Nicht nur als ehemaliger Burgchef hat er das mehrfach eindrucksvoll vor Augen geführt. Tyrann sei er als Regisseur aber keiner, betonte Peymann. "Das ist ja eher ein selbstkritisches Koketieren. Tyrannen sind schlechte Regisseure, das machen nur Dilettanten." Wichtig sei zu wissen, dass man mit jedem Schauspieler anders umgehen müsse. "Da gibt es doch keine Summe. Manchmal muss man hart sein, aber wenn man zu hart ist, macht es 'Peng!', und dann ist der Schmetterling kaputt."
Wobei er bei den Proben natürlich auch brüllen könne. "Das ist aber nicht bös, sondern eine Kommunikationsfrage." Er selbst glaubt, dass das Theater die Welt verändere. In diesem "subversiven Ort" lehne man sich "gegen die Macht, gegen die Könige" auf. "Immer wenn das Theater das Gefühl hat, gegen etwas zu sein, dann wird es stark." Dass man sich für seine Leistungen "möglichst fürstlich" bezahlen lasse, ist für Peymann hingegen kein Problem. "Bezahlt werden, aber nicht gekauft", brachte es der Leiter des Berliner Ensembles auf den Punkt. "Insofern muss man die Subvention für die Burg erhöhen. Sparen ist der völlig falsche Weg und lebensgefährlich."
Mit dem Theater als "Oppositionsplatz" könne man auch die Aufmerksamkeit auf wesentliche Belange lenken, wie es Handke in seinem neuen Stück mache. "Wir wollen mit dem Theater die Welt verbessern und sind gegen den Wahnsinn der Kriege und der politischen Fehler", bekräftigte Peymann. "Der Weltkrieg ist längst im Gang. Wer glaubt, dass wir in Frieden leben, ist am Holzweg. Die Welt ist in Flammen." An die Zuschauer wie die Leser - Handkes "Die Unschuldigen..." erscheint auch in gedruckter Form - gerichtet, empfahl der 78-Jährige, sich auf das Werk einzulassen. "Es ist ein sehr interessanter, völlig unzeitgemäßer und doch sehr heutiger Text. Wie alle seine Stücke, die zunächst nur poetisch erscheinen, aber das Herz der Zeit erfassen."
Ob er selbst mit seinem Team - es handelt sich bei der Uraufführung um eine Koproduktion zwischen Burgtheater und Berliner Ensemble - die Essenz auf die Bühne bringen könne, wollte Peymann noch nicht beurteilen. "Ich weiß nicht, ob wir es hinkriegen. Jetzt ist der Moment unmittelbar vor dem Elfmeter für den Regisseur", schmunzelte er. "Ich will Ihnen aber auch nicht zu viele Dinge als Wegweiser geben. Suchen Sie sich selber einen Weg durch diese großartige Zauberlandschaft Peter Handkes."
Seine erste Inszenierung des Autors liegt mittlerweile 50 Jahre zurück - 1966 sorgte "Die Publikumsbeschimpfung" für einen Skandal. Dass gerade solche Autoren später vom Establishment angenommen werden - mit Thomas Bernhard verhält es sich ja nicht anders -, kommentierte Peymann recht lapidar: "Das ist halt so. Bei mir ja auch, ich bin in einige Herzen eingedrungen. Vielleicht liebt man dann daran, dass jemand etwas gewagt hat." Aus seiner Wien-Zeit an der Burg, die Peymann erneut als "Königsetappe" titulierte, habe er besonders "das unerhörte Gefühl von Österreich für Sprache" mitgenommen. "Davon können andere nur träumen, was sich hier an sprachlich-musikalischer Sensibilität versammelt. Und dass diese Disposition im Menschen vorliegt, sich so über Theater zu erregen und auch zu erfreuen, verdanke ich dieser Stadt."
Einen besonderen Stellenwert räumte er seinem langjährigen Begleiter Bernhard ein, der ihn während seiner Intendanz "auf Stierkampf" eingestellt habe. "Das war die Chance, dadurch kam es zur andauernden, mehrjährigen Explosion. Sie ahnen ja nicht, wie sehr er die Wiener Seele verstanden hat." Wobei Peymann gleichzeitig festhielt, dass gerade von ihm oft inszenierte Autoren wie Bernhard, Handke oder Elfriede Jelinek "auf ihre Art der Theaterpraxis ausgesprochen negativ gegenüberstehen". Letztlich sieht er sich als "Mittler zwischen Literatur und unserem Spiel".
Letzteres ist es auch, das er im zeitgenössischen Theaterbetrieb sukzessive vermisst. "Die Stimme, die Sprache, das Spiel ist in Gefahr." Nicht zuletzt durch eine Orientierung an filmischen Medien fürchtet Peymann, dass "wir die Einmaligkeit zerstören. Machen wir eine Affirmation an unsere Feinde, verlieren wir dadurch unsere eigene Waffe." Ebenso kritisch beurteilte er jenen "Theatertourismus" der im Sinne aktueller Bezüge "fünf Afghanen auf die Bühne holt, die kein Deutsch können". Das habe nichts mit der Realität zu tun, sondern sei "lächerlich und ekelerregend".
Unter die Zeit in Wien scheint Peymann jedenfalls einen einigermaßen positiven Strich gezogen zu haben. "Ich trage heute noch genügend Wunden aus dieser Zeit. Aber es ist Balsam, wenn Leute auf der Straße auf mich zu kommen. Da komme ich mir vor wie ein Fußballer angesichts dieser Erwartungen und des Erwartungsdrucks. Es ist auch für Karin Bergmann (Burgtheater-Direktorin, Anm.) eine Tat, dieses Stück und diesen Regisseur zu holen. Ich hoffe, ihr kein Kuckucksei ins Nest zu legen."
(Quelle: salzburg24)