In einer ersten Stellungnahme zum Bericht der Kommission über teils systematische Betrugspraktiken hatte die IAAF gemeint, einen "provisorischen und kompletten Ausschluss" Russlands und damit ein Startverbot russischer Athleten bei künftigen IAAF-Veranstaltungen zu erwägen. IAAF-Präsident Sebastian Coe gab den Russen bis zum Wochenende Zeit, auf den Report zu antworten.
Der IAAF-Vorstand wird voraussichtlich auf seiner schon länger angesetzten Sitzung am 26. und 27. November in Monte Carlo entsprechende Entscheidungen treffen. Auf der Tagesordnung wird auch der Korruptionsskandal um den früheren IAAF-Präsidenten Lamine Diack stehen, dem die französische Justiz Bestechlichkeit und Geldwäsche in Zusammenhang mit der Vertuschung von (russischen) Dopingfällen vorwirft.
Das Exekutivkomitee des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wird Anfang Dezember in Lausanne über mögliche Konsequenzen für Russland beraten. Das IOC wird untersuchen, welche Auswirkungen die Enthüllungen über das russische Sportsystem und die Bestechungsaffäre um Diack für die vergangenen Sommer- und Winterspiele - wie jene 2014 in Sotschi - gehabt haben könnten. Das Olympia-Komitee schickte als erste Reaktion auf den 320-seitigen WADA-Report voraus, der neuen IAAF-Führung um Coe zu vertrauen, dass sie alle notwendigen Schlussfolgerungen trifft und erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung einleitet.
Die Ethikkommission des IOC hat immerhin bereits die Suspendierung des IOC-Ehrenmitglieds Diack empfohlen. Auch die WADA wird darüber entscheiden müssen, ob sie der Empfehlung der Kommission, dem in die Dopingmachenschaften verwickelten Kontrolllabor in Moskau die Akkreditierung zu entziehen, nachkommt.
Acht russische Athleten sollen sich gegen hohe Summen von einer möglichen Sperre freigekauft haben und bei Olympia 2012 in London am Start gewesen sein. Einer dieser Sportler soll laut Medienberichten Olympiasieger geworden sein, ein weiterer habe eine Silbermedaille gewonnen. Einige der im WADA-Bericht vorkommenden Leichtathleten sind mittlerweile überführt und gesperrt worden. In anderen Fällen ist die Aberkennung von Olympia-Ergebnissen und die Nachrückung von dahinter Platzierten noch im Gange.
Die WADA hat zudem dem Testlabor in Moskau mit sofortiger Wirkung die Akkreditierung entzogen. Durch diese vorläufige Suspendierung könne das im Bericht der WADA-Kommission über weitreichende Vertuschung von Dopingfällen in Russland mitbeschuldigte Labor keine Analysen von Blut- und Urinproben im Auftrag der WADA mehr durchführen, teilte die Agentur am Dienstag mit.
Die Aufarbeitung des von einer im Vorjahr ausgestrahlten ARD-Dokumentation ins Rollen gebrachten Skandals durch die WADA-Kommission ist auf weltweite Zustimmung gestoßen. Auch die Forderung nach dem (vorläufigen) Ausschluss Russlands wird von vielen Experten, nationalen Verbänden und Anti-Doping-Organisationen gutgeheißen. Aus Russland kamen freilich hauptsächlich Dementis. Die Anschuldigungen seien politisch motiviert und viele Behauptungen nicht zutreffend, hieß es.
Das russische Sportministerium forderte die WADA auf, sich im Zuge ihrer Untersuchungen "an reale Fakten und Beweise" zu halten. Es gebe einen "großen Unterschied" zwischen Informationen durch die Medien und bewiesenen Tatsachen, auf die sich derartige Ermittlungen gründen sollten. Man werde den Bericht aber "gründlich studieren" und die "geeigneten Maßnahmen umsetzen".
Die Empfehlungen der WADA-Kommission "werden Russland helfen, das Anti-Doping-System in naher Zukunft zu verbessern", heißt es in dem Statement. Von den meisten Punkten in dem Report sei man "nicht überrascht. Wir sind uns der Probleme im Russischen Leichtathletik-Verband vollauf bewusst und wir haben Maßnahmen ergriffen, um die Situation in den Griff zu bekommen". Es gebe einen neuen Verbandspräsidenten, einen neuen Cheftrainer, und der Trainerstab werde verjüngt. Diese Maßnahmen sind freilich erst nach der schon früher erfolgten Aufdeckung der Dopingmachenschaften gesetzt worden.
Fast verzweifelt wirkt die Verteidigung, die Russlands Sportminister Witali Mutko seit Wochen gebetsmühlenartig vorträgt. Russland sei sich der Probleme im russischen Leichtathletik-Verband bewusst und habe bereits einen neuen Verbandspräsidenten und einen neuen Cheftrainer berufen. Auch gegen Mutko selbst werden die Vorwürfe immer lauter, in den Skandal verstrickt zu sein. Doch von einem Rücktritt des Ministers und engen Vertrauten des sportbegeisterten Präsidenten Wladimir Putin will der Kreml nichts wissen. Der 51-Jährige leitet auch die Vorbereitungen für die Fußball-WM 2018 in Russland und ist Chef des Fußballverbandes. "Solange nicht irgendwelche Beweise genannt werden, fällt es schwer, die Beschuldigungen anzunehmen. Sie haben weder Hand noch Fuß", meint Putin-Sprecher Peskow.
Stattdessen bringen Kommentatoren in Moskauer Medien den Skandal in Verbindung mit den politischen Spannungen zwischen Russland und dem Westen. Vor allem wegen der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim 2014 und der folgenden Sanktionen des Westens ist das Verhältnis vergiftet. "Man darf kein einzelnes Land isolieren, selbst wenn es Probleme gibt. Diese müssen zusammen gelöst werden", meint Mutko. Die Causa schlägt ihm inzwischen aber auch auf das Gemüt. "Vor einem halben Jahr war alles gut. Jetzt ist alles schlecht", sagt er.
(Quelle: salzburg24)