Schnee schmilzt dahin

Österreich könnte 2075 gletscherfrei sein

Veröffentlicht: 31. März 2023 13:41 Uhr
Österreichs Gletscher schmelzen im Rekordtempo vor sich hin. Der Schmiedingerkees im Pinzgau verzeichnete im letzten Jahr einen Rückgang um 62,6 Meter.
SALZBURG24 (OK)

Das in einigen Jahrzehnten nicht mehr existierende "Ewige Eis" hat in der Periode 2021/2022 eine "Rekordschmelze" hinnehmen müssen. Wie aus dem jährlichen Gletscherbericht des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV) hervorging, wurde ein durchschnittlicher Längenverlust von minus 28,7 Meter verzeichnet. Die Gründe dafür waren hohe Temperaturen sowie geringe Niederschlagsmengen. Die ÖAV-Verantwortlichen forderten daher die Politik zum Handeln auf.

Schmiedingerkees büßt über 60 Meter ein

Die traurigen "Top 3" der stärksten Rückgänge wurden am Schlatenkees in der Tiroler Venedigergruppe (minus 89,5 Meter), der Kärntner Pasterze in der Glocknergruppe (minus 87,4 Meter) und am Diemferner in den Ötztaler Alpen (minus 84,3 Meter) verzeichnet. Eingeteilt nach Bundesländern hatte auch hier der Schlatenkees die Nase vorn, gefolgt von der Pasterze und dem Schmiedingerkees im Salzburger Pinzgau mit einem Rückgang um 62,6 Meter. Wie Gerhard Lieb vom Alpenvereins-Gletschermessdienst berichtete, ist die "massive Entgletscherung" in den österreichischen Alpen aber überall zu beobachten. Der Rückgang um 28,7 Meter sei eine "eindrucksvolle Zahl" und bedeutet das 2,6-fache im Vergleich zum Jahr davor.

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"Ungünstiges Jahr" für Gletscher

Das besonders "ungünstige Jahr" gehe auf die Witterungsbedingungen zurück, erklärte Andreas Kellerer-Pirklbauer, der ebenfalls führend beim ÖAV-Gletschermessdienst und wie Lieb hauptberuflich am Institut für Geografie und Raumforschung an der Uni Graz tätig ist. Insgesamt war die untersuchte Periode um 1,4 Grad zu warm, zudem gab es um 12,3 Prozent weniger Niederschlag. Der Juni sei dabei mit plus vier Grad "ein Wahnsinn" gewesen, der September brachte noch ein "gutes Ende", der "etwas zu kühl und deutlich niederschlagsreicher" war.

"Geht die Entgletscherung so weiter, dann könnte Österreich um das Jahr 2075 weitgehend gletscherfrei sein", wagte Kellerer-Pirklbauer eine Prognose für die Zukunft. Aktuell leben die Gletscher nämlich "nur mehr von den Eisreserven der Vergangenheit". Der Blick auf das aktuelle Haushaltsjahr stimmte den Wissenschafter ebenfalls nachdenklich, nachdem bisher sehr wenig Niederschlag gefallen war. Allerdings sei der Winter für die Gletscher noch nicht vorbei, zudem sei der Sommer für die Schmelze ausschlaggebend.

Wassermangel wird zum Thema

Lieb machte darüber hinaus darauf aufmerksam, dass Wassermangel künftig ein immer stärkeres Thema sein werde. "Die Gletscherspende, die jetzt durch eine verstärkte Schmelze in die Flüsse fließt, bringt noch ein gewisses Plus" und würde in Dürreperioden aushelfen. "Wassersparen wird gerade im Sommer ein Gebot der Stunde werden". Allerdings werde die Zukunft des Niederschlags ausschlaggebender sein, merkte er an.

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"Der Hut brennt"

Für Kellerer-Pirklbauer sollte der Bericht die Politik "aufrütteln", denn "der Hut brennt". "Mehr können wir hier wirklich nicht mehr erzählen, da muss man handeln", sagte der Wissenschafter, der die Gletscherschmelze und den Klimawandel als vom Menschen "massiv verstärkt" bezeichnete. Dem schloss sich auch Alpenvereins-Vizepräsidentin Ingrid Hayek an und übte gleichzeitig Kritik an ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer, der zuletzt von Österreich als "Autoland schlechthin" gesprochen hatte. "Österreich ist zwar heute ein Autoland, aber als 'Eigenschaft' kann ich dem nicht zustimmen. Weil Österreich ist vor 100 Jahren kein Autoland gewesen und wird in 100 Jahren kein Autoland mehr sein. Das ist nicht in Stein gemeißelt", argumentierte Hayek.

Gletscher hätten noch gute Jahre vor sich

"Noch liegen die Gletscher nicht auf der Palliativstation, sondern haben noch gute Jahre vor sich", stellte Hayek einen Vergleich zur Medizin an. "Genießen wir, dass sie noch da sind, aber tragen wir nicht dazu bei, dass ihr Umfeld noch schneller gestört wird", sagte Hayek auch in Hinblick auf geplante Gletscherskigebiets-Erweiterungen am Pitztaler und Kaunertaler Gletscher, gegen die sich der Alpenverein und weitere alpine Vereine vehement ausgesprochen hatten. "Schließlich vermarkten wir unser Land mit diesen wunderbaren, weißen Gletschern im Hintergrund", stellte Hayek fest.

Der alljährliche Gletscherbericht des Alpenvereins beobachtet bereits seit 132 Jahren die heimischen Gletscher. Verantwortlich dafür sind ehrenamtliche Gletschermesser des Alpenvereins, die 89 Gletscher in zwölf Gebirgsgruppen untersuchten. Die dabei erhobenen klimarelevanten Daten werden in internationale Datenbanken wie das World Glacier Monitoring Service (WGMS) eingespeist. Durch den Rückzug der Gletscher werden die Geländebedingungen für die Forscher aber immer schwieriger. Zurück bleibt nämlich meist steiles, lockeres Schuttmaterial und schwierige Felspartien. Zum Teil können Gletscher deswegen nicht mehr beobachtet werden. Dies sei im Vorjahr beim Bieltalferner in der Silvrettagruppe geschehen.

Bildergalerien

(Quelle: apa)

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