Medizinerin beging Suizid

Prozess im Fall Kellermayr: Angeklagter sieht Drohungen als "Streitgespräch"

Gedenkveranstaltung der Initiative #YesWeCare für die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr am Montag, 01. August 2022, vor dem Landesgericht und der Staatsanwaltschaft Wels.
Veröffentlicht: 08. April 2025 14:15 Uhr
Angst vor einem „Lynchmob“ soll die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr wegen der massiven Drohungen aus der mutmaßlichen Impfgegnerszene gehabt haben, wie Zeugen im Prozess darlegen. Die Medizinerin beging im Sommer 2022 Suizid. Der 61-jährige Angeklagte sieht die Drohungen als „Streitgespräch“.

Die Frau hatte wirklich Angst“ – das sagte der psychiatrische Gutachter am Dienstag im Prozess gegen einen Deutschen, der die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr im Netz massiv bedroht haben soll. Den Suizid der Ärztin führt er auf eine Reihe von Problemen zurück. Welche Rolle die Drohungen des Angeklagten dabei genau gespielt haben, sei nicht seriös quantifizierbar, er sei aber zumindest ein „Puzzlestein“ gewesen. Laut einer Vertrauten fürchtete Kellermayr einen „Lynchmob“.

Mutmaßlicher Impfgegner schicken Ärztin Todesdrohungen

Kellermayr hatte während der Corona-Pandemie online massive Drohungen – mutmaßlich aus der Impfgegnerszene – erhalten. Hier gibt es im Wesentlichen zwei Hauptstränge: Ein unbekannter Darknet-User („Claas“) schickte ihr drastisch ausformulierte Todesdrohungen und Folterfantasien. Dem nun angeklagten Deutschen werden hingegen E-Mails und Twitter-Nachrichten (heute X) von Februar bis Juli 2022 zur Last gelegt, in denen er der Medizinerin ankündigte, sie vor ein noch einzurichtendes „Volkstribunal“ zu stellen und sie „auf die Anklagebank und dann sicher ins Gefängnis“ zu bringen. Im Sommer 2022 schloss Kellermayr ihre Ordination aus Sicherheitsgründen. Einige Wochen später beging sie Suizid.

„Die Lisa hat schwerste Angstzustände gehabt“, sagte eine Bekannte, die lange Gespräche mit der Ärztin geführt hatte. Grund dafür sei die Bedrohungslage gewesen. Kellermayr habe befürchtet, dass jemand bei ihr auftauchen und ihr etwas antun könnte. Die Angst habe sich sowohl auf die „Claas“-Drohungen bezogen, als auch auf die Nachrichten des Angeklagten, der seine Identität nicht verschleierte. Bei ihm habe ihr vor allem die räumliche Nähe Sorgen gemacht und, dass er im Plural – „Wir beobachten Sie“ – geschrieben hatte. Der Begriff „Volkstribunal“ habe für sie nahegelegt, dass es sich um eine ganze Gruppe rund um den mehrfach vorbestraften Angeklagten handeln dürfte. „Für sie war das ein Lynchmob“, so die Vertraute Kellermayrs.

Kellermayr hätte in Psychiatrie aufgenommen werden sollen

Wie bereits frühere Zeuginnen und Zeugen schilderte auch diese Frau, dass Kellermayr Suizidgedanken gehabt habe. Auch mehrere Ärzte waren geladen, denn Kellermayr war immer wieder in Behandlung. Am Vorabend ihres Suizids hatte sie sich im Spital angemeldet und hätte am nächsten Morgen stationär in der Psychiatrie aufgenommen werden sollen. Dazu kam es aber nicht mehr.

Der psychiatrische Sachverständige Peter Hoffmann sah ein ganzes Bündel von Dingen, die zu Kellermayrs Suizid geführt haben – von persönlichen, gesundheitlichen und finanziellen Problemen über eine Persönlichkeitsstörung bis hin zu den Drohungen. Er gehe davon aus, dass die „Volkstribunal“-Drohungen einen „relevanten Anteil“ gehabt haben. Seriös beziffern könne man es aber nicht, das müsse das Gericht entscheiden, es sei zumindest ein Puzzlestein. Sicher sei, dass es bei Kellermayr eine „schwerwiegende kombinierte Störung“ mit einer „wesentlichen Angstkomponente“ gegeben habe. Teil dieser Angstkomponente seien die Drohungen des Angeklagten gewesen, auch wenn jene von „Claas“ wohl mehr Einfluss gehabt hätten, meinte er sinngemäß. Von der Richterin um eine Einschätzung gebeten, sagte er, dass der Angeklagte mit seinem Wissensstand realistischerweise nicht davon ausgehen musste, dass Kellermayr sich das Leben nehmen würde.

Die Zeugenliste war am Dienstag prominent besetzt: So war die forensische Psychiaterin Adelheid Kastner geladen, aber nicht als Gutachterin. Sie hatte sich auf Bitten des damaligen Gesundheitsministers Rudi Anschober (Grüne) einmal mit Kellermayr getroffen, um ihr eine Einschätzung zu geben, für wie gefährlich sie die Drohungen halte, schilderte sie. Ihre Erinnerungen bezogen sich aber eher auf die „Claas“-Mails. Sie habe in diesem Fall die Umsetzungswahrscheinlichkeit für eher gering angesehen, Kellermayr aber geraten, die Interaktion mit den Absendern einzustellen. Das habe die Ärztin jedoch nicht wollen. Als suizidal gefährdet habe sie Kellermayr damals nicht erlebt.

Der oberösterreichische Ärztekammerpräsident Peter Niedermoser beteuerte, dass man Kellermayr helfen habe wollen. „Es war ganz klar, dass wir ihr einen Rechtsschutz geben“ und dass man Wege suchen wollte, um ihr bei ihren finanziellen Problemen unter die Arme zu greifen. „Ich habe selbst auch Drohungen bekommen“, sagte er, und er habe ihr aus dieser eigenen Erfahrung geraten, pragmatisch zu handeln und sich etwas zurückzunehmen. Aber sie habe das abgelehnt.

Angeklagter bestreitet Drohungen

Der Angeklagte bestreitet die E-Mails und Tweets, die ihm zur Last gelegt werden, gar nicht, sieht aber nur ein wechselseitiges Streitgespräch. Das sagen zumindest seine Anwälte, denn er selbst schweigt seit Prozessstart zu den Vorwürfen.

Kellermayr antwortete immer wieder auf seine Nachrichten. Wie Zeugen in den ersten beiden Prozesstagen geschildert hatten, habe sie sich von Polizei, Ärztekammer etc. im Stich gelassen gefühlt. Und sie habe sich sehr gefürchtet, tendenziell mehr vor den Claas-Drohungen, aber auch vor den „Volkstribunal“-Drohungen, so der Tenor ihrer Aussagen. Ein Urteil ist am Mittwoch geplant.

(Quelle: apa)

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