Generationenfrage

70 Jahre Neutralität: Zustimmung sinkt bei Jüngeren

Ein Großteil der Österreicher:innen steht hinter der Neutralität. (SYMBOLBILD)
Veröffentlicht: 24. Oktober 2025 07:56 Uhr
70 Jahre nach ihrer Verankerung in der Verfassung genießt die österreichische Neutralität weiterhin breite Zustimmung: Für 80 Prozent der Bevölkerung ist sie ein zentraler Teil der nationalen Identität. Während ältere Generationen das Bekenntnis besonders stark teilen, steht die Jugend dem Symbol vorsichtiger gegenüber – und doch will die klare Mehrheit an der Neutralität festhalten.

Kommenden Sonntag jährt sich zum 70. Mal der Beschluss des Verfassungsgesetzes zur immerwährenden Neutralität Österreichs im Nationalrat. Und auch 70 Jahre später scheint die Zustimmung zu dieser ungebrochen. Für 80 Prozent der Bevölkerung ist sie Teil der österreichischen Identität, wiewohl die jüngere Generation den Zusammenhang zwischen Neutralität und Identität etwas relativierter sieht.

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Die hohe Zustimmung zur Neutralität führt der Politikwissenschafter und Neutralitätsforscher Martin Senn darauf zurück, dass sie "Teil des Staatsbildungsprozesses der Zweiten Republik" ist. "Sie ist ein wesentlicher Teil der Erzählung, was Österreich nach 1945 und 1955 ist, und wer wir sein wollen", wie Senn gegenüber der Parlamentskorrespondenz erklärte: "Und sie ist auch Teil der Erzählung, wer wir nicht sein wollen."

Senn führt an der Universität Innsbruck in Kooperation mit dem Außenministerium das "Austrian Foreign Policy Panel Project (AFP3)" durch. Das Team erhebt in der Langzeitstudie seit 2023 die Einstellungen der österreichischen Bevölkerung zur Außen- und Sicherheitspolitik - und damit auch zur Neutralität.

Stabiles Bekenntnis zur Neutralität bei Jungen weniger stark

In den Daten falle aber auf, dass jüngere Befragte Neutralität und Identität weniger stark verknüpft sehen als ältere. Während 88 Prozent der Über-60-Jährigen der Neutralität als Identitätsmerkmal zustimmen, sind es bei den 18- bis 29-Jährigen nur noch 65 Prozent. Laut Senn hängt das damit zusammen, dass die Neutralität in den vergangenen 20 Jahren im öffentlichen Raum wenig präsent war.

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Jedoch habe sich dies seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Jahr 2022 wieder geändert. Vor der "Zeitenwende" sei Krieg in der öffentlichen Wahrnehmung ein Thema der Vergangenheit gewesen, erklärte Senn: "Wenn Krieg der Vergangenheit angehört, ist auch die Neutralität wenig relevant, weil sie immer im Bezug zu kriegerischen Auseinandersetzungen steht". Die junge Generation sei in den prägenden Jahren ihrer politischen Sozialisation dementsprechend wenig mit der Neutralität in Berührung gekommen.

Dennoch solide Mehrheit für Beibehaltung

Dennoch gebe es nach wie vor eine solide Mehrheit für die Beibehaltung der Neutralität in ihrer derzeitigen Form. 59 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus. 36 Prozent würden sich eine umfassendere Neutralität wünschen, 13 Prozent sind für einen NATO-Betritt und nur neun Prozent würden die Neutralität aufgeben wollen, ohne der NATO beizutreten. Insgesamt konnte das Forschungsteam bei den Fragen zur Neutralität eine Konstanz über die Jahre hinweg feststellen. "Das Bekenntnis zur Neutralität ist stabil", sagte Senn.

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Neutralität als "politischer Mythos"

Die Ergebnisse seiner Forschung zeigen für Senn, wie wirkmächtig die Neutralität als "politischer Mythos" ist. Ein politischer Mythos ist ein Bezugspunkt für Gemeinschaften, eine Erzählung, die Halt gibt. Er bietet Orientierung und ist vor allem wichtig, wenn die Umgebung stark im Wandel ist.

Er plädiert dafür, anzuerkennen, dass Neutralität als Erzählung ein wichtiger Ankerpunkt für die Gesellschaft ist. Davon ausgehend müsste man behutsam vorgehen und mit der Bevölkerung gemeinsam überlegen, ob und wie man die Neutralität fit für das 21. Jahrhundert machen kann. Man sollte nicht über "Neutralität - ja oder nein" oder "Neutral bleiben oder der NATO beitreten" diskutieren, so Senn. Das aktuelle Jubiläumsjahr biete dafür gute Anknüpfungspunkte.

(Quelle: apa)

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