Portrait

Salzburger Pop-Art-Künstler: „Mona Lisa gehört nicht Louvre“

Pop-Art ist sein Element - Gerald Herrmann ist Künstler aus Leidenschaft und arbeitet jeden Tag zwischen 8 und 14 Uhr "wie ein Kolibri".
Veröffentlicht: 02. Oktober 2023 15:37 Uhr
Mama-Kind, Schocker, Saiblingsfischer, Comic-Nerd – und vor allem Künstler. Gerald Herrmann zählt zu den schaffensfreudigsten Salzburger Pop-Art-Künstlern der letzten Jahre. Im SALZBURG24-Gespräch definiert er Kunst, erzählt von seinen Anfängen und spricht über die „barbie-hafte“ Salzburger Kunstszene.
Stephan Köstlinger

Die Sonne scheint über dem Atelier von Gerald Herrmann. Pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt öffnet er für SALZBURG24 seinen Kreativraum in Neumarkt am Wallersee. Hier entstehen seine kleinen Bilder, aber auch seine riesigen Werke aus Farbe, Harz und beliebten Comicfiguren. Er ist in der Salzburger Kunstszene bekannt und beliebt, auch wenn er sich nicht als Teil davon erkennt.

Vom hilflosen Mama-Kind zurück zum Kind im Mann

„Ich war ein echtes Mamakind und bis 30 Jahre vielfach hilflos. Das kam, weil mich meine Mutter wie eine Glucke ausgebrütet und mir alles abgenommen hat – und das bis zu ihrem Tod“, erinnert sich Gerald Herrmann. Die Abnabelung kam erst an der Universität, auch wenn es dort stotternd für ihn begann.

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Diese Statute beklebt Gerald Herrmann mit Comicbuchseiten des Künstlers Simon Bisley. "Das Geweih kommt oben drauf. Mal schauen, wer sich das in die Eigenshalle stellen wird", lächelt der Künstler.

„Kandinsky hat vor 100 Jahren gesagt, die Akademie sei das sicherste Mittel, das Kind im Mann auszulöschen. Dabei sucht jeder in der Kunst den Weg zurück zum Kind, zur Freiheit in sich. So kam ich zur Kunstgeschichte. Und das war das Schlimmste überhaupt. Egal ob die Leute dort 17 oder 70 sind, du triffst auf total staubige Menschen. Zum Glück kam ich schnell drauf, wie geil Philosophie ist und wechselte. Mit denen konnte ich in Sachen Kunst wirklich in die Tiefe gehen“, berichtet der 60-Jährige aus seiner lang vergangenen Studienzeit.

„Die Mona Lisa gehört nicht dem Louvre“

Die Kunst ist für Gerald Herrmann Leidenschaft und Broterwerb – und das seit mehr als 30 Jahren. Hat er in dieser Zeit für sich eine Definition von Kunst gefunden? „Ja, das habe ich. Bei Kunst handelt es sich grundsätzlich um einen künstlich erzeugten Gegenstand ohne herkömmlichen Nutzen“, so Herrmann. Der Kunstbesitz ist für sein Verständnis auch etwas anderes, als Sammler, Museen oder auch Produzenten darin sehen.

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„Wenn du dir die neue Rolling-Stones-Platte kaufst und wir uns die in deinem Auto anhören, gehört uns die Musik. Du hast nur das Material gekauft, aber die Musik, die die gemacht haben, gehört in dem Moment uns beiden. Dementsprechend kannst du auch sagen, dass dem Louvre die Mona Lisa nicht gehört. Sie haben den Materialträger, aber das, was erhaben über der Kunst schwebt, hat jeder, der vor dem Bild steht“, sagt Herrmann. Apropos erhaben – dieses Wort hat für den Künstler nur sehr wenig mit der Salzburger Kunstszene zu tun.

„Galeristen sitzen in ihrer Mozartkugelsuppe“

Er versuchte selbst zwischen 1985 und 2000 in der hiesigen Kunstszene unterzukommen. Dabei erkannte er für sich rasch, dass die Galeristen in der Mozartstadt einen sehr dünnen Flaschenhals für heimische Künster:innen darstellen würden. „Diese Leute sehen in Salzburg aus, als kämen sie mit ihren einheitlich grauen Anzügen direkt vom Barbie-Puppen-Fließband. Die sind an Künstlern eigentlich nicht interessiert. Es hätte in den letzten 30 Jahren mit Sicherheit viele interessante Leute gegeben, die man hätte hochbringen können. Aber das tun sie nicht. Die sitzen in ihrer Mozartkugelsuppe und verkaufen den Touristen etwas Renommiertes oder das, was gerade in Brooklyn hipp ist“, kritisiert der von vielen liebevoll Geri genannte Artist.

Er habe auch schnell gemerkt, dass er nicht in die Galerieszene gehöre. Er fühlte sich unter Menschen immer unwohler. „Ich mag aufgesetzte soziale Masken nicht“, sagt der bei seiner Kunst sehr offene Neumarkter über eine Hürde in seiner Arbeit. Die Arbeitsweise bei seiner künstlerischen Tätigkeit steht für ihn ganz nach dem Motto "der frühe Vogel fängt den Wurm".

„Um 14 Uhr werde ich ohnmächtig“

Noch ehe der Hahn kräht steht Gerald Herrmann um 4 Uhr morgens auf, versorgt seine Katzen und setzt sich mit einer dampfenden Tasse Kaffee an seinen Computer. „Zwischen 8 und 14 Uhr rotiere ich wie ein Kolibri. Besprechungen, Transporte, Besorgungen und vieles mehr. Komme ich dann nach Hause, falle ich ohnmächtig in einen traumlosen Schlaf.“ Diese fast anästhetische Ruhestunde endet und „ich kann frisch erholt meine Popart-Comic-Bilder entwerfen oder malen“.

50.000 Euro „verramscht“

Viele große Bilder des Künstlers zeugen von seiner unendlichen Comicliebe. Dagobert Duck, dessen Neffe Donald und die hexende Nemesis Gundel Gaukelei zieren seine Arbeiten. „Ich war so ein Comic-Freak, dass ich mit meiner Vespa nach Berchtesgaden zum Shop der amerikanischen Besatzungstruppen gefahren bin, um meine Comics zu kaufen. Das machte ich, bis sie mich rausgeschmissen haben. Und trotzdem kam ich wieder, bekam die Erlaubnis eines 80-jährigen Generals und durfte weiterkaufen“, so der „alte“ Nerd.

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Gerald Herrmann im Gespräch mit SALZBURG24-Redakteur Stephan Köstlinger. "Bei Grabthar´s Hammer, bei den Söhnen von Warvan, du sollst gerächt werden" - diesen Insider aus dem Film "Galaxy Quest" lieben beide.

Comics sammelte er bis in die 1990er Jahre. Dann verkaufte er abertausend davon zum Ramschpreis – auch den ersten Auftritt des Helden „Moon Knight“ im Heft „Werewolf by Night“ Nummer 32. „Das Heft brachte letztes Jahr bei einer Auktion in mittlerem Zustand 50.000 Dollar. Das gruselt mich heute noch“, so Geri mit einem Lächeln. Den Namen Geri entlehnt der künstlerische Tausendsassa einer Figur aus der nordischen Sagengeschichte Edda. Geri ist darin ein Wolf und eines der Begleittiere des Göttervater Odin.

Schockierende Kunst in New York

Apropos gruseln. Der heute so fröhliche Künstler konnte auch anders. „Als ich versuchte, mich in den 90er Jahren in der Kunstszene zu etablieren, war alles dunkel. Damals galt, wie kann man nach Beuys noch Aufmerksamkeit erregen? Dann kam die Phase, wo es um Gewalt, Aggression und Pornographie gegangen ist. Daraus entstand das Schocken“, sagt Herrmann.

„Ich ging 1993 ins Whitney Museum of American Art in New York und sah die fünf Meter hohe Figur einer sehr lebensechten nackten Frau hängen, die durch den Bauchnabel an die Wand genagelt wurde. Unten hing ihr die Nabelschnur heraus und am Boden lag das Baby in einer Blutlache. Im nächsten Raum waren riesige Fotografien von den verwesenden Geschlechtsteilen von Wasserleichen. Das ganze Museum war so eingerichtet – du hast als Besucher eine Fotze nach der andere bekommen. In einem anderen Raum war ein Stück Fleisch aufgespießt und aus einem Lautsprecher drangen Geräusche, als würde ein Baby vergewaltigt werden.“ Dann kam der Umschlagpunkt.

Bunte und attraktive Werke 

„Ich kam zurück, kreierte für Red Bull Racing und Toro Rosso und merkte, dass sich dabei irgendwas in mir veränderte. Alles wurde bunt. Ich fühlte mich plötzlich dort wohl, wo auch die Erwartungshaltung vieler Menschen wartet.“ Toro Rosso ist das zweite Formel 1-Team des Red Bull-Konzerns.

Heute habe er Freude an bunten Sachen und versuche, technisch und künstlerisch hochwertig besonders attraktive Werke zu schaffen. Wenn er mehr Geld hätte, würde er anders arbeiten. „Aber aktuell ist es notwendig, den Leuten mit meiner Arbeit zu gefallen. Aber ich arbeite immer so, dass man meine Handschrift erkennt“, schließt Herrmann. Wohin es ihn in Zukunft künstlerisch verschlägt, vermag er heute über das Morgen nicht zu sagen.

Bildergalerien

(Quelle: salzburg24)

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