Ein Boot fehlt noch, nämlich jenes 18 Tonnen schwere Metallboot, mit dem rund 140 Flüchtlinge aus Eritrea die Überfahrt nach Lampedusa auf Sizilien geschafft haben. Per Lkw ist das Boot mit den arabischen Schriftzeichen noch unterwegs nach Wittenberg, der Transport hat bei italienischen Behörden großes Misstrauen erweckt.
Keiner der Flüchtlinge bekam Asyl
Zahlreiche Auflagen mussten erfüllt, viele Nachweise erbracht werden. So musste dokumentiert werden, dass bei der Überfahrt mit diesem Boot kein einziger Flüchtling ums Leben gekommen sei. Anhand der Frontex-Akten ließ sich jeder Name der Flüchtlinge aus diesem Boot eruieren, alle überlebten die Fahrt. Doch keiner von ihnen erhielt Asyl in Europa, alle wurden inzwischen nach Afrika zurückgebracht. Nur ihr Boot erhält das Aufenthaltsrecht in Europa, nach der Reformations-Ausstellung bleibt es in Wittenberg stehen.
Erste Idee für Beitrag war viel radikaler
"Unsere ursprüngliche Idee war viel radikaler", erzählt Michael Ebner, in dessen Händen die künstlerische Gesamtleitung des österreichischen Beitrags lag, der APA. "Wir hatten geplant, so viele Original-Flüchtlingsboote nach Wittenberg zu holen, bis man vom Schwanenteich nichts mehr gesehen hätte. Damit wollten wir die Besucher sensibilisieren und ihnen zeigen: Boote dürfen Grenzen überschreiten, Menschen nicht." Durch den Höhepunkt der Flüchtlingswelle im Herbst 2015 schien eine solche Sensibilisierung nicht mehr nötig. Die Öffentlichkeit war sensibilisiert genug.
Salzburger Studenten und Bettler flechten Boote
Stattdessen flochten Studenten in Kuchl (Tennengau), in Barcelona, Paris, Basel und Istanbul bis zu sechs Meter lange Schiffchen, zusammen mit Roma-Bettlern aus Salzburg, die das Flechthandwerk beherrschen, und mit mehr als zwanzig Flüchtlingen, teils mit illegalem Status. Für manche war die Arbeit Spaß, für einige die Aufarbeitung persönlicher Tragödien.
Flüchtlinge arbeiten Trauma auf
Manche von ihnen sahen sich nach der Flucht übers Mittelmeer nicht dazu imstande, beim Flechten eines fahruntauglichen Bootes für einen Teich mitzumachen. Der 21-jährige Ali Mohamadou aus Kamerun, den Projektpartner in Barcelona im Hafen angesprochen haben, ließ sich nur zögernd darauf ein - bis er erkannte, dass er damit eine seelische Blockade durchbrechen und über sein Schicksal wieder reden konnte. Es war übrigens das erste Mal in seinem Leben, dass er für Arbeit Geld bekam.
Nicht nur Boote, auch Sakralräume
Aus dünnen, elastischen Lamellen aus Pappel-, Fichten-, Eschen- oder Lärchenholz entstanden die stilisierten Boote, nicht geschraubt oder verleimt, sondern mit dicken Schnüren "genäht", die bei leichtem Wind im Schwanenteich schaukeln, zum Fotografieren und Nachdenken anregen. Im Wasser des Schwanensees spiegeln sich die am Ufer aufgestellten offenen kuppelförmigen Sakralräume, bis zu sieben Meter hoch, ebenfalls aus geflochtenen und "genähten" Lamellen, bei Nacht indirekt beleuchtet. Schon jetzt äußerten viele Wittenberger den Wunsch, die Gebilde mögen auch über die Ausstellung hinaus stehen bleiben.
Kuchler Studenten gewinnen Wettbewerb
Ein interdisziplinäres Team des Campus Kuchl der Fachhochschule Salzburg (Studiengänge Holztechnologie und Holzbau sowie Design und Produktmanagement) hatte mit der Idee von geflochtenen Booten und geflochtenen Sakralräumen einen Wettbewerb gewonnen, das Motto "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" umzusetzen. Ausgeschrieben hatte den Wettbewerb der "Verein Reformationsjubiläum 2017" unter 21 Hochschulen. Studenten aus beiden Studiengängen des Campus Kuchl betreuen ihren Teil der Wittenberger Ausstellung nun bis 10. September. Insgesamt erwartet die Weltausstellung Reformation bis zu einer halben Million Besucher - die freilich mit Luther-Büchern, Luther-Sprüchen, Luther-Likör, Luther-Keksen, Luther-Gedeck und sogar Luther-Tomaten der Gefahr eines Luther-Kollers ausgesetzt sind.
Bleibt die Frage, was die Szenerie mit den im Wasser treibenden, halb abgesackten "Flüchtlingsbooten" mit Martin Luther und 500 Jahren Reformation zu tun hat? "Jeder soll seinen eigenen Zugang zum Projekt finden", so Ebner.
(APA)
(Quelle: salzburg24)