"Ja, selbstverständlich"

Kurz will auch bei Anklage Kanzler bleiben

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitag, 18. Juni 2021, im Rahmen einer Pressekonferenz nach der Westbalkankonferenz in Wien. 
Veröffentlicht: 26. Juli 2021 07:30 Uhr
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will auch bei einer Anklageerhebung gegen ihn nicht zurücktreten. "Ja, selbstverständlich", antwortete Kurz in einem Interview mit "Bild live" auf die Frage, ob ein Angeklagter Bundeskanzler sein könne. Jetzt ist klar, dass er im Zuge der Ermittlungen gegen ihn wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss von einem Richter befragt wird und nicht von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

Das Justizministerium bestätigte am Montag einen Online-Bericht der "Presse". Demnach hat das Justizministerium Montagabend eine entsprechende Weisung erteilt, die dem Wunsch von Kurz' Rechtsvertreter entspricht.

WKStA bleibt Herrin des Verfahrens

Das Justizministerium betonte in einer Aussendung Montagabend, dass die Entscheidung "ausschließlich aus rechtlichen Erwägungen" getroffen worden sei. "Ausdrücklich festgehalten wird, dass mit dieser Entscheidung keinerlei Vorbehalt des Justizministeriums gegenüber der fallführenden Staatsanwaltschaft verbunden ist." Der weitere Ablauf des Verfahrens bleibt denn auch in der Hand der Korruptionsstaatsanwaltschaft: "Die WKStA bleibt als fallführende Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens."

Ermittlungen gegen Kanzler

Die WKStA ermittelt nach einer Anzeige gegen Kurz wegen des Verdachts, den Ibiza-Untersuchungsausschuss in mehreren Punkten falsch informiert zu haben. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie intensiv Kurz unter Türkis-Blau in die Reform der Staatsholding ÖBAG involviert war. Bei seiner Befragung im Ausschuss hatte der Kanzler seine Rolle bei der Auswahl des Aufsichtsrats sowie bei der Bestellung des umstrittenen Ex-ÖBAG-Chefs Thomas Schmid heruntergespielt und sinngemäß von normalen Vorgängen gesprochen. Später aufgetauchte Chatprotokolle legen allerdings eine enge Abstimmung zwischen Schmid und Kurz nahe.

Kanzler-Anwalt fordert Befragung durch Richter

ÖVP-Anwalt Werner Suppan hatte gefordert, dass die Befragung des Bundeskanzlers nicht durch die Staatsanwaltschaft erfolgen soll, sondern durch einen Richter. Als Grund nannte Suppan, dass es "um einen besonderen Fall und eine besondere Persönlichkeit geht". Sowohl Kurz selbst als auch die ÖVP hatten die WKStA in der Vergangenheit wiederholt attackiert und ihr vorgeworfen, parteipolitisch zu agieren. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) stellte sich dagegen hinter die Ermittler, die Staatsanwaltschaft selbst beklagte politisches Störfeuer gegen ihre Ermittlungen.

Das Justizministerium erläuterte nun in der Aussendung Montagabend, dass die Oberstaatsanwaltschaft Wien sich an die zuständige Sektion für Einzelstrafsachen des Justizministeriums gewandt hatte, um zu klären, ob im Verfahren gegen Kurz die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beschuldigteneinvernahme durch einen Richter vorliegen. Die Strafprozessordnung (Paragraf 101 Abs. 2) sieht als Voraussetzungen sowohl eine besondere Bedeutung des Beschuldigten als auch eine besondere Bedeutung der Straftat und daher bestehendes öffentliches Interesse an der gerichtlichen Beweisaufnahme vor.

Kurz will bei Anklage im Amt bleiben

Wann die Beschuldigteneinvernahme stattfindet, ist noch unklar. Kurz hat jedenfalls zuletzt betont, auch bei einer Anklageerhebung gegen ihn nicht zurücktreten. "Ja, selbstverständlich", antwortete Kurz in einem Interview mit "Bild live" auf die Frage, ob ein Angeklagter Bundeskanzler sein könne. Es sei bei solchen Anklagen "nie etwas dran" gewesen und sie hätten sich "alle als falsch herausgestellt". Er wisse, was er getan und nicht getan habe. "Ich habe definitiv immer vorsätzlich die Wahrheit gesagt", bekräftigte der ÖVP-Chef seine Verteidigungslinie.

Kritik von Opposition

Kritik an den Aussagen von Kurz kam am Montag von SPÖ und FPÖ. "Ein Kanzler kann nicht gleichzeitig auf der Regierungsbank und Anklagebank sitzen", sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung. FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst ortete eine "Unverfrorenheit von ÖVP-Kanzler Kurz", die "langsam unerträglich" werde. Auch die NEOS zeigten sich kritisch: "Dass sich Kanzler Kurz offenbar nur Gedanken über die drohende eigene Anklage macht, dabei einmal mehr die unabhängige Justiz zu diskreditieren versucht und sich selbst freispricht, zeigt, dass er vor allem mit sich selbst beschäftigt ist", so der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak.

Von der Leyen trifft Schallenberg in Salzburg

Nichts wurde es mit dem Treffen von Bundeskanzler Sebastian Kurz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Festspieleröffnung in Salzburg. Der Kanzler ist krank.

Das Interview, in dem Kurz einen Rücktritt ausschloss, wurde laut "Bild" bereits am Freitag in Österreich aufgezeichnet. Aus einer Aussage des Kanzlers konnte man schließen, dass es in Salzburg geführt wurde. Dort hätte Kurz am Sonntag anlässlich der Eröffnung der Salzburger Festspiele EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen treffen sollen, doch sagte er krankheitsbedingt ab und ließ sich von Außenminister Alexander Schallenberg und Karoline Edtstadler (beide ÖVP) vertreten.

Weiter Abschiebungen nach Afghanistan

In dem rund halbstündigen Interview nahm der Kanzler auch zu den Themen Migration, Corona und Klima Stellung. Von Bild unter anderem mit barbarischen Aussagen eines Taliban-Richters über die Steinigung von Homosexuellen konfrontiert, blieb Kurz bei seiner Haltung zum Thema Migration.

"Wir werden sicherlich weiter nach Afghanistan abschieben", betonte er. Flüchtlinge sollten in den Nachbarländern oder in anderen Teilen des Landes aufgenommen werden, die nicht unter Kontrolle der Taliban seien, so Kurz, der einräumte, sich "Sorgen" wegen des internationalen Truppenabzugs aus dem Land zu machen. Allerdings würden aus dem Land auch sehr viel an homophoben oder frauenfeindlichen Ansichten importiert, so Kurz, der in diesem Zusammenhang auch den Fall Leonie erwähnte.

Kanzler über Corona, Impfung und Co

Beim Thema Corona verteidigte er ebenfalls seine Linie, auf Eigenverantwortung zu setzen und verwies auf die "extremen Kollateralschäden" durch die Restriktionen der vergangenen Monate. "Die Impfung ist 100 Mal besser als der Lockdown", so Kurz. Zugleich versicherte er: "Wenn es Probleme gibt, dann werden wir sofort darauf reagieren." Jenen Menschen, die sich nicht impfen wollen, müsse man "reinen Wein einschenken und sagen: Du wirst Dich früher oder später anstecken", sagte der Kanzler. Die Frage, ob er Menschen wieder die Hände schüttle, bejahte er.

Mit der schnellen Entwicklung der Corona-Impfung versuchte Kurz auch seinen Glauben an die Technologie im Kampf gegen den Klimawandel Glaubwürdigkeit zu verleihen." Ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschheit zu Unfassbarem imstande ist, wenn sie will", verwies er etwa auch auf die Entwicklungen in den Bereichen Solarzellen oder Elektromobilität. Statt die Menschen bei 16 Grad im Winter in ihren Wohnungen "frieren" zu lassen, solle man lieber auf eine "bessere Isolierung" setzen. Zudem brauche man in ländlichen Gebieten das Auto. "Das wird anders nie möglich sein", sagte Kurz. "Ich glaube nicht, dass Klimaschutz durch Verzicht funktioniert", bekräftigte der Kanzler seinen Kurs.

(Quelle: apa)

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