Der höchste Berg Salzburgs, der Großvenediger (3.657 Meter), hat schon viele Alpinisten in seinen Bann gezogen. Er gilt heute, 175 Jahre nach der Erstbesteigung, als "Evergreen". Emil Widmann, Bergführer und Wirt der Kürsingerhütte in Neukirchen am Großvenediger, nennt ihn liebevoll "einen gutmütigen Gletscherkönig". Heuer wird die erstmalige Besteigung im Oberpinzgau gebührend gefeiert.
Großvenediger: Der Große und Gutmütige
"Jeder Berg hat einen gewissen Charakter", sagte Widmann im APA-Gespräch. "Der Großvenediger strahlt eine gewisse Ruhe und Gutmütigkeit aus." Der formschöne Dreitausender sei technisch nicht anspruchsvoll zu begehen und über drei Normalwege relativ leicht erreichbar. Allerdings benötige der Bergsteiger eine gute Ausrüstung und Kondition. "Und man muss aufpassen. Der Berg hat seine Tücken", verweist der erfahrene Alpinist auf die Gletscherspalten und die schwierige Orientierung bei schlechtem Wetter. Der Neukirchner ist seit 2005 von März bis Ende September um das Wohl der Bergsteiger bemüht, die den Anstieg von der Kürsingerhütte aus wählen.
Das Meer vom Großvenediger aus sehen? Ein Mythos!
Der Großvenediger zählt zu den größten Gletscherbergen der Ostalpen. Auf ihm verläuft die Grenzlinie zwischen Salzburg und Osttirol. "Seine markante weiße Gestalt ist von weitem, vom Alpenvorland und Böhmerwald aus einsehbar", weiß der Hüttenwirt. Aus diesem Blickwinkel heraus dürfte sich der Name des Berges gebildet haben. Das Auge richtet sich nach Süden zum Alpenhauptkamm, wo die alten Handelsübergänge nach Italien führten. Vermutet wurde, dass vom Gipfel dieses weißen Riesens Venedig und das Meer zu erspähen sind. Doch seit der Erstbesteigung am 3. September 1841 ist man klüger: Man hält vergeblich danach Ausschau.
Erstbesteigung: Schießpulver als Sonnenschutz
Die Sehnsucht nach dem ersten Gipfelsieg erfüllte sich für 26 Alpinisten, nachdem Erzherzog Johann am 8. August 1928 an der Nordwest-Flanke wegen eines Lawinenabgangs gescheitert war. 1841 führte Josef Schwab eine große Seilschaft mit den Initiatoren der Besteigung, Ignaz Kürsinger und dem Wiener Alpinisten Anton Ruthner, über die Venedigerscharte auf den Gipfel. Nach einem "Vater unser" brach die Expedition um 1.30 Uhr bei der Postalm im Obersulzbachtal auf. Am Gletscher angelangt, beschmierten sich die Teilnehmer zum Schutz vor der Sonne schwarzes Schießpulver, das in Öl aufgelöst war, ins Gesicht. Gegen 9.30 Uhr wurde das Ziel erreicht. Kürsinger, damals "landesfürstlicher Pfleger" von Mittersill, bezeichnete den Berg in seiner Niederschrift über die "erste Besteigung des Grossvenedigers" ehrfurchtsvoll "weltalte Majestät".
Großvenediger von Klimawandel gezeichnet
Damals forderte eine riesige Gipfelwechte den Bergsteigern den letzten Mut ab. "Viele trauten sich nicht auf die höchste Spitze hinauf", schilderte Widmann. Das mildere Klima hat dem Berg in den vergangenen 175 Jahren sichtlich zugesetzt. Die Gipfelwechte gibt es nicht mehr. Das Eis am Gipfel ist zehn bis 15 Meter abgeschmolzen. Vor etwa 30 Jahren lag die höchste Eisstelle am Gipfel noch auf 3.674 Meter Seehöhe. Diese Angabe wurde vor einigen Jahren nach unten auf 3.666 Meter korrigiert. Der letzten Felsmessung zufolge ist der Großvenediger 3.657 Meter hoch.
Auch der Gletscher hat an Masse verloren. Die Gesamtfläche des Obersulzbachkees hat sich von 16 Quadratkilometern um das Jahr 1850 auf rund zehn Quadratkilometer im Jahr 2009 verringert, wie in dem naturkundlichen Führer des Österreichischen Alpenvereins "Gletscherweg Obersulzbachtal" beschrieben ist. Im Jahr 2013 betrug das Eisvolumen geschätzte 300 bis 400 Millionen Kubikmeter, was laut Alpenverein nur mehr ein Viertel des Eisvolumens von 1850 ist.
Salzburgs höchster Berg als Bergsport-Allrounder
Der Großvenediger ist seit der Erstbesteigung ein beliebter Gipfel im Nationalpark Hohe Tauern. Im vergangenen Jahrzehnt wurde der Andrang wieder größer. Warum der Berg ein Revival erlebt, sei seinen vielen Facetten geschuldet, meint Widmann. "Alles, was mit Wandern zu tun hat, leicht erreichbar und ein bisschen in Mode ist wie auch der Jakobsweg, hat einen großen Zulauf." Der Venediger biete eine große Auswahl an Möglichkeiten, von Wandern über Bergsteigen und Skitourengehen bis Klettern und Mountainbiken.
Allein von der Kürsingerhütte aus haben sich die Führungstouren des Bergführerbüros Neukirchen in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht, rechnete Widmann vor. 2015 wurden rund 100 Touren mit etwa 550 Bergsteigern und 5.000 Nächtigungen auf der Kürsingerhütte gezählt. Schließt man Privattouren bzw. Touren mit anderen Bergführern ein, standen 2015 rund 2.500 Bergsteiger am Gipfel, die von der Salzburger Seite kamen. "Oben findet dann das große Treffen von allen Seiten statt." Streitereien wie am Großglockner oder Matterhorn, wer zuerst zum Kreuz darf, gibt es laut Widmann am Großvenediger nicht. "Der Gletscher ist breit, da ist genug Platz zum Überholen."
Herausforderungen für Hüttenwirte
Die moderne Zeiten stellen die Hüttenwirte vor neue Herausforderungen. "Man muss heutzutage auch schauen, wie man sich im Internet für die virtuelle Wahrnehmung positioniert, zum Beispiel mit GPS-Track", sagte Widmann. Vor allem das junge Publikum verlange nach neuen Betätigungsfeldern, auch in Form von Events wie der "Venediger Rush". Dieser "Jedermann-Lauf" ist heuer von 5. bis 6. Mai die Auftaktveranstaltung des Jubiläumsjahres. Er steht unter dem Motto einer "sportlichen Verbeugung vor den alpinen Pionieren". Von Grödig am Rand der Stadt Salzburg aus radeln die Sportler rund 165 Kilometer nach Neukirchen und marschieren zu Fuß bis zur Schneegrenze. Von dort geht es auf Skiern weiter bis zur Kürsingerhütte und am nächsten Morgen auf den Gipfel. "Im Vordergrund steht das gemeinsame Bergerlebnis. Es ist kein Rennen, aber alles andere als ein gemütlicher Sparziergang", erklärte der Neukirchner Initiator und Marketingmanager Hans-Peter Kreidl. Er rechnet mit rund 50 Teilnehmern.
Das Jubiläumsprogramm im Überblick
Die Geschäftsführerin des Tourismusverbandes "Wildkogel-Arena Neukirchen und Bramberg", Ingrid Maier-Schöppl, hat für das 175-Jahr-Jubiläum ein buntes Festprogramm gestaltet. Die Palette reicht von der Jubiläums-Ausstellung "Ein Berg prägt seinen Ort" im Samerhofstall Neukirchen (Eröffnung am 7. Juli) über ein Nationalpark-Paten-Treffen des Österreichischen Alpenvereins am 3. September, einen Filmabend "Venediger-Erstbesteigung" am 6. September im Cinetheatro Neukirchen, eine geführte Jubiläums-Großvenedigertour am 9./10. September (organisiert von der Bergführervereinigung Oberpinzgau) bis zu einer Sonderschau im Felberturm-Museum Mittersill von 28. Mai bis 26. Oktober.
(APA)
(Quelle: salzburg24)