Michael Thalheimer hat die "romantische Tragödie" rund das einfache französische Bauernmädchen, das im 100-jährigen Krieg als Werkzeug Gottes zur Rettung ihres Vaterlandes antritt, radikal reduziert und lässt Hauptdarstellerin Kathleen Morgeneyer die längste Zeit auf einem Fleck stehen, das Schwert reglos in der Hand haltend, angestrahlt von einem einzigen Scheinwerfer. Diese Johanna ist mehr Projektionsfläche oder Ausstellungsstück denn ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Auf der finsteren, völlig leeren Bühne von Olaf Altmann, die erst in der Schlussszene offenbart, dass sie von einer Art Kuppeldach bedeckt ist, aus deren einziger Öffnung der Lichtstrahl auf Johanna fällt, vertraut Thalheimer vor allem auf Macht und Gewalt der Sprache. Es wird in der pausenlosen Aufführung, die nicht immer die Spannung halten kann, mehr geschrien als gehandelt. Dennoch gelingen immer wieder starke Bilder, in denen u.a. Christoph Franken als schwächlicher König, Meike Droste als dessen Geliebte Agnes und Almut Zilcher als dessen mit den Feinden paktierende hasssüchtige Mutter herausragt.
Die Aufführung, die bis 7. August im Salzburger Landestheater gezeigt wird, ist eine Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin. Dort wird sie am 27. September erstmals zu sehen sein.
Übliche Promi-Gäste vor Landestheater
Es war die Premiere auf der anderen Salzachseite. Beim Stück „Die Jungfrau von Orleans" im Salzburger Landetheater kamen die Theaterfreunde unter den Gästen auf ihre Rechnung. Bei knapp 40 Grad im Schatten war das Getummel vor dem Gebäude überschaubar. Die Gäste praktisch ident wie alle Jahre: Hans Mahr und Katja Burkhard, Bundestheatergeneral Georg Springer mit Ursula Plassnik, Prinzessin Elisabeth Breunner –Auersperg mit Ehemann Alexander.
In Sichtweite des Landestheaters das Hotel Sacher. Aber ein Blick auf Schauspielerin Jane Seymour war vergebens. Sie kam nachmittags aus Wien und blieb dann im Hotel. Ebenfalls nachmittags checkte Anna Netrebko im Hotel ein. Erst im letzten Augenblick, eine halbe Stunde bevor Erwin Schrott seinen Tango-Auftritt im Festspielhaus hatte, stieg das Paar in die Limousine und huschte beinahe unbekannt durch die Stadt. Kein gemeinsames Foto. Erwin am Vordersitz, Anna am Rücksitz.
Auch vor dem Festspielhaus eher Eiszeit. Die pompösen Auftritte vor dem Festspielhaus gehören der Vergangenheit an. Das Paar stieg im Innenhof aus und gelangte so fast ungesehen ins Festspielhaus. Dienstag reist das Paar bereits wieder ab. Ob Erwin Schrott zu den Auftritten von Anna Netrebko am 6. August nach Salzburg kommt, war nicht in Erfahrung zu bringen.
Riesenapplaus allerdings für Erwin Schrott dann nach seinem Konzert von Wüstenrot Generalin Susanne Riess, Schauspieler Alfons Haider, Schauspielerin Anja Kruse, Fürstin Manni Sayn Wittgenstein und Sohn Peter sowie einmal mehr von Ministerin Maria Fekter und Tochter Caro.
"Jungfrau von Orleans": Statue ohne Spielraum
Michael Thalheimer ist immer für Überraschungen gut. Wer sonst als dieser strenge Meister der Reduktion käme auf die Idee, ausgerechnet "Die Jungfrau von Orleans", den Inbegriff der sich mit Gottvertrauen und Todesverachtung in das Schlachtgetümmel werfenden und damit alle anderen mitreißenden Überzeugungstäterin, spielen zu lassen, als wäre sie angewurzelt? Hauptdarstellerin Kathleen Morgeneyer hat in seiner Inszenierung, die gestern, Sonntag, Abend bei den Salzburger Festspielen Premiere hatte und ab 27. September im deutschen Theater Berlin zu sehen ist, wahrlich wenig Spielraum. Die Sprache bleibt die längste Zeit ihr einziges Ausdrucksmittel. Doch die Überraschung gelingt. Das Konzept geht auf. Aber es überzeugt nicht restlos.
Es wirkt, als hätte sich der Regisseur Schillers "Lied von der Glocke" zum Vorbild genommen: "Fest gemauert in der Erden / Steht die Form, aus Lehm gebrannt. / Heute muß Johanna werden. / Frisch Gesellen, seid zur Hand." Der Vorhang geht hoch. Eine schmächtige, zierliche junge Frau mit großen Augen, langen Haaren und weißem Kleid steht gebannt vor uns, ein Schwert reglos in der Hand. "Die zentrale Frage, die mich interessiert, ist: Wer ist diese Jeanne d'Arc?", hatte Thalheimer bei den Proben gesagt. Er versucht sie nicht von innen heraus, sondern aus ihrer Umgebung zu erklären. Seine "Jungfrau von Orleans" ist bereits zum Standbild geworden, von einem scharfen, vom Himmel kommenden Lichtstrahl beleuchtet, als wäre sie ein wertvolles Ausstellungsstück.
Johanna ist das, was die anderen in ihr sehen wollen. Das war in den Jahrhunderten danach so, als Leben und Tod des gegen die Engländer kämpfenden und 1431 als Ketzerin verbrannten lothringischen Bauernmädchens zum Anheizen allerlei patriotischer Gefühle und politischer Kalküle diente - und das ist in dieser zweieinviertel Stunden langen, pausenlosen Aufführung so. Der Regisseur streicht den Prolog, der sich mit Johannas familiärer Herkunft befasst, und stellt sie wie eine Himmelserscheinung mitten in die Fürsten und Ritter, die den ebenso dekadenten wie bankrotten König Karl VII. (ein eindrucksvoller Schwächling: Christoph Franken) umgeben. Um gegen die Engländer, die sich mit Karls Mutter, Königin Isabeau (herrlich rachsüchtig: Almut Zilcher), verbündet haben, bestehen zu können, hilft nur noch ein Wunder. Doch das befindet sich bereits mitten unter ihnen. Und darf nun endlich die Stimme erheben. Es ist nicht ihre Stimme, daran lässt Morgeneyer durch verschiedene Sprachhaltungen keinen Zweifel. Es ist Gottes Stimme, die durch sie spricht.
„Jungfrau von Orleans" – ein Steh- und Brülltheater?
Zu dieser Zeit sind bereits manche Zuschauer im Salzburger Landestheater, das an diesem bisher heißesten Tag des Jahres angenehm heruntergekühlt worden war, wieder erhitzt. Der Verzicht auf szenische Aktion, die Verwendung der finsteren, von einer Kuppel überwölbten Bühne (Bühnenbild: Olaf Altmann) als reiner Sprach-Raum, irritiert. Die Schiller'schen Verse bekommt auf der Bühne kaum jemand in den Griff. Überdeutlich wird artikuliert, mit großem Druck werden Bekenntnisse herausgeschleudert. Emotion als Deklamation. Böse Worte kommen einen in den Sinn: Steh- und Brülltheater. Doch dann passiert doch noch einiges, das wieder versöhnt.
Tragisches Ende ohne Scheiterhaufen
Thalheimer verzichtet nämlich nicht ganz auf szenische Anstöße. Er reduziert die möglichen Schlachtengemälde bloß auf Miniaturen, die man konzentriert zu betrachten hat, um nichts zu versäumen. "Die Bilder sollen in den Köpfen der Zuschauer entstehen", sagt er. "Das ist ein viel spannenderer Vorgang." An der Seite der gottgesandten Jungfrau, die sich für das Handwerk des Tötens ihr Gesicht schwarz eingefärbt hat, tauchen nun jede Menge Krieger (sehr präsent: Andreas Döhler als Dunois und Henning Vogt als Du Chatel) auf und rücken ihr nahe. Die vermeintlich gottgegebene Aufgabe der Frau ist ihnen lieber als jegliche göttliche Sendung. Da gibt es viel komisches Hoffen und Bangen, Werben und Abweisen, aber auch viel Blutspucken. Die Feinde lassen ihr Leben, ohne dass Johanna auch nur das Schwert erheben muss.
Der "romantischen Tragödie" der jungen Frau, die ihre Liebesfähigkeit entdeckt und damit ihr Sendungsbewusstsein verliert, die nur auf eine fremde Stimme, nicht aber auf ihre eigenen Gefühle hören kann, geht diese Inszenierung nicht wirklich auf den Grund. Das ist schade, denn mit Meike Droste als Karls energische Geliebte Agnes Sorel oder Alexander Khuon als zu ihr in Liebe entbrannter Lionel wären für die Vertiefung dieser Aspekte des vielschichtigen Stücks starke Mitspieler zur Verfügung gestanden.
Zum tragischen Ende gibt es Schattenspiel, nicht Scheiterhaufen. Kein Regie-Frevel: Den hatte bereits Schiller verweigert. In den einhelligen Jubel für Kathleen Morgeneyer und in den Applaus für das Ensemble mischten sich ein paar hartnäckige Buhrufer gegen die Regie. Dabei hätten sie sich bloß Johannas Schlusssatz zu Herzen nehmen müssen: "Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!"
(S24.at/APA)
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(Quelle: salzburg24)