Die zwei Autoren wurden dabei von der damaligen Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat unterstützt. Der APA erklärte sie, warum das Urteil für sie nicht überzeugend ist.
Der Verlag "edition a" hat das 192 Seiten umfassende Werk der Journalisten Hubertus Godeysen und Hannes Uhl unter dem Titel "155" am Montag, veröffentlicht. In dem Buch ziehen die beiden "jetzt den Schleier von den Ereignissen, den Gerichte und Anwälte sorgsam darüber ausgebreitet haben", steht in der Inhaltsangabe. Und weil der Vater eines Opfers sechs Jahre nach dem Freispruch die Staatsanwältin sinngemäß bezichtigte, "an der großen staatlichen Vertuschung" mitgespielt zu haben, habe sich Danninger-Soriat entschlossen, "ihr Schweigen zu brechen".
„Konnte Urteil nicht nachvollziehen"
Mit dem Ausdruck "Schweigen brechen" hat die vor drei Jahren pensionierte Staatsanwältin (65) keine große Freude. Sie habe ihre Sichtweise der chronologischen Abläufe des gesamten Kaprun-Verfahrens als Juristin und vor allem als Person eingebracht, die als Einzige von Anfang bis zum Ende eingebunden war, sagte Danninger-Soriat zur APA. "Ich konnte das Urteil nicht nachvollziehen. Ich bin ein Gerechtigkeitsfanatiker. Es geht mir darum, dass die Sachverhalte möglichst richtig aufgeklärt werden. Deshalb habe ich gegen das Urteil berufen. Es wurde aber nicht korrigiert. Auch ein rechtskräftiges Urteil könnte korrigiert werden - wenn sich der Verdacht ergibt, dass ein Zeuge oder Gutachter falsch ausgesagt hat oder sich neue Beweise oder Tatsachen ergeben - damit ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens bei Gericht gestellt werden kann."
Konträre Darstellungen zu Ermittlungsverfahren in Deutschland
Ein Antrag auf Wiederaufnahme sollte nach dem Vorschlag Danninger-Soriats auch gestellt werden. Die Grundlage dafür waren zwei Anzeigen mit darauffolgenden Ermittlungsverfahren. Es handelt sich dabei erstens um Ermittlungen u.a. gegen Verantwortliche der Firma Fakir, Hersteller jenes Heizlüfters in der Unglücksbahn, der laut dem erstinstanzlichen Urteil des Kaprun-Richters Manfred Seiss vom 19. Februar 2004 einen Konstruktions-, Produktions- und Materialfehler aufgewiesen und den Brand auch ausgelöst hatte (den Angeklagten wurde aber keine Schuld daran gegeben, Anm.), und zweitens um Erhebungen gegen vier Gutachter des Strafprozesses.
Das Ermittlungsverfahren gegen Fakir habe in Deutschland konträre Darstellungen gebracht als im österreichischen Verfahren, verwies die ehemalige Staatsanwältin auf ungeklärte Widersprüche. Die Staatsanwaltschaft in Heilbronn (D) stellte im September 2007 fest, dass der Heizlüfter für den Einbau in die Gletscherbahn nicht geeignet war und auch kein Produktionsfehler zu erkennen war. "Da wäre ein Grund für die Wiederaufnahme gewesen", sagte Danninger-Soriat. Für sie als Juristin sei völlig klar gewesen: Der Gebrauchsanweisung zufolge durfte der Heizlüfter nur in unbewegte Einrichtungen - in einen Wohnraum, ein Badezimmer oder WC - eingebaut werden und nicht in ein in Bewegung befindliches Transportmittel wie die Gletscherbahn, das durch Rütteln und durch Abbremsen stark abgenützt werde. "Ich habe im Schlussplädoyer gesagt: Der Heizlüfter hätte dort nicht hingehört." Und es gebe dafür Verantwortlichkeiten, ergänzte sie.
„Kaprun kann trotzdem nicht vergessen werden"
Die Verteidiger seien aber bestrebt gewesen, das Thema Gebrauchsanweisung loszuwerden. "Da sind die ersten lebensfremden Beweiswürdigungen passiert", resümierte Danninger-Soriat. Auch das Ermittlungsverfahren gegen die Gutachter wurde eingestellt. "Damit fiel wieder ein Grund weg, dass man eine Wiederaufnahme durchziehen hätte können."
Das Wiederaufrollen des Strafprozesses scheitert nun an der Verjährungsfrist. "Da kann man nichts mehr machen. Der Fall ist juristisch abgeschlossen, aber Kaprun kann trotzdem nicht vergessen werden", konstatierte die ehemalige Anklägerin. Nach der Rechtsauffassung des österreichischen Justizministeriums ist in der Strafsache um die Brandkatastrophe in Kaprun spätestens mit Ende März 2010 Verjährung eingetreten.
Im deutschen Verfahren gegen Fakir kam zutage, dass der Heizlüfter das Prüfzeichen verliert, wenn das Gerät beim Einbau verändert wird - was laut Danninger-Soriat bei der Installierung in die Standseilbahn auch geschehen sei. Der Sukkus der Sachverständigen in Österreich sei aber gewesen, dass sich die Verantwortlichen beim Einbau des Heizlüfters trotzdem auf die Prüfzeichen verlassen haben dürfen. Kein fahrlässiges Handeln also, kritisierte Danninger-Soriat. Und im Ermittlungsverfahren gegen die Gutachter wurde sie auch nicht als Zeugin befragt. "Das war für mich schade, aber nicht überraschend."
Schuldfrage über Flammeninferno vielfach diskutiert
Ob sie der Freispruch im Hauptverfahren enttäuscht hat? "Ich habe seinerzeit die Wiederaufnahme angestrengt. Doch meine Meinung wurde nicht geteilt. Das hat man zur Kenntnis zu nehmen. Ich bin nicht enttäuscht gewesen, aber es war für mich unbefriedigend, weil zwei konträre Darstellungen zu Kernfragen des Kaprunverfahrens nicht aufgeklärt worden sind - welche Version nun die Richtige ist", antwortete Danninger-Soriat. Weil Diskussionen über die Ursache und die Schuldfrage über das Flammeninferno in Kaprun immer wieder in den Medien auftauchten, könnte in der Bevölkerung auch der Eindruck entstanden sein, dass "etwas falsch gelaufen ist und der Fall Kaprun nie richtig abgeschlossen wurde", erklärte die Juristin.
Detail am Rande: Im Strafprozess stand der Staatsanwältin eine "Armada" an rund 20 Verteidigern gegenüber. Justizinsider kritisierten, dass Danninger-Soriat von der Oberbehörde kein zweiter Staatsanwalt zur Unterstützung zur Seite gestellt wurde.
Alle Freisprüche seit 2007 rechtskräftig
Seit dem 27. September 2007 sind alle Freisprüche im Kaprun-Strafverfahren rechtskräftig. Einige Opfer-Angehörige reagierten abermals mit Unverständnis. Am 7. November 2007 stimmte das Justizministerium dem Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zu. Am 16. April 2008 zeigten die beiden deutschen Gutachter Hans-Joachim Keim und Bernhard Schrettenbrunner vier Sachverständige des Salzburger Verfahrens an. Ihr Vorwurf: Im Prozess sei zielgerichtet versucht worden, Tatsachen zu vertuschen und zu unterdrücken. Am 4. November 2009 stellte die Staatsanwaltschaft Linz die Ermittlungen gegen die vier Gutachter ein. Es habe kein Nachweis erbracht werden können, dass die Gutachten vorsätzlich falsch erstellt worden seien, lautete die Begründung. (APA)
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(Quelle: salzburg24)