Dauerhaftes Pfeifen im Ohr

Wenn Stille zur Qual wird: Flachgauerin lebt seit Jahren mit Tinnitus

Veröffentlicht: 28. April 2025 13:43 Uhr
Ein Tinnitus ist meistens so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht ist. Manche Menschen – in Österreich ist es etwa jede:r zehnte Erwachsene – leben allerdings dauerhaft mit dem lästigen Ohrgeräusch. Eine von ihnen ist die Flachgauerin Sylvia Wondrak. Uns hat sie geschildert, wie sie lernte, mit dem Dauerton umzugehen.

Viele kennen es: Ein Knall, laute Musik oder Baustellenlärm und zack: Es schrillt in den Ohren. Meist verschwindet der Tinnitus nach wenigen Minuten oder Tagen von selbst wieder. Nicht so bei der Flachgauerin Sylvia Wondrak: Sie lebt seit über sechs Jahren mit dem lästigen Ohrgeräusch, wie sie im SALZBURG24-Gespräch erzählt. Damit ist sie nicht alleine, betont Roland Moschèn, Präsident der Österreichischen Tinnitus-Liga. In Österreich lebe ungefähr jede:r zehnte Erwachsene mit chronischem Tinnitus. Heilung gibt es selten – aber immerhin Strategien, wie man sich in einem Leben, in dem Stille oft unerträglich wird, zur Ruhe kommt.

Flachgauerin lebt seit Jahren mit „kleinem Teufel“ im Ohr

Bei Wondrak kam der Tinnitus ganz überraschend. Es sei eigentlich ein schöner Tag gewesen. „ Und dann war da plötzlich ein Pfeifen und ich habe mir gedacht: Jetzt ist der Fernseher kaputt“, schildert die 56-Jährige. Für sie begann damit ein Spießrutenlauf: Von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik. „Und alle haben nur gesagt: Hör einfach nicht hin.“ Das sei aber leichter gesagt als getan. Verzweiflung habe sich eingestellt, sie habe nicht mehr schlafen können und dadurch keine Kraft mehr gehabt, ihren „kleinen Teufel“ auszuhalten.

Tinnitus: Vom leisen Pfeifen bis zum Düsentriebwerk

Für eine Tinnitus-Diagnose sind in Salzburg die Hals-Nasen-Ohren-Ärzt:innen zuständig. Einer von ihnen ist Gerd Rasp, HNO-Primar am Uniklinikum Salzburg. Er erklärt im Gespräch mit SALZBURG24: „Das Geräusch kann ein leises Pfeifen sein oder die Lautstärke eines Düsentriebwerks haben.“ Tinnitus ist also nicht gleich Tinnitus. Gemeinsam haben die Töne nur eines: Sie können von anderen Menschen nicht gehört werden. Als Ursache kommen etwa Hörschäden, Stress, Durchblutungsstörungen, bestimmte Medikamente oder Kopfverletzungen in Frage. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen können eine Rolle spielen.

Ohrgeräusche sorgen für Stress, Angst und Konzentrationsprobleme

Welchen Grund der Tinnitus auch hat, für Betroffene kann die dauerhafte Beschallung zur Belastung werden. Situationen der Stille wie etwa vor dem Einschlafen in der Nacht seien oft nur schwer zu ertragen – weil der Tinnitus wortwörtlich dazwischenfunkt, schildert Tinnitus-Liga-Präsident Moschèn. Viele Betroffene würden sich mit der Zeit daran gewöhnen. „Manche entwickeln aber auch Ängste, zum Beispiel davor, dass das Geräusch lauter wird“, weiß der Experte, der selbst als klinischer Psychologe und Psychotherapeut Menschen mit Tinnitus berät.

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Auch Wondrak war anfangs verzweifelt, wie sie erzählt. Sie habe das Gefühl gehabt, weltweit alleine mit ihrem Problem zu sein. Geholfen hätten am Ende Gespräche mit anderen Betroffenen, anfänglich über Facebook-Gruppen, in denen sich ausgetauscht und gegenseitig Mut zugesprochen wurde. 2020 gründete die Flachgauerin dann eine Selbsthilfegruppe in der Stadt Salzburg, für die mittlerweile über 100 Menschen angemeldet sind. 

Tinnitus-Liga wünscht sich eigene Behandlungszentren

Die medizinische Versorgung von Tinnitus-Betroffenen in Österreich sei nicht optimal, kritisiert Moschèn. HNO-Ärzt:innen fehle in der Praxis oft die Zeit für eine ausführliche Aufklärung. Er fordert eigene Tinnitus-Zentren, wie sie in Deutschland existieren, um den Umgang mit der Diagnose zu verbessern. Wondrak hofft als Betroffene auf einen sensibleren Umgang mit der Diagnose: „Eine der vielen Therapeutinnen, bei denen ich war, hat mir gesagt: Damit musst du jetzt leben. Das war für mich eine Bombe, auch wenn es vielleicht stimmt. Das stürzt Menschen in ein Loch.“

Tinnitus ist in der Regel nicht heilbar. „Das ist aber meistens gar nicht das Ziel“, betont HNO-Arzt Rasp. Stattdessen sollen die Menschen lernen, mit dem Geräusch zu leben – etwa durch Achtsamkeitsübungen oder dem Überdecken der Ohrgeräuschs. Auch schützen könne man sich kaum: „Wer sich nicht übermäßig viel Lärm aussetzt, keine Drogen nimmt und halbwegs bewusst lebt, macht schon alles richtig.“ Er rät, vor allem bei der Lautstärke von Musik und Co auf das Bauchgefühl zu hören: „Wenn die innere Stimme sagt, es ist zu laut, dann ist es das auch.“

Wondrak hat die Hoffnung auf Heilung noch nicht aufgegeben. Sie lebt nach dem Motto: „Alles was mir guttut, tut dem Tinnitus nicht gut.“ Die Flachgauerin vermeidet Stress und Hektik, lenkt sich ab und zählt die guten Tage – und die werden immer mehr. „Und wenn er dann mal nicht da ist, fühle ich mich plötzlich jung wie mit 15 Jahren.“

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