Grenznah

Arbeit wird mehr und intensiver: Jeder Dritte fühlt sich Burnout-gefährdet

Immer mehr Menschen kommen mit dem Stress im Job nicht mehr zurecht.
Veröffentlicht: 22. Mai 2017 10:51 Uhr
Das Arbeitsleben wird nicht nur schneller, sondern auch intensiver. Das, was wir schon lange wissen, wurde jetzt auch wissenschaftlich nachgewiesen. Warum ist das so? Wie können wir uns aus der Burnout-Schlinge ziehen und was sollten Unternehmen unbedingt ändern? Die Antworten.

Fast jeder dritte Beschäftigte in Österreich kennt Fälle von Burnout im eigenen Betrieb und ebenfalls rund ein Drittel sieht sich zumindest leicht Burnout-gefährdet. Das zeigt eine aktuelle Auswertung des Österreichischen Arbeitsklima-Index der Arbeiterkammer (AK) Oberösterreich.

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Für viele Beschäftigte werde es zunehmend schwierig, die steigenden Anforderungen im Beruf mit dem Bedürfnis nach einem erfüllten Privat- und Familienleben in Einklang zu bringen und den eigenen hohen Ansprüchen an die Qualität der Arbeit gerecht zu werden, hieß es am Montag bei einer Pressekonferenz der AK OÖ in Wien. Diese Belastungen seien für knapp ein Drittel der Beschäftigten zu hoch. Ebenfalls ein Drittel sehe sich im Job zumindest leicht Burnout-gefährdet. Fast vier von zehn Beschäftigten machen sich den Angaben zufolge Sorgen um ihre Kollegen. Und fast ein Drittel gab an, im eigenen Betrieb jemanden zu kennen, der bereits wegen eines Burnouts im Krankenstand war.

Ein Drittel der Beschäftigten durch Zeitdruck belastet

Für den Arbeitsklima-Index wurde auch das Thema psychischer Stress beleuchtet. Ein knappes Viertel der Beschäftigten fühlt sich demnach durch Zeitdruck belastet, etwa ein Sechstel durch ständigen Arbeitsdruck. Jeweils rund ein Zehntel aller Beschäftigten empfindet technische oder organisatorische Änderungen sowie wechselnde Arbeitsabläufe als stressig.

Überstunden sind Standard

52 Prozent der Beschäftigten machen gelegentlich, 17 Prozent sogar häufig Überstunden. Vor allem Männer, öffentlich Bedienstete, leitende Angestellte sowie Facharbeiter müssen häufiger über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus arbeiten. Nach Branchen stechen nach Erkenntnissen der AK das Bauwesen, der Bereich Verkehr/Nachrichtenwesen sowie der Tourismus mit überlangen Arbeitszeiten hervor.

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Gesteigerte Arbeitsintensität wissenschaftlich belegt

Ähnliche Ergebnisse haben auch Arbeitspsychologen der Universität Wien um Christian Korunka veröffentlicht. Immer schneller immer mehr leisten und mit permanenten Veränderungen schritthalten zu müssen, ist ein Lebensgefühl, das die meisten kennen. Soziologinnen und Soziologen sprechen von der sozialen Beschleunigung. Internationale Studien bestätigen dieses Phänomen der heutigen Gesellschaft, das sich insbesondere im Arbeitsalltag spürbar macht. Doch wie genau und mit welchen Folgen wirkt sich die Beschleunigung im Arbeitsleben aus?

Für ihre Analysen haben die Wissenschafter mehr als 2.000 Beschäftigte im Dienstleistungsbereich (Verwaltung, Gesundheit, IT) in einem Abstand von jeweils eineinhalb Jahren befragt, wie sie Beschleunigung wahrnehmen und welche Anforderungen daraus für sie entstehen. Zusätzlich ermöglichten Interviews und Tagebuchaufzeichnungen vertiefende Analysen eines Phänomens, das hauptsächlich technologiegetrieben ist, Stichwort: Digitalisierung. "Wir leben in einem permanenten Software-Update", umschreibt es Korunka und spricht damit eine von drei Anforderungen an, die das Forscherteam in den Untersuchungen zum Wandel der Arbeitswelt identifiziert hat, die da lautet: seine Kompetenzen ständig weiterzuentwickeln. Die permanenten Lernanforderungen werden von den Beschäftigten jedoch durchwegs positiv wahrgenommen, indem sie zu Motivation und Zufriedenheit beitragen. "Menschen macht lernen Spaß, das kann man in vielen Bereichen zeigen", bestätigt Christian Korunka. Nichtsdestotrotz, relativiert der Wissenschafter, gebe es jene, die in diesem Update-Arbeitsleben nicht mitkommen und aussteigen. "Dass die neue Arbeitswelt auch Verlierer schafft, dessen sollte man sich bewusst sein."

Die Folgen der Arbeitsintensivierung

Die ambivalenten Folgen des "Immer-schneller-immer-mehr" zeigen sich im noch recht jungen Phänomen der Arbeitsintensivierung besonders deutlich. Die Forscherinnen und Forscher der Universität Wien konnten belegen, dass nicht nur der Zeitdruck zunimmt, sondern auch die Arbeitsdichte, so das zentrale Ergebnis der Analysen. Diese Intensivierung als Folge der Beschleunigung und als zweite neue Anforderung im Arbeitsleben wird von den Beschäftigten mehrheitlich als belastend bewertet. Die Folgen sind ein Rückgang des Engagements, geringes Wohlbefinden, sinkende Zufriedenheit und Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben, was schließlich immer öfter in Erschöpfungszustände mündet. Diese Entwicklung zeichnet sich seit den 1990er-Jahren ab. "Nach einer stabilen Phase steigt die Intensivierung seit 2000 wieder an", sagt Korunka. Als besonders belastend bewertet haben das sowohl gering- als auch höhergebildete Beschäftigte und ältere Personen.

Flexibilität und ihre Grenzen

Mehr Aufgaben in immer kürzeren Zeiträumen zu erledigen, bedeutet für viele Beschäftigte heute auch, mehr Planungs- und Entscheidungsaufgaben zu erhalten. Diese Zunahme an Autonomie, die die Wissenschaft als dritte wesentliche Anforderung in der neuen Arbeitswelt identifiziert, wurde von den Befragten als Herausforderung bewertet, die sich sowohl positiv durch mehr Flexibilität als auch negativ durch Erschöpfung auswirken kann. Denn mehr Gestaltungsfreiheit bedeutet auch mehr Verantwortung und Selbststrukturierung. Die neu gewonnene Ressource schlägt so leicht in eine Anforderung um. "Das klassische Paradigma war, je mehr Autonomie, umso besser", erklärt der Psychologe. "In der entgrenzten Arbeitswelt zeigt sich jedoch, dass es auch zu viel davon geben kann."

Umgang mit Ressourcen

Wie die Beschäftigten mit den steigenden Anforderungen umgehen, auch das hat sich die Wiener Forschungsgruppe im Rahmen des fünfjährigen FWF-Projekts angesehen und zwei Handlungsmuster festgestellt. Einerseits versuchen Beschäftigte aktiv die Anforderungen der Arbeit zu bewältigen. Sie erhöhen ihr Arbeitstempo, arbeiten länger oder von zu Hause aus und reduzieren Pausen. Andererseits zeigen sie passive Handlungsmuster, indem die Qualität der Arbeit abnimmt oder Erfolge, wie etwa zur Erreichung von Zielvereinbarungen, vorgetäuscht werden.

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Unternehmen müssen Grundbedürfnisse berücksichtigen

Bleibt die Frage, was Unternehmen beitragen können, um die gesteigerten Anforderungen in gegenseitigem Interesse bewältigen zu können. "Unternehmen sind gefordert, Grenzen zu setzen, Richtlinien zu formulieren, sinnvolle Kennwerte zu entwickeln und vor allem die Mitarbeiter in Entscheidungen einzubinden", nennt Korunka Schlüsselfaktoren. Struktur und Sicherheit sind die Voraussetzungen für produktives und qualitätvolles Arbeiten. Berücksichtigen Unternehmen diese Grundbedürfnisse, hat das deutlich mehr entlastende Wirkung, wie die Untersuchungen zeigen, als individuelle Fähigkeiten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wie zum Beispiel Zeit- oder Selbstmanagement.

(SALZBURG24/APA)

(Quelle: salzburg24)

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