Die Thermometer zeigen wieder die ersten Minusgrade. Was gibt es da Besseres, als sich mit einem Heißgetränk und einer Decke auf die Couch zu kuscheln? Nicht alle haben aber die Möglichkeit dazu – denn aus unterschiedlichsten Gründen haben Menschen kein Dach überm Kopf. In diesem Fall können sie in einer Notschlafstelle der Caritas unterkommen. Der 47-jährige Wahlsalzburger Torsten Bichler arbeitet seit etwa 20 Jahren bei der Hilfsorganisation der Katholischen Kirche – seit etwa fünf Jahren ist er als Bereichsleiter für soziale Arbeit, Beschäftigung und Solidarität unter anderem für die Obdachlosenhilfe in Salzburg zuständig.
Sonntagstalk mit Torsten Bichler: Ein Auszug zum Nachlesen
SALZBURG24: Die kalte Jahreszeit hat offiziell begonnen. Während sich die meisten in ihre eigenen vier Wände verziehen und es sich dort gemütlich machen, haben nicht alle die Möglichkeit dazu. Wie viele benötigen denn im bevorstehenden Winter eine Schlafstelle?
TORSTEN BICHLER: Wir gehen davon aus, dass wir wieder die ähnlichen Zahlen haben wie in den vergangenen Jahren. Da reden wir immer so zwischen 80 und 120 Personen, die im Laufe des Winters sozusagen einen dringenden Wohnbedarf haben oder eine Notschlafstelle aufsuchen müssen, weil es keine Alternativen gibt, außer sonst die Straße. Und da gehen wir jetzt immer davon aus, dass sich das stabil hält. Das war die letzten Jahre eigentlich immer in dieser Schwankungsbreite.
Wenn man an Obdachlose denkt, dann hat man oft das Bild eines alten, betagten Mannes mit langem, Krausebart im Bild. Inwiefern trifft das denn auf Salzburg zu?
Das Bild von Obdachlosigkeit oder auch von Wohnungslosigkeit ist ja extrem breit. Es gibt jetzt nicht den einen Stereotypen, der das abdeckt. Klar, auch wir als Caritas haben das immer wieder auch in den Plakaten so verwendet, aber im Grunde ist gerade der Überbegriff der Wohnungslosigkeit, wo man vielleicht auch punktuell auf eine Notschlafstelle angewiesen ist, einfach deutlich bunter.
Die Zielgruppe bei uns in der Notschlafstelle ist von 18 bis 92 Jahren. Wir haben Männer, wir haben Frauen, wir haben unterschiedliche Ausbildungsniveaus, wir haben alle möglichen Herkunftsländer, Österreicherinnen, EU-Bürgerinnen, Drittstaatsangehörige. Also Obdachlosigkeit ist schon ein sehr buntes Bild. Das war mir auch nicht immer so bewusst, bevor ich in der Notschlafstelle 2014 begonnen habe.
Warum werden Menschen überhaupt, vor allem in einem so reichen Bundesland, beziehungsweise in so einer reichen Stadt wie Salzburg, überhaupt obdachlos?
Die ewige Frage nach dem Grund für Obdachlosigkeit, die wir immer gleich behandeln würden. Armut genauso wie Obdachlosigkeit hat immer strukturelle Ursachen. Wenn der Wohnungspreis nicht leistbar ist, wenn keine erschwinglichen Wohnungen vorhanden sind, die auch geeignet sind für die Personen oder für Familiengrößen – dann entsteht daraus Obdachlosigkeit.
Vielleicht landet man zuerst nur bei Bekannten auf der Couch, das geht auch nicht dauerhaft und irgendwann einmal rutscht man dann gänzlich durch und ist auf eine Notschlafstelle angewiesen. Wenn man überhaupt weiß, dass es eine gibt und wenn man das nicht weiß, dann landet man auf der Straße.
Sie sind seit Jahren bei der Caritas. Was hat Sie damals bewegt, in diesem Bereich zu arbeiten?
Die Geschichte ist sehr lange her und wie so vieles, hatte das gar nicht so sehr mit viel Motivation zu tun. Sondern als ich studiert habe, brauchte ich einen Studentenjob. Dann habe ich geringfügig als Nachdienstmitarbeiter im Flüchtlingshaus begonnen. Und dann hat die Zeit sich einfach so entwickelt.
Und irgendwann ist eben die Frage 2014 gekommen, ob ich mir vorstellen kann, eine Einrichtungsleitung zu übernehmen. Das war die Notschlafstelle. Das war tatsächlich eine sehr spannende Entscheidung. Man fragt sich, was erwartet mich da für eine Zielgruppe, wie viel Sucht steckt drinnen, wie viel toxische Männlichkeit. Und in dem ersten, zweiten Tag, wo ich da drinnen einen Dienst gemacht habe, habe ich alle meine Vorurteile widerlegt gesehen. Eben genau diese Buntheit, ein völlig diverses, buntes Bild von Menschen in der Notarbeitsstelle.
Welche Geschichte ist Ihnen denn am meisten in Erinnerung geblieben oder hat Sie am meisten beschäftigt?
2014 ist doch Conchita Wurst für den Song Contest angetreten. Da habe ich gerade in der Notschlafstelle begonnen und das war die Übertragung im Fernsehen. Und ich bin in die Notschlafstelle in den Aufenthaltsraum gegangen, wo der Fernseher gerade gelaufen ist. Und natürlich gibt es da Differenzen. Die Jungen und die Alten sind nicht in meiner Meinung. Männer und Frauen sind nicht in meiner Meinung. Das heißt, das ist nicht immer nur eine gemeinsame Gruppe, die sich da gut versteht, da gibt es schon Reibereien und Auseinandersetzungen.
Und das war damals auch so eine Konstellation. Da hat es immer wieder so Diskussionen gegeben. Und Fernsehen war immer ein Thema. Wer darf das schauen? Wie in jeder Familie. Und da drinnen bei 20 Menschen halt auch. Und die Frage, wer oder was Conchita Wurst ist, ist da unglaublich hoch und runter diskutiert worden. Das war so ein einendes Element, als diese Person für uns Österreicherinnen diesen Song-Contest gewinnt.
Und es war, glaube ich, nachher und vorher hat es nie wieder so eine konstruktive Diskussion und so eine spannende Einigkeit über diese Fragestellung gegeben. Dass es dann eigentlich eh wurscht ist, wer oder was die ist, sondern die sind gut und das passt gut. Das war extrem spannend, wie schnell es dann immer geht, diese Hürden zu überwinden, im Kleinen. Ich bin auch überzeugt, dass das im Großen gehen könnte, wenn man ab und zu ein bisschen hinschaut und das ein bisschen unterstützt, dass das wieder in die andere Richtung geht, mehr in Richtung Einigkeit und nicht gegeneinander geht.
Den Sonntagstalk auf SALZBURG24 gibt's jede Woche. Am kommenden Sonntag spricht Thomas Pfeifer mit einem Standler vom Salzburger Christkindlmarkt – einfach reinhören!
(Quelle: salzburg24)