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Auch Leitl will über Zumutbarkeit bei Arbeitslosengeld reden

Veröffentlicht: 30. Juli 2015 13:30 Uhr
Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl stärkt in der Debatte um die Zumutbarkeitsbestimmungen für das Arbeitslosengeld seinem Parteifreund Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) den Rücken. Er finde es gut, die Frage der Zumutbarkeit zu thematisieren. "Wäre ich arbeitslos, würde ich gerne was annehmen - allein wegen dem Sinnerlebnis in meinem Leben."

Es werde doch in Österreich noch möglich sein, eine fachliche Diskussion zu führen, so Leitl im Gespräch mit der APA. Finanzminister Schelling hatte am Wochenende mit der Aussage für Aufregung gesorgt, dass es unter anderem deshalb so viele Arbeitslose gebe, weil der Unterschied zwischen deren Einkünften und einem Erwerbseinkommen zu gering sei. Am Montag betonte Schelling dann, er wolle weder das Arbeitslosengeld noch die Mindestsicherung kürzen. Jedoch fehlt es aus seiner Sicht an ausreichenden "Anreizen" für Erwerbslose, wieder einen Job anzunehmen.

Der Wirtschaftskammerpräsident sieht das ähnlich. "Wenn ich lese, dass Wirtshäuser zusperren müssen, weil sie keine Leute mehr bekommen, die bereit sind, am Wochenende zu arbeiten, dann stimmt doch etwas in unserem Land nicht." Auf der einen Seite suchten Betriebe händeringend nach Fachkräften, auf der anderen Seite stiegen die Arbeitslosenzahlen. Darüber müsse die Politik - gemeinsam mit den Sozialpartnern - diskutieren und eine "Regelung" finden, fordert Leitl.

Ob es an der geringen Bezahlung liegt, dass etwa die Gastronomiebetriebe schwer Arbeitskräfte finden? "Es gilt in Österreich der Kollektivvertrag, da gibt es keine Ausrede. Was die einzelnen Branchen bezahlen, bestimmten die Kollektivvertragspartner. Wir haben rund 700 KV-Regelungen pro Jahr, um auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Branchen einzugehen - unterzeichnet von Arbeitgebern und Arbeitnehmern", sagte der WKÖ-Präsident. Offensichtlich, so Leitl, gebe es Arbeitslose, die den Kollektivvertrag "nicht anwenden wollen".

Zum Thema Fachkräfte aus dem Ausland meinte der WKÖ-Chef, dass in Österreich bereits mehr Deutsche beschäftigt seien als umgekehrt. "Da muss man sich schon fragen, was ist die Ursache." Die steigende Arbeitslosigkeit macht Leitl große Sorgen. Daher müsse die Politik endlich handeln, anstatt "wieder einmal" auf die Konjunktur zu hoffen. "Jeder fürchtet, dass wir im Winter die 500.000er-Marke überschreiten, was psychologisch fatal wäre", so der Wirtschaftskammerpräsident.

Angesichts dessen und der anhaltenden Investitions- und Wachstumsschwäche kann Leitl nicht verstehen, warum jetzt das "erfreulicherweise" beschlossene Sonderwohnbauprogramm "im Kompetenzstreitigkeiten-Dschungel hängen bleibt und im Winter nicht kommt." Wenn die Wohnbauoffensive im Herbst beginne, "wird das vielleicht nächstes Jahr wirksam", so Leitl. "Da geht man mit den Arbeitslosigkeitszahlen leichtfertig um."

Überhaupt habe es im ersten Halbjahr 2015 nicht viele erfreuliche Meldungen gegeben, was den Standort Österreich betrifft, findet der WKÖ-Chef. Wirtschaftswachstum zu "erhoffen", sei zu wenig, so Leitl in Richtung Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ). "Wenn der Sozialminister von der Hoffnung zur Respektierung von Vorschlägen käme, würde das Applaus verdienen."

Die Wirtschaftskammer habe einige "leistbare" Vorschläge zur Ankurbelung der Wirtschaft parat, die bisher jedoch unerhört geblieben seien. So fordert Leitl etwa eine - zeitlich begrenzte und gedeckelte - Prämie für zusätzliche Investitionen. "Dann würden viele Unternehmen ihre Pläne herausholen, die sie in der Schublade haben."

AMS-Chef Johannes Kopf glaubt im Gegensatz zu Leitl nicht, dass mit einer Änderung der Zumutbarkeitsregelungen die hohe Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann. Das Problem sei das niedrige Wachstum, dagegen könne man mit Arbeitsmarktpolitik nichts ausrichten, sondern nur mit Konjunkturpolitik und Senkung der Lohnnebenkosten, so Kopf am Mittwoch in der "ZiB 2".

Auf die Frage, ob die Zumutbarkeitsbestimmungen zu großzügig seien, ließ sich Kopf nicht ein: Das sei eine "hoch politische Thematik" und gehöre deshalb vom Nationalrat gelöst. Zwei Änderungswünsche hatte er aber doch: Die geltenden Regelungen seien sehr komplex, er hätte sie gerne "grundlegend vereinfacht", damit sie leichter administriert werden können. Außerdem bekräftigte Kopf seinen Vorschlag, die Mindestverfügbarkeit bei Personen mit Betreuungspflichten von 16 auf 20 Stunden anzuheben, gepaart mit einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung - damit diese Personen in die wesentlich häufiger angebotenen Halbtagsjobs vermittelt werden können.

Generell stellte Kopf fest, dass man Menschen nicht zwingen könne, einen Job anzunehmen, wenn ihnen der Ort oder das Gehalt nicht gefallen. Überlegt werden sollten aber Lösungen für zwei "Inaktivitätsfallen" - also zwei Bereiche, wo das Arbeitslosengeld nah am erreichbaren Arbeitseinkommen liegt: Das sei bei der Mindestsicherung für Familien mit mehreren Kindern der Fall - wenn etwa bei drei Kindern 1.800 Euro ausbezahlt werden. Wegnehmen will Kopf diesen Menschen allerdings nichts, er wäre dafür, ihnen bei Arbeitsaufnahme einen Teil der Mindestsicherung als "Bonus" zu lassen. Außerdem gebe es eine relativ geringe Differenz im Fall von Arbeitslosengeld (etwa von 800 Euro) und geringfügiger Beschäftigung (von 400 Euro).

Leitls Aussagen empören Gewerkschaft und Arbeiterkammer. "Wenn der Wirtschaftskammerpräsident meint, dass etwas nicht stimmt, weil Wirtshäuser keine MitarbeiterInnen finden, die am Wochenende arbeiten wollen, hat er schon recht: Es stimmen nämlich die Arbeitsbedingungen nicht", so vida-Vorsitzender Gottfried Winkler.

Statt über verschärfte Zumutbarkeitsbedingungen für Arbeitslose zu diskutieren, sollte sich die Wirtschaft lieber um die Verbesserung der Bedingungen kümmern, meinte Winkler am Donnerstag in einer Aussendung. Solange die Einkommen im Hotel- und Gastgewerbe unterdurchschnittlich niedrig - der Bruttostundenlohn liege bei rund 8 Euro - und die Belastungen überdurchschnittlich hoch seien, dürfe sich niemand über Arbeitskräftemangel im Tourismus wundern.

Nach Meinung des Leitenden ÖGB-Sekretärs Bernhard Achitz würden schärfere Zumutbarkeitsbestimmungen zu Lohndumping und Dequalifizierung führen. "Wenn ich jemanden zwinge, einen Arbeitsplatz anzunehmen, für den sie oder er deutlich überqualifiziert ist, dann ist das ein doppelter Verlust. Der oder die Beschäftigte verliert Einkommen und Motivation, und die öffentliche Hand hat umsonst eine teure Ausbildung finanziert." Die Zeit der Arbeitslosigkeit solle für Weiterbildung genutzt werden.

AK-Präsident Rudolf Kaske findet die "Sommerlochdebatten nicht zumutbar". Er verwies auf den Arbeitsmarktgipfel im Herbst, bei dem die Frage der Finanzierung ein wichtiges Thema sein werde, "auf das der Finanzminister (Hans Jörg Schelling, ÖVP) hoffentlich gut vorbereitet ist." Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt seien unübersehbar.

Der ÖVP-Wirtschaftsbund indes forderte mehr Mut zu Reformen und eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen. In Österreich gebe es zu wenig Anreize für Beschäftigung, befindet Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner und nimmt damit dieselbe Position wie sein Präsident im Wirtschaftsbund, Leitl, ein. "Wir brauchen ein effizienteres System und vermehrte Kontrollen. Länder wie Schweden oder Dänemark setzen seit vielen Jahren auf effizientere Zumutbarkeitsbestimmungen und die Maßnahmen zeigen Wirkung. Die Arbeitslosenzahlen sind in diesen Ländern rückläufig, während sie in Österreich steigen."

(Quelle: salzburg24)

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