik Friedlander folgte ein weiterer Höhepunkt weit nach Mitternacht: Roy Paci & Corleone nennt sich die Band, und die sechs Italiener legten ein mörderisch abwechslungsreiches Sound-Konzept vor. Drei Bläser, zwei Gitarren und ein Drummer changierten zwischen rasendem Punk, mächtigem Unisono-Jazzrock in bester Frank-Zappa-Manier und kontrastierender Groove-Lässigkeit. Die Klanggewalt feierte also fröhliche Urständ' an einem überzeugenden Festival-Samstag. (APA)
(Quelle: salzburg24)