Der Mai ist weltweit „Mental Health Awareness Month“ – einen ganzen Monat lang soll also auf mentale Gesundheit hingewiesen werden. Das mit dem Aufmerksam machen funktioniere laut dem Salzburger Psychotherapeuten Friedrich Faltner recht gut. Denn immer mehr Menschen gehen zur Therapie, weil es „kein Tabu-Thema“ mehr sei, schildert er im Gespräch mit SALZBURG24 am Donnerstag. Aber ist jede Aufmerksamkeit auch hilfreich?
„Junge reden leichter über mentale Gesundheit“
In sozialen Medien wie TikTok tummeln sich immer mehr Menschen, die über ihre psychischen Störungen „offen“ reden oder vermeintliche Therapeuten:innen, die Tipps zur Bewältigung dieser geben. Das sieht Faltner, der auch den Vorsitz im Salzburger Landesverbands für Psychotherapie führt, etwas zwiespältig. Gut daran findet er, dass „sich die junge Generation über mentale Gesundheit leichter austauschen kann“ und generell darüber geredet wird. Das zeigt auch der aktuelle Salzburger Jugendreport – laut diesem liegt eine gesunde Psyche bei den Jugendlichen an oberster Priorität.
„Auf das Lockere, Niederschwellige muss aber ein automatisiertes, seriöses Angebot folgen, denn die Videos auf TikTok können kein Gespräch mit einem Experten ersetzen“, findet der Psychotherapeut. Mit Verlinkungen auf zum Beispiel lokale Beratungsstellen im jeweiligen Video soll diese „Brücke“ geschaffen werden.
Bedürfnis nach Aufmerksamkeit vs. Mut machen
Ohne professionelle Infos bestehe nämlich die Gefahr, dass die User:innen in Videos „hängen bleiben“ und sich in „psychische Krankheiten hineinsteigern“. Und genau darin liegt die Kehrseite, wenn auf TikTok über mentale Gesundheit gesprochen wird. „Man muss sich immer fragen, was das Motiv der Menschen ist, wenn sie über ihr Leid reden“, hält Faltner fest und führt weiter aus: „Wollen sie damit anderen helfen und ihnen Mut machen oder haben sie schlichtweg das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit?“
Bei Plattformen wie TikTok geht es immer darum, die Userinnen und User möglichst lange im Medium zu halten. Videos über psychische Erkrankungen triggern und ziehen in den Bann. Vor allem Checklisten-Videos à la „erfüllst du diese fünf Punkte, leidest du an Krankheit X“ sieht der Psychotherapeut als höchst gefährlich. Denn tatsächliche Krankheiten wie Angststörungen können sich dadurch auch verschlimmern.
Diese „Tests“ sind per se nicht unbekannt – früher gab es sie in Magazinen. Dem jungen Publikum speziell auf TikTok fehle es aber noch an Lebenserfahrung. Das ein großes Vertrauen ins Netz und betrachte die Videos wenig kritisch.
Großes Bedürfnis nach Selbstdiagnose
„Anders als bei einem gebrochenen Fuß bleibt man bei psychischen Krankheiten im Ungefähren. Eine Diagnose zu stellen, dauert und braucht Experten“, weiß der Psychotherapeut und warnt vor dem Bedürfnis der Selbstdiagnose. Menschen seien permanent auf der Suche nach Erklärungen. Eine Erklärung müsse auch nicht unbedingt richtig sein. Denn je einfacher der Reim, desto leichter könne man es kommunizieren.
In diesem Phänomen liege demnach auch etwas Egozentrisches: „Alte Menschen reden oft über ihre Krankheiten. Vielleicht geht es Jungen nun mit ihrer mentalen Gesundheit ähnlich und sie wollen auch darüber erzählen.“
„Mensch kann schwierige Zeiten bewältigen“
Prinzipiell sieht der Salzburger Psychotherapeut die Entwicklung, vermehrt über mentale Gesundheit zu sprechen, sehr positiv. Gleichzeitig will er nicht nur in der Problemsicht bleiben und über das Defizitäre berichten. „Der Mensch ist in der Lage, schwieriges im Leben zu bewältigen. Sonst müssten ja alle wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt laufen. Und das verringert auch das Selbstbewusstsein, wenn ich für jeden Schritt Hilfe brauche“, richtet sich Faltner abschließend all jene, die gerade über ein Beziehungsende betrübt sind oder eine herausfordernde Zeit im Job haben. Mit einem Netz aus Freund:innen und Familie schaffe man es aus tristen Phasen oft auch ohne medizinische oder therapeutische Unterstützung heraus.
(Quelle: salzburg24)