Grenznah

Flüchtlingskrise: Österreich und Deutschland in gegenseitiger Kritik

Veröffentlicht: 27. Oktober 2015 16:50 Uhr
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat Österreich mangelnde Koordination des Flüchtlingszustroms an den ost- und südostbayerischen Grenzen vorgeworfen und sieht die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Pflicht. "Dieses Verhalten Österreichs belastet die nachbarschaftlichen Beziehungen", sagte der CSU-Vorsitzende der "Passauer Neuen Presse" (Dienstag-Ausgabe). Der bayerische Flüchtlingsrat dagegen wirft der deutschen Staatsregierung vor, die Landesregierung in München habe ein geplantes Chaos an der Grenze geschaffen.
Katharina Köhn

Seehofer fügte hinzu, es sei nun Merkels Aufgabe, mit der Regierung in Wien zu sprechen. "Die wichtigste Maßnahme, die sofort zu treffen wäre, wäre ein Telefonat der Bundeskanzlerin mit Österreichs Kanzler Faymann." Schließlich habe ein Telefonat der beiden Regierungschefs auch die Politik der offenen Grenzen eingeleitet, argumentierte er. Sein Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU) wollte sich nicht dazu äußern, welche Maßnahmen Bayern vollziehen will, falls die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht das von Seehofer gesetzte Ultimatum einhält und bis Allerheiligen an diesem Sonntag die Zuwanderung begrenzt. Derzeit werde die Praktikabilität möglicher Maßnahmen geprüft, sagte Huber.

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Herrmann: Skandalöses Verhalten der Kollegen aus Österreich

Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann kritisierte die österreichischen Behörden. "Da wird nur auf möglichst schnellen Durchzug geschaltet, und das können wir so nicht akzeptieren", sagte der Christsoziale am Dienstag dem Bayerischen Rundfunk (Bayern 2, Radiowelt am Morgen). "Das ist ein unverantwortliches Verhalten der österreichischen Kollegen, das ich nur als skandalös bezeichnen kann." Hermann ergänzte, Österreich bringe ohne Vorankündigung Tausende Flüchtlinge an die Grenze und sei bisher zu keiner Zusammenarbeit bereit. "Ich habe das so mit Österreich noch nie erlebt. Es ist ohne Beispiel in den letzten Jahrzehnten." Falls sich dies nicht grundlegend ändere, müsse an der Grenze restriktiver verfahren werden, warnte er. Allein vom Organisatorischen her wären manche Probleme zu reduzieren, wenn die österreichischen Behörden mit den Bayern reden würden. Dies machten die Verantwortlichen im Nachbarland aber nicht. Inzwischen liege eine Gefahr für die öffentliche Ordnung in Deutschland vor. "Das können wir uns von niemandem gefallen lassen und schon gar nicht von unserem Nachbarland Österreich", sagte Herrmann.

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Seit September: 318.000 registrierte Flüchtlinge bei Grenzübertritt

Laut Herrmann hat die bayerische Polizei seit dem 5. September 318.000 Flüchtlinge beim Grenzübertritt registriert. Außerdem gibt es der Landesregierung zufolge 59.000 Flüchtlinge, die sich seitdem direkt in Erstaufnahmeeinrichtungen gemeldet haben. Unter diesen 59.000 seien womöglich einige bereits unter den von der Polizei registrierten 318.000.

Flüchtlingsrat: Deutsche Staatsregierung selbst Schuld?

Der Bayerische Flüchtlingsrat hat der Staatsregierung vorgeworfen, zum Teil selbst Schuld an der Situation an der deutsch-österreichischen Grenze zu sein. Die Landesregierung in München habe ein "geplantes Chaos an der Grenze" geschaffen, teilte der Flüchtlingsrat am Dienstag mit. Deswegen strandeten nun die Flüchtlinge "bei Kälte und Regen im Niemandsland".

Bayerische Regierung lasse keine Züge fahren

Zum Vorwurf der bayerischen Regierung, durch eine massenhafte Weiterleitung von Asylbewerbern die Situation zu verschärfen, meinte der Flüchtlingsrat: "Es ist die bayerische Regierung, die keine Züge fahren lässt." Hintergrund ist, dass die Fernstrecke zwischen Salzburg und München seit Wochen unterbrochen ist. Die Sperre der Bahnstrecke wurde mehrfach verlängert, aktuell ist sie bis 1. November geplant. Es dränge sich der Eindruck auf, der Umgang mit Flüchtlingen werde von Bayern bewusst in Kauf genommen, "weil Willkommensbilder am Münchner Bahnhof der von der CSU gepflegten Überforderungsrhetorik widersprechen", meinte der Flüchtlingsrat.

Flüchtlinge warten im Freien vor einer Notunterkunft in Wegscheid./APA/dpa/Armin Weigel Salzburg24
Flüchtlinge warten im Freien vor einer Notunterkunft in Wegscheid./APA/dpa/Armin Weigel

Faymann und Merkel in engem Kontakt

Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) unterstrich am Dienstag, dass Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) "in engstem Kontakt mit Kanzlerin Angela Merkel" stehe. Erst am Sonntag beim Sondertreffen in Brüssel hätten die beiden Regierungschefs wieder ausführlich über die gemeinsame Vorgangsweise gesprochen, so Ostermayer in einer Aussendung. Er selbst sei auch auf Koordinatorenebene "in Abstimmung mit dem deutschen Kanzleramtsminister Peter Altmeier".

Ostermayer: Menschliches Handeln wird verlangt

Zu den Aussagen Seehofers erklärte Ostermayer, wenn die Flüchtlinge einmal unterwegs seien, gehe es nur mehr darum zu entscheiden, "versorgt man die Menschen medizinisch und mit Nahrungsmitteln oder lässt man sie erfrieren. In dieser herausfordernden Situation müssen wir menschlich handeln."

Flüchtlingskrise: Kontaktpunkte der europäischen Staaten eingerichtet

Verwiesen wurde vom Kanzleramt auch auf die neu eingerichteten Kontaktpunkte zur Zusammenarbeit europäischer Staaten in der Flüchtlingskrise. Faymann hatte seinen Europa- und Außenpolitischen Berater Raphael Sternfeld als Kontaktperson nominiert. Im Rahmen des Sondertreffens in Brüssel war entschieden worden, dass alle Länder entlang der sogenannten Westbalkanroute und auch die Europäische Kommission eine Kontaktperson melden, die die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Staaten vereinfachen und verbessern soll.

Merkel wies mangelnde Absprache in Flüchtlingsfrage zurück

Auch Merkel selbst wies den Vorwurf einer mangelnden deutsch-österreichischen Absprache in der Flüchtlingsfrage zurück. Seit Frühsommer gebe es "fast konstante tägliche Kontakte zu Österreich auf allen Ebenen", sagte Merkel in Berlin. Man habe auch am Dienstag bereits Kontakt nach Wien gehabt. "Deshalb ist das die Normalität unseres Handelns", so die deutsche Regierungschefin zu den Forderungen Seehofers, die Regierung in Berlin müsse sich enger mit Österreich abstimmen.

Oberösterreich: Zahl der Grenzabfertigungen verdoppeln

Der oberösterreichische Landespolizeidirektor Andreas Pilsl verlangte unterdessen im Ö1-"Mittagsjournal", dass die deutschen Behörden die Zahl der Grenzabfertigungen von Flüchtlingen verdoppeln. Derzeit werden 50 Personen pro Stunde pro Grenzübergang durchgelassen. Für die Exekutive gehe der Einsatz mittlerweile "an die Substanz", so ein Polizeisprecher zur APA.

"Eine realistische Quote muss es ermöglichen, dass wir den Andrang, der von Süden kommt - abgezogen jene, die in Österreich bleiben werden und wollen und auch hier Asyl beantragen - weitertransportieren können", sagte Pilsl. "Ansonsten werden wir die Menschen an den österreichischen Grenzen stehen haben und Dinge erleben, die wir nicht erleben wollen."

Zahlreiche Flüchtlinge eingetroffen

Auch am Montagabend waren an der deutsch-österreichischen Grenze wieder zahlreiche Flüchtlinge eingetroffen. So habe man in Wegscheid nahe Passau auf einen Schlag 2.000 Menschen versorgen müssen, sagte am Dienstag der Sprecher der deutschen Bundespolizei in Bayern, Frank Koller. "Wir konnten uns darauf nicht vorbereiten." Von den österreichischen Behörden habe es keine Vorwarnung gegeben. Dabei seien die Flüchtlinge vermutlich mit Bussen zur Grenze gefahren worden. Am gesamten Montag kamen im Raum Passau demnach 8.000 Flüchtlinge an. Für Dienstag rechnete die deutsche Bundespolizei dort erneut mit bis zu 8.000 Flüchtlingen.

Die Polizei in Oberösterreich betonte am Dienstag, mangelnde Koordination beim Zustrom an den Grenzen, wie von Seehofer kritisiert, gebe es auf Beamtenebene nicht. Seit Wochen arbeite die Polizei grenzüberschreitend "Hand in Hand", sagte Polizeisprecher David Furtner.

(APA)

(Quelle: salzburg24)

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Von SALZBURG24 (tp)
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