"Kunst, Verschwendung und Gerechtigkeit" ist der Titel jener Festrede, die der schweizer Literaturwissenschafters Peter von Matt am Freitagmittag beim Festakt zur Eröffnung der 92. Salzburger Festspiele 2012 gehalten hat.
Erstmals haben die Festspiele ihren Eröffnungsredner selbst ausgewählt, traditionellerweise lag dieses Recht beim Land Salzburg. Der 75-jährige Professor der Universität Zürich und vielfach ausgezeichnete Autor zahlreicher Publikationen Peter von Matt versuchte in seiner Rede, die Legitimation von Kunst in einer Welt von Armut und fehlendem Trinkwasser zu beleuchten und kam zu dem Schluss: Die Kunst sei ein überflüssiger Akt von Verschwendung. Aber sie sei zugleich ein Akt von Freiheit und Teil der menschlichen Natur. "Die Kunst erleuchtet die Welt. Aber sie tut es auf zwielichtige Weise", argumentierte Matt und fragte: "Hat die Kunst sich denn nicht immer den Mächtigen angedient? Hat sie ihnen nicht die goldenen Throne gefertigt und die Gemächer verziert, hat sie den Kaisern nicht die schimmernden Paläste, den
Päpsten die ungeheuren Kirchen gebaut? Hat sie nicht immer die Reichen beglückt und den Armen die Stehplätze überlassen? Ungezählte Werke von betäubender Schönheit sind nur entstanden, um prahlerischen Herrschern die Illusion ihrer Unsterblichkeit zu verschaffen. Heute hat die Finanzindustrie die aristokratischen Höfe abgelöst. Man legt sein Geld in Öl, Uran und Warhols an." Das "etwas melodramatische" Pastellbild "Der Schrei" von Edward Munch sei kürzlich für 120 Millionen Dollar verkauft worden, und jetzt könne man hoffen, dass auch die Pollocks, die Richters und die Lichtensteins, die man als Anlage angeschafft hatte, wieder zulegen würden, so Matt. "Und wenn die Blase platzt, zu der sich der Kunstmarkt in den letzten Jahren aufgepumpt hat, wie steht dann die Kunst selber da? Als eine Prostituierte jener 'Märkte', von denen niemand genau weiß, wer sie sind, obwohl sie ganzen Ländern das Wasser an den Hals steigen lassen?" Und Matt nimmt vor den Granden aus Politik, Wirtschaft und Kunst auch die Rolle der Künstler kritisch unter die Lupe und zitiert antike Autoren sowie Schiller oder Celan, die von der ästhetischen Qualität der Werke auf die Moral ihrer Schöpfer schließen wollten. "Doch leider ist das eine sentimentale Legende. Gerade weil sie alles Menschliche mit grimmigen Griffen erfassen, ist den Künstlern selbst nichts Menschliches fremd, und die großen Seelen können auch kleinliche Zänker sein, eifersüchtig wie die Elstern." Die Liste "hässlicher Gefechte" sei lang in der Kunstgeschichte. Doch der eigentliche Skandal an der Kunst sei, dass sie ihrem Wesen nach überflüssig, ja Ausdruck von
Verschwendung sei. "Zum physischen Überleben brauchen wir sie nicht. Da steckt der Stachel. Die Kunst tritt immer hinzu. Was der Mensch zum Überleben braucht, sind Brot und Früchte und sauberes Wasser, und tatsächlich leben auf dieser Erde Abertausende, denen Brot und Früchte und insbesondere sauberes Wasser fehlen. Das einzige, was nirgendwo zu fehlen scheint, sind die Kalaschnikows. Darf es denn überhaupt Kunst geben, den Überfluss schlechthin, solange es Menschen gibt, denen es an Brot und Früchten und sauberem Wasser fehlt? Am Schluss seiner Rede aber bricht der Festredner Peter von Matt trotz all dieser kunstkritischen Einwände dann doch eine eindeutige Lanze für Kunst und Verschwendung: "Kunst ist in allen Kulturen weit mehr als ein zynischer Luxus der Besitzenden oder ein Einschüchterungsritual der Herrschenden. Sie ist ein Glücksfaktor für alle. Denn auf der
Verschwendung, dem kurzfristige Genuss von Überfluss, beruht das Fest. Und ohne Feste kann keine organisierte Gemeinschaft leben - wer weiß, ob nicht sogar die Ameisen ihre nächtlichen Orgien feiern. Kunst und Fest sind nicht identisch, aber in ihrem Wesen verwandt... Wer dagegen antritt, tritt an gegen die menschliche Natur." (APA)