Bei den Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP ist gestern erstmals der Themenblock Medien am Programm gestanden. Im Vorfeld haben die Freiheitlichen Umstrukturierungen und Änderungen bei der Medienförderung sowie der Finanzierung des ORF angekündigt. So soll die Haushaltsabgabe, die für die FPÖ eine „Zwangsgebühr“ ist, abgeschafft und der ORF aus dem allgemeinen Budget finanziert werden. Allein das Aus der Haushaltsabgabe würde bedeuten, dass der ORF mit 100 Millionen Euro weniger auskommen müsste. Während der ORF-Redaktionsrat sich am Freitag „alarmiert“ zeigt und „den Beginn der Zerstörung des ORF“ ortet, sieht der Verein der Chefredakteur:innen in Österreich nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Angriffe und Drohungen seitens führender FPÖ-Politiker die Pressefreiheit bedroht. Dass die FPÖ wenig von den Medien in Österreich hält und ihre Klientel lieber selber "bespielt", zeigen auch ihre Pläne eines eigenen Medienhauses samt neuen Radiosenders.
Aber stehen wir wirklich vor einer „Orbanisierung“ Österreichs? Was bedeutet das für Medien, die Demokratie und die Gesellschaft? Und wie ordnet die Forschung die aktuelle politische Situation in Österreich ein? Univ.-Prof. Dr. Josef Trappel ist Medienwissenschafter und Leiter des Fachbereichs Kommunikationswissenschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg. Mit ihm haben wir über aktuelle und brisante Fragen sowie über jüngste Aussagen freiheitlicher Politiker und Pressesprecher gesprochen.
Die im Interview besprochenen Zitate sind zum genauen Nachlesen entsprechend verlinkt.
SALZBURG24: Die FPÖ könnte bald mit der ÖVP als Juniorpartner in Österreich regieren. Müssen sich die österreichischen Medienhäuser denn jetzt Sorgen machen?
JOSEF TRAPPEL: Ja, die österreichischen Medienhäuser müssen sich Sorgen machen. Dabei fürchte ich weniger einen massiven politischen Druck auf die Medienhäuser, als einen wirtschaftlichen. Dass die Politik versuchen wird, in den Redaktionen zu intervenieren und dass sie bei den Chefredakteur:innen anruft und sagt „wir wollen eine andere Berichterstattung“, das ist zwar denkbar – eher fürchte ich aber, dass es einen wirtschaftlichen Druck geben wird. Und zwar auf alle Medien, die werbefinanziert sind.
Viele Medienhäuser in Österreich sind von den Inseraten der öffentlichen Hand abhängig und wenn diese Inserate ausbleiben, dann führt das über kurz oder lang zu Schmerzen bei den Medien. Ob diese Schmerzen dann lebensbedrohlich sind oder nicht, ist eine andere Frage. Aber ich glaube, es sind tatsächlich Schmerzen, die dazu führen, dass es weniger Personal gibt, dass es weniger Qualität gibt, dass es weniger Tiefe in der Berichterstattung gibt.
Und das ist in der Politikabsicht der FPÖ manifestiert. Die FPÖ hat wenig Interesse an einer starken, unabhängigen Presse- oder Medienlandschaft. Die FPÖ hat Interesse daran, mit eigenen Medien Öffentlichkeit herzustellen. Und das steht im massiven Widerspruch zu den Anforderungen einer Demokratie, die eben als Säule die unabhängige Medienfreiheit notwendig braucht. Wenn man diese Säule beschädigt, dann beschädigt man auch die Demokratie.
Die FPÖ hat vor wenigen Tagen bereits ein eigenes Medienhaus angekündigt, sogar mit einem eigenen Radiosender. Aber zurück zu den klassischen Medien. Sie haben es bereits angesprochen: Weniger Inserate bedeuten weniger Geld für die Zeitungen. Doch das ist wahrscheinlich nicht der einzige Hebel, den die FPÖ als Regierungspartei in der Hand hätte. Über eine Überarbeitung der Medienförderung wird bereits zwischen FPÖ und ÖVP verhandelt.
Ja, auch das ist ein Hebel. Wobei es für die klassische Presseförderung, die aktuell Tages- und Wochenzeitungen in Österreich mit einem relativ niedrigen Sockelbetrag von bis zu 200.000 Euro bedient, ein Presseförderungsgesetzt gibt. Das ist ein Betrag, der in der Regel nicht ausschlaggebend ist. So gesehen ist die Presseförderung nach dem Presseförderungsgesetz ein kleiner Fisch.
Daneben gibt eine ganze Reihe von Förderungen, die sich an Medien richten, die sich mit Digitalisierung, Innovation, Qualitätsförderung beschäftigen. Rechnet man alles zusammen und würde das gesamthaft reduzieren oder streichen, dann würde das für die Wirtschaftlichkeit der österreichischen Medien tatsächlich verheerend werden.
Die Streichung oder Aussetzung der Presseförderung für kritische Medien hat ja ein führender FPÖ-Politiker, nämlich Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp, bereits in einem Posting angekündigt. Der Verein der Chefredakteur:innen in Österreich wertet das als „Angriff auf die Informationsfreiheit“. Welche Folgen haben derartige Drohung seitens der Politik überhaupt?
Drohungen sind ja immer dann problematisch, wenn sie in die Tat umgesetzt werden können. Es gibt Drohungen, die kann man ignorieren, weil sie realistischerweise nicht umgesetzt werden können. Jetzt gibt es diese Drohung eines regional führenden FPÖ-Politikers. Hätte er das vor einem Jahr ausgesprochen, hätte man das wahrscheinlich ignoriert. Die Situation jetzt ist jedoch eine andere. Und das muss Dominik Nepp auch wissen, dass er das in einer Phase tut, in der gerade eine Koalition zwischen zwei Parteien verhandelt wird. Und damit hat die Drohung Substanz. Und wenn seine Partei an die Macht kommt, dann ist das auch umsetzbar, weil alle Förderungsschienen, die es in Österreich gibt, mit einfacher Mehrheit beschlossen worden sind und daher auch mit einfacher Mehrheit wieder abgeschafft werden können. Die Drohung ist jedenfalls ernst zu nehmen, allerdings ist fraglich, ob die ÖVP als Koalitionspartner das mittragen würde. Dass für sie die Meinungsfreiheit unantastbar ist, hat sich ja schon angekündigt.
Es ist nicht das erste Mal, dass es von Seiten der FPÖ oder einzelner Politiker – vor allem in den sozialen Netzwerken – Drohgebärden gibt. Das ist ein Mechanismus, den man auch gut von Donald Trump kennt. Besteht die Gefahr, dass die Medien dadurch eingeschüchtert werden?
Ich glaube, das ist die Strategie. Das ist das Wesen der Drohung an sich, dass man den Gegner oder die Gegnerin einzuschüchtern versucht und auf diese Art und Weise schon ein Wohlverhalten im eigenen Interesse erzeugen kann. In der aktuellen Lage glaube ich schon, dass Medien gut beraten sind, diese Drohungen ernst zu nehmen. Gleichzeitig beobachte und analysiere ich als Wissenschaftler, dass die Wirkung, die sich die FPÖ dadurch verspricht, in Österreich nicht gut funktioniert. Die österreichische Medienlandschaft setzt sich aus durchaus aufrechten, investigativ arbeitenden Medienhäusern zusammen. Leider haben wir nicht mehr sehr viele, aber die, die wir noch haben, sind mit einem gesunden Selbstbewusstsein ausgestattet.
Mit wohl sehr leicht umsetzbaren Drohungen ist der ORF konfrontiert. So haben die Freiheitlichen bereits mehrfach angekündigt, diesen zu einem „Grundfunk“ zu reduzieren. Die Haushaltpauschale soll fallen, der Öffentliche Rundfunk aus dem Budget heraus finanziert werden. Was hätte das Ihrer Meinung nach für Konsequenzen?
Das halte ich eigentlich für die größte Bedrohung unter diesen Ankündigungen der FPÖ. Denn genau das kann man relativ schnell ändern, in dem man nicht das ORF-Gesetz, sondern das ORF-Haushaltsgesetz überarbeitet. Und wird die Haushaltsabgabe abschafft und durch Budgetfinanzierung ersetzt, dann hat man relativ schnell politischen Zugriff auf die Größe des ORF und damit eben auch auf die Qualität, die erbracht werden kann. Und dort sehe ich eigentlich die größte Gefahr für die gesamte österreichische Medienlandschaft.
Warum?
Ob man das will oder nicht, der ORF ist ein Leitmedium in Österreich. Viele Menschen orientieren sich an der Berichterstattung des ORF. Die blaue Seite (orf.at – die Homepage des ORF, Anm. d. Redaktion) ist nun mal ein Anker für Information. Und wenn das sozusagen erodiert, wenn wir das nicht mehr haben, dann, glaube ich, kommt die ganze Medienlandschaft in Österreich ins Rutschen.
Zurück zur Kommunikation der FPÖ. Die Freiheitlichen sind traditionellerweise sehr stark auf den Sozialen Netzwerken und dort bekannt, für provokative Sager – nach dem Motto „Wir lassen uns den Mund nicht verbieten“. Oft wird von Seiten der FPÖ mit Meinungs- und Medienfreiheit argumentiert. Jüngst war das bei einem Posting von Harald Vilimsky der Fall, der auf der Plattform X Telefonnummer und Name einer ORF-Mitarbeiterin gepostet hat. Eigenen Aussagen zufolge, wollte er sich damit verteidigen.
Das ist eine Beobachtung, die wir schon seit mehreren Jahren auch wissenschaftlich immer wieder untersuchen – nämlich diese Umdeutung der Begriffe, was Meinungsfreiheit betrifft. Die Interpretation der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit ist eben dort, dass die Meinungen geschützt sind, die wir als Bürgerinnen und Bürger empfangen können, dass wir uns auch äußern können, ohne dass wir mit Konsequenzen rechnen müssen. Das ist das Grundverständnis, das aus der Menschenrechtskonvention herleitbar ist. In der FPÖ-Diktion dreht sich das um. Sie anerkennt nicht, dass es Grenzen der Meinungsfreiheit gibt. Und diese Grenzen der Meinungsfreiheit sind in Österreich und in vielen anderen Demokratien nicht zuletzt strafrechtlich definiert. Man darf jemanden anderen nicht diffamieren, man darf jemanden anderen nicht herabwürdigen.
Übrigens auch das große Vorbild Donald Trump definiert an der Stelle die Freiheit in Amerika um und akzeptiert eben nicht, dass es Grenzen geben muss, um das Zusammenleben der Menschen untereinander zu garantieren. Und diese Problematik sehe ich auch in Österreich bei der FPÖ.
Ohne dass Aussagen strafrechtlich relevant sind, wann sind überspitze oder provokative Formulierung seitens der Politik oder Regierenden gegenüber Medien zu viel? Wenn zum Beispiel ein heimischer FPÖ-Pressesprecher (die Freiheitlichen sind in Salzburg in der Regierung) in einem Posting die Medien mit der Rüstungs- und Ölindustrie, die Journalist:innen mit Waffenhändlern vergleicht – ist das zu viel?
Die Grenze zu ziehen ist immer fallabhängig. Was eine zulässige Aussage ist oder nicht, das entscheiden im Zweifelsfall die Gerichte. Und das hier ist eben der Versuch, diese Grenzen möglichst auszuweiten und zu versuchen, zu schauen, was geht noch und was geht eben nicht mehr. Die Beschleunigung durch die digitale Kommunikation ermöglicht es der FPÖ, diese Grenzen auch relativ schnell zu überwinden. Es gibt natürlich und wichtigerweise die gesellschaftliche Verantwortung dafür zu sorgen, dass eben solche Grenzen nicht verschoben werden und dass diese Grenzen mindestens im Rahmen des Strafgesetzbuches, aber eben auch darüberhinausgehend eingehalten werden.
Diese Verschiebung der Grenzen hat ja bereits stattgefunden und erlebt seit Corona nochmals einen Aufschwung. Was bedeutet das für das gesellschaftliche Zusammenleben, für das Auskommen miteinander und die Wertschätzung untereinander?
Die Art, wie wir miteinander sprechen, die Art, wie wir miteinander kommunizieren, was wir auch täglich erleben in den digitalen Plattformen, prägt bis zu einem gewissen Grad auch den Umgang der Menschen untereinander und wenn wir die Kommunikation eskalieren lassen, dann riskieren wir auch, dass wir den persönlichen Umgang miteinander verrohen lassen. Hier gibt es einen intensiven Zusammenhang, der aber nicht neu ist. Also wenn wir uns überlegen, welche Art von Games für die Jugendlichen besonders spannend sind, wenn wir uns anschauen, welche Art von Krimis im Fernsehen vor 20 Jahren schon gelaufen sind, dann haben die natürlich auch dazu beigetragen, dass Konfliktlösungsmechanismen geübt werden, im Fernsehen und in den Spielen, die natürlich im realen Leben völlig unakzeptabel sind. Also diese Verrohung ist nicht etwas, was mit der Digitalisierung neu erfunden wurde. Ich glaube, es wird dadurch beschleunigt und daher müssen wir umso mehr darauf aufpassen, dass uns das nicht völlig entgleitet.
Was bedeutet es an dieser Stelle, wenn Meta den Faktenchecker abschafft bzw. die Regel zur Überprüfung lockert?
Es wird nicht ganz so heiß gegessen, wie gekocht wird. Vor allem deshalb, weil die Geschäftstätigkeit dieser Plattformen in den USA und in Europa voneinander durchaus getrennt betrachtet werden muss. Es ist zwar dieselbe Plattform, aber zum einen haben wir in Europa verschiedene Sprachen, sodass in den Sprachcommunities andere Inhalte verteilt werden als in den USA. Und zum anderen ist eben die Rechtslage in den USA eine andere als in Europa. Der Ausstieg jetzt aus diesem Fact-Checking gilt für die USA. Sie gilt nicht für Europa explizit. Hier müssen sich X und Meta an die Gesetze, den Digital Service Act und den Digital Markets Act, halten. Sie (Zuckerberg und Musk, Anm. der Redaktion) werden wohl eher den politischen Hebel nutzen, um mit der neuen Präsidentschaft die Europäer unter Druck zu setzen.
Abschließend nochmals zurück zur FPÖ. Weiß sie, was freie Presse bedeutet?
Ja, natürlich. Die FPÖ ist ja nicht dumm. Die FPÖ hat sich mit dieser Problematik sehr genau auseinandergesetzt. Wir sollten das auch ernst nehmen, wie die FPÖ die freie Presse definiert. Sie hat mehrfach darauf hingewiesen, dass sie sich nach Osten orientiert. Im Osten Österreichs haben wir einerseits eine reduzierte Medienlandschaft nach Orbans Vorbild. Und auf der anderen Seite haben wir auch eine Situation, wo die Politik von einem Tag auf den anderen den öffentlichen Fernsehveranstalter aufgelöst und am nächsten Tag wieder eingesetzt hat und mit diesem Move das Personal verändern konnte. Wir sehen sozusagen dieses Playbook, wir sehen die Dramaturgie, wie das relativ schnell funktionieren kann.
Noch laufen die Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP. Zahlreiche Medienexperten fordern, dass sich die neue Regierung zur Wahrung der Pressefreiheit verpflichtet und das auch festschreibt. Ähnlich wie zur Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit und so weiter. Wie schätzen Sie das ein? Würde das was bringen?
Das ist die berühmte Präambel, die man auch schon anderen Regierungen gewissermaßen aufs Auge gedrückt hat. Ich glaube, dass ein solches Bekenntnis am Beginn einer Regierungstätigkeit realpolitisch wenig bringt. Man kann natürlich die beiden Parteien dazu verpflichten, dass sie sich zu diesen Selbstverständlichkeiten bekennen. Auf der anderen Seite hängt die tägliche Regierungsarbeit, nicht an diesen großen Bekenntnissen, sondern die zeigt sich im Kleinen. Beispielsweise, wenn es darum geht, die Presseförderung umzulenken oder die Inseratenvergabe anders zu gestalten, sodass bestimmte Medien eben leer ausgehen und andere Medien entsprechend mehr begünstigt werden. All das lässt sich durch eine solche Präambel nicht verhindern.
Sollten sich die Medien in Österreich auf eine FPÖ-ÖVP-Regierung vorbereiten oder anders formuliert – gar rüsten?
Ja, ich glaube das ist wichtig, dass sich die österreichischen Medien wieder ihrer eigentlichen Rolle bewusst werden. Medien in einer Demokratie haben die Aufgabe, diejenigen, die an der Macht sind, zu kontrollieren und zur Rechenschaft zu ziehen.
Und immer dann, wenn die Medien diese Rolle besonders gut ausfüllen, ist auch die Reaktion der Bevölkerung besonders gut. Also ich kann mir durchaus vorstellen, dass durch die angekündigten Repressionen für die Medien es zu einem Revival der Massenmedien kommt. Die Bürgerinnern und Bürger gewinnen neues Interesse an Politik und der Berichterstattung. Wenn sich die Medien jetzt also gut aufstellen und in Personal, Inhalte, Qualität und die investigative Kraft investieren, dann werden die Medien mit großer Wahrscheinlichkeit im Laufe der nächsten Jahre, nicht nur wieder eine bedeutsame Rolle spielen, sondern auch wieder wirtschaftlichen Erfolg erzielen können.
In diesem Sinne. Vielen Dank für das Interview.
(Quelle: salzburg24)