SALZBURG24: Wie ist es bei Ihnen zu der Entscheidung gekommen, Gerichtsmediziner zu werden? Es gibt wahrscheinlich viele, die sich ihren Job als sehr makaber vorstellen.
FABIO MONTICELLI: Ich habe nach eineinhalb Jahren klinischer Tätigkeit in der Unfallchirurgie in Berlin gemerkt, dass ich nicht in der Klinik arbeiten möchte. Die Gerichtsmedizin fand ich schon im Studium sehr spannend, vor allem der kriminalistische Bereich. Man hat ja immer einen Fall, den man lösen muss.
Das glaube ich nicht, dass die meisten so denken. Gerade jetzt, wo die Gerichtsmedizin im Fernsehen so boomt, sehen wir, dass sich viele dafür interessieren.
Welche Eigenschaften sollte man Ihrer Meinung nach als Gerichtsmediziner mitbringen?
Ich glaube, dass es nur zwei Typen gibt: Die, die es machen können und die, die es nicht machen können. Es ist nicht so, dass man am Anfang Schwierigkeiten hat und sich dann daran gewöhnt. Als Gerichtsmediziner muss man einen kriminalistischen Spürsinn haben und ein gesundes Misstrauen gegenüber Angaben und Befunden mitbringen.
Die Fälle die Sie untersuchen sind ja immer individuell. Gibt es trotzdem so etwas wie Routine oder einen Arbeitsalltag?
Es gibt schon viel Routine. Wir machen ja nicht nur Obduktionen, sondern erstellen auch Gutachten. Es gibt natürlich einfachere Fälle, die Routine sind und Fälle, die nicht alltäglich sind. Wir machen auch Vorlesungen und Forschung. Die Obduktionen sind zwar ein zentraler Teil, nehmen aber einen relativ geringen Prozentsatz unserer Arbeit ein. Viele glauben, wir obduzieren nur und sonst drehen wir Däumchen. Das ist nicht der Fall.
Wie oft kommt es eigentlich vor, dass Todesursachen gar nicht festgestellt werden können?
Ich habe Fälle, da ist die Todesursache schon bei der Obduktion klar. Das sind aber die wenigsten. Dann gibt es Fälle, bei denen ich Zusatzuntersuchungen machen muss und dann eine zwingende Todesursache angeben kann. Wenn ich auch nach Zusatzuntersuchungen nichts sagen kann, muss ich es offen lassen. Das kommt aber nur ganz selten vor.
Kann das auch der Fall sein, wenn Gewalt im Spiel war?
Auch bei Gewalt gibt es Fälle, wo man an die Grenzen der Nachweisbarkeit kommt. Ganz problematisch ist die weiche Bedeckung der Atemwege - etwa durch ein Kissen - bei Leuten, die sich nicht wehren können. Da kann man die Gewalt tatsächlich nicht nachweisen. Oder auch, wenn Kinder einfach im Laufe des ersten Lebensjahres tot aufgefunden werden und wir keine Todesursache finden. Das läuft als plötzlicher Kindstod und wir sind mehr oder weniger hilflos. Das ist ein Problem.
Gibt es Fälle, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Die, die mir in Erinnerung bleiben, sind meistens Kinder, die plötzlich aus dem Nichts versterben. Oder Verkehrsunfälle, bei denen auf einmal eine ganze Familie ausgelöscht wird. Ich hatte zum Beispiel einen Fall mit einer Zwölfjährigen– an der Pinnwand hängt das Bild von dem Mädel -, die war im Skiurlaub mit ihren Freunden unterwegs und ist morgens nicht mehr aufgewacht.
Wenn man so viel in seinem Alltag mit dem Tod zu tun hat, hat man dann ein anderes Verhältnis dazu?
Man sieht wie schnell das Leben vorbei sein kann. Das wird einem nicht bewusst, wenn man nicht mit dem Tod zu tun hat. Ich will nicht sagen, dass ich dadurch bewusster lebe, aber man darf sich über Lappalien nicht aufregen, das lohnt sich nicht. Morgen kann ich nicht mehr da sein. Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit weiß ich, man muss das Leben genießen.
Mit der positiven Einstellung kommt man dann auch sicher mit den Belastungen, die der Job mit sich bringt, besser zurecht.
Ja. Obwohl ich nicht von großen Belastungen sprechen würde, weil wir das Leid nicht sehen. Außer bei Fällen, die hängen bleiben. Im Prinzip machen wir uns keine so großen Gedanken. Ich könnte mir weniger vorstellen auf der Kinderkrebsstation zu arbeiten, wo jede Woche ein Kind stirbt. Damit hätte ich mehr Probleme. Bei uns ist die Sache schon passiert, da kann man sie nicht mehr ändern.
Würden Sie sich selbst eher als Mediziner oder Kriminalist bezeichnen?
Die reine medizinische Tätigkeit ist tatsächlich nicht mehr vorhanden. Aber, ich muss Menschen untersuchen und mich mit dem menschlichen Körper gut auskennen, damit ich die nötigen Fragen klären kann. Wir sind mehr medizinische Kriminalisten.
Im Fernsehen sind die Gerichtsmediziner heutzutage ja richtige Wunderwuzzis. Die können alles und sind selbst immer vorne mit dabei, wenn es um die Lösung eines Falles geht. Inwiefern ist das in der Realität auch so?
Im Fernsehen muss der Fall in eineinhalb Stunden gelöst werden. Man hat die Obduktionsergebnisse sofort, man weiß die Todesursache schon bei der Auffindung der Leiche, der Todeszeitpunkt wird auf die Minute genau festgelegt. Das ist in der Realität alles sehr viel komplexer. Wir müssen Gifte nachweisen, DNA- und Spurenanalysen machen. Das braucht viel Zeit und Manpower. Wir machen unser Gutachten und gehen mit zum Tatort. Manchmal ist das vorher, also wenn das Opfer noch am Tatort ist, oder nach der Sektion, wenn wir uns Dinge anhand der Fotos nicht gut erklären können. Ist der Tod beispielsweise erklärbar durch einen Sturz über eine bestimmte Böschung, muss ich mir anschauen, wie steil diese Böschung ist und was für eine Beschaffenheit sie hat. Wir gehen auch zum Tatort, wenn wir Blutspuren analysieren müssen, die für die Rekonstruktion des Tathergangs herangezogen werden. An den Ermittlungen sind wir aber nicht aktiv beteiligt. Auch die Todeszeitbestimmung auf die Minute genau ist nicht möglich. Selbst wenn wir gute Daten haben, können wir nur einen Zeitraum von plus minus zwei Stunden angeben.
Sie selbst forschen ja an Methoden, die eine genauere Bestimmung des Todeszeitpunkts ermöglichen sollen. Werden die Dinge, die es momentan nur im Fernsehen gibt, in Zukunft wirklich machbar sein?
Das Problem bei der Todeszeitbestimmung ist, - und das wird man auch nicht ändern können - dass die äußeren Faktoren hochgradig die Prozesse beeinflussen, die zur Rekonstruktion des Todeszeitpunkts herangezogen werden. Wir werden nie die Todeszeit auf die Minute genau feststellen können, aber wir können den Zeitraum immer enger bestimmen. Wir untersuchen Proteine im Muskel, die angeben können, wann jemand gestorben ist. Aus den Proteinabbaumustern können wir recht gute Zeitgrenzen ziehen.
Bei Mord-Selbstmord-Geschichten wenden wir das auch schon an. Wir können das zwar nicht zu 100 Prozent beweisen, aber wir können der Polizei sagen, das passt gut oder gar nicht zu euren Ermittlungen. Beim Traunsee-Fall Ende des letzten Jahres konnten wir die These untermauern, dass der Mann die Frau schon in Deutschland ermordet hatte.
Vielen Dank für das interessante Gespräch. Zum Abschluss hätte ich noch ein paar Entweder-Oder-Fragen:
Fernseher oder Buch?
Mal eher Fernseher, mal eher Buch..
Abenteuertrip oder Entspannungsurlaub?
Abenteuertrip.
Krimi oder Komödie?
Krimi.
Frühaufsteher oder Langschläfer?
Jetzt leider Frühaufsteher, vorher Langschläfer.
Spontan oder Durchgeplant?
Früher spontan, heute bin ich super durchgeplant.
(Quelle: salzburg24)