Die 105. Salzburger Festspiele wurden am Samstag mit einem Festakt in der Felsenreitschule von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der die Geladenen an ihre gemeinsame Verantwortung für das Gemeinwohl erinnerte, offiziell eröffnet. Los ging es um 11 Uhr. Die Festrede hielt die polnisch-amerikanische Historikerin und Publizistin Anne Applebaum. Sie gilt als Kritikerin autoritärer Herrschaftssysteme.
Störaktion während Bablers Rede
Mit Zwischenrufen und ausgerollten Bannern mit Slogans wie "Stoppt den Völkermord" und "Free Gaza now" unterbrachen sechs Aktivistinnen und Aktivisten die Rede von Vizekanzler und Kulturminister Andreas Babler (SPÖ). Trotz des massiven Aufgebots der Exekutive sowohl außerhalb des Saales wie auch Securitys rund um die Bühne kamen sie auf die Bühne und auf die Fassade der Felsenreitschule, auf welcher die Transparente entrollt wurden.
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Sicherheitspersonal war damit beschäftigt, die Personen aus dem Saal zu bringen. Nach wenigen Minuten konnte Babler seine Ansprache fortsetzen. Wie die Polizei am frühen Nachmittag in einer Aussendung mitteilte, haben sich insgesamt sechs Personen mit gefälschten Mitarbeiterausweisen Zutritt verschafft. Die Polizei nahm sie fest und brachte sie nach draußen. Die Ermittler:innen gehen davon aus, dass die Gruppe über den von privatem Sicherheitspersonal überwachten Bühnenzugang hineingelangt ist. Die Ermittlungen dauern an – unter anderem deshalb, weil die Beschuldigten zunächst keine Angaben zu ihrer Identität gemacht hatten, so die Exekutive.
Update zu Ermittlungsstand
Am Nachmittag gaben der Salzburger Landespolizeidirektor, Bernhard Rausch, und der kaufmännische Direktor der Festspiele, Lukas Crepaz, Statements vor dem Großen Festspielhaus ab. Habe man bisher schon auf Security-Dienste im Publikum gesetzt - insgesamt 60 bis 70 Personen pro Vorstellung -, werde man auf zusätzliches Sicherheitspersonal bauen, erklärte Crepaz. Weiters würden schon jetzt neben Taschenkontrollen alle Karten nur käuferpersonalisiert ausgegeben. Zusätzlich würde man nun auch Lichtbildausweise verlangen.
Ausweise "nicht schlecht gemacht"
Die sechs Aktivisten hätten sich mit "nicht schlecht gemachten" Mitarbeiterausweisen Zutritt verschafft, wie Rausch betonte. Derzeit würde es aber 6.000 Personen mit diesen Mitarbeiterkarten geben. "Nicht jeder Ausweis kann detailliert gesichtet werden", meinte Crepaz dazu. Die Kontrolle obliege dem hauseigenen Sicherheitsdienst. Auch hier gelobte man angesichts des Debakels vom Samstag Besserung und Evaluierung der Maßnahmen.
Aktivist:innen auf freiem Fuß
Die sechs am Vormittag festgenommenen Menschen seien der "Last Generation" zuzuordnen, wie Rausch informierte. Von den bisher bekannten Störern habe eine Person eine deutsch-französische Doppelstaatsbürgerschaft, eine Person sei Österreicher mit Migrationshintergrund, hinzu komme eine Österreicherin. Die anderen drei Protestteilnehmer seien noch unbekannt, diese hätten keine Ausweise bei sich gehabt. Alle sechs wurden in Polizeigewahrsam genommen und am Samstagabend wieder auf freien Fuß gesetzt. Das teilte deren Rechtsvertreterin Astrid Wagner der APA mit.
Anwältin kündigt Beschwerde an
Wagner kündigte eine Maßnahmenbeschwerde gegen die in ihren Augen "rechtswidrige und ungebührlich lange Anhaltung" an. Man habe die sechs Personen über zehn Stunden im Polizeianhaltezentrum festgehalten. Ihnen werde Urkundenfälschung vorgeworfen, berichtete Wagner. Das sei "an den Haaren herbeigezogen" und "rechtlich unhaltbar", denn sie hätten Karten mit der Aufschrift "Salzburger Speibspiele" verwendet. Das habe mit einer Fälschung nichts zu tun, "sondern ist eindeutig eine Persiflage", meinte Wagner.
"Im Nachhinein betrachtet keine Gefährdung"
Was die anwesenden Festgäste betrifft - darunter der rumänische Staatschef Nicușor Dan und Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen - habe es "im Nachhinein betrachtet keine Gefährdung" gegeben, sagte der Salzburger Polizeidirektor. Bei Erklimmung der Bühne waren ein Teil der Demonstrant:innen nur wenige Meter von Vizekanzler und Kulturminister Babler beim Rednerpult entfernt, ehe das Sicherheitspersonal eingriff.
Ein zu langsames Einschreiten der Sicherheitskräfte oder dass sich die Security selber im Gebäude nicht ausgekannt hätte, bestritt Crepaz. "Der Weg auf die Galerie ist sehr verwinkelt", sagte er. Die Mitarbeiter hätten sehr schnell und sehr besonnen reagiert.
Babler mit Angebot zu offenem Diskurs
Auf die erzwungene Unterbrechung seiner Rede reagierte Babler mit einem Angebot zum offenen Diskurs. "Kunst als echte Debatte, Festspiele als Ort für echte Debatten - und das sollte uns einen, kritische Debatten miteinander auszutragen und gleichzeitig berechtigte Kritik in einem geeigneten Rahmen zu verhandeln." Auch die heurige Festrednerin, die Historikerin Anne Applebaum, reagierte auf die Störaktion. Sie leide unter den Bildern der im Gazastreifen verhungernden Kinder: "Israel muss das humanitäre Völkerrecht einhalten."
Und auch Bundespräsident Van der Bellen sprach die Protestaktion an: Er sei ein Freund Israels, das bedeute nicht, jede Maßnahme der israelischen Regierung gutzuheißen. "Die Situation in Gaza ist niederschmetternd und in keiner Weise humanitär zu rechtfertigen. Aber bitte vergesst auch nicht den Oktober 2023, dem schlimmsten Pogrom der Nachkriegszeit." Das sei keine Rechtfertigung für das, was in Gaza passiert, "aber bitte zur Erinnerung".
"Die Salzburger Festspiele dürfen nicht zum Ort der Verdrängung werden", hieß es nach der Aktion in einer Aussendung der Aktivist:innen. "Sie müssen das viel zitierte Erbe ihrer Gründer ernst nehmen – und Stellung beziehen, für einen sofortigen Waffenstillstand und ein Ende des Völkermords. Deshalb setzen wir heute zum Festakt der Salzburger Festspiele ein Zeichen für Palästina."
Anne Applebaum hält Festrede
Am Beispiel der Salzburger Festspiele, deren Gründung 1920 aus bürgerschaftlichem Antrieb und ohne staatlichen Auftrag erfolgte, zeichnete Anne Applebaum nach, wie Kunst und gemeinsames Handeln demokratisches Denken stärken. Festspiele wie diese seien Ausdruck eines "unabhängigen Lebens der Gesellschaft", das gegen Diktaturen ebenso beständig verteidigt werden müsse wie gegen digitale Vereinzelung und soziale Apathie.
"Festspiele werden nicht deshalb zum Erfolg, weil Mächtige es anordnen. Sie werden zum Erfolg, weil Menschen von Idealen wie künstlerischem Anspruch, Bildung oder Schönheit und Harmonie beflügelt werden und weil sie aus freien Stücken zusammenarbeiten, um diese Ideale zu verwirklichen. Diese Festspiele sind keine Ausnahme", so Applebaum. Die Beschäftigung mit Kunstwerken der Vergangenheit helfe uns, die Gegenwart besser zu verstehen.
Warnung vor moderner Wiederkehr autoritärer Systeme
Applebaum erinnerte an autoritäre Systeme wie den Sowjetkommunismus oder die NS-Diktatur, die gezielt freie Vereinigungen und kulturelles Leben zerstörten, und warnte vor deren moderner Wiederkehr, unter anderem in Russland. "Wir sehen schleichende Veränderungen auf diesem Kontinent, es kommen Politiker an die Macht, die zivilgesellschaftliche Vereinigungen einmal mehr als Bedrohung wahrnehmen", warnte sie. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Festspiele seien die Grundfesten der Demokratie. Den Salzburger Festspielen attestierte Applebaum das Potenzial, nicht nur Schönheit zu vermitteln, sondern als gelebter Gegenentwurf zu Isolation, Zynismus und nationalistischem Rückzug zu wirken.
Nicht nur Diktatoren und Autokraten sieht Applebaum als Bedrohung: "Auch veränderte Technologien und Verhaltensweisen in der gesamten demokratischen Welt tragen zur Erosion der Zivilgesellschaft bei." Die Historikerin: "Statt uns in zivilgesellschaftlichen Organisationen einzubringen, die uns ein Gemeinschaftsgefühl und praktische Erfahrung mit Toleranz und Konsensbildung vermitteln, folgen viele von uns dem Internet-Mob, tauchen unter in der Logik der Masse, klicken Like und ziehen weiter. Statt an einem realen öffentlichen Ort wie diesem hier teilzuhaben, driften wir anonym durch digitale Räume, in denen wir Andersdenkende attackieren können, ohne unser Gesicht zu zeigen. Wir organisieren, planen und arbeiten nicht gemeinsam mit anderen. Wir praktizieren keine Demokratie." Statt zivilgesellschaftlichem Engagement würde die neue Online-Welt "Zynismus, Nihilismus und Apathie" fördern.
Begrüßung mit Militärmusik in der Hofstallgasse
Zahlreiche Ehrengäste aus Politik, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft und Kunst waren zur Eröffnung geladen, darunter der rumänische Präsident Nicusor-Daniel Dan, der bereits am Freitag von Bundespräsident Van der Bellen in Salzburg offiziell empfangen wurde. In der Hofstallgasse statt am Residenzplatz hat am Samstagvormittag die Ehrenformation des Bundesheeres Aufstellung genommen, die Militärmusik Salzburg spielte auf.
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Gemeinsam mit Landeshauptfrau Karoline Edtstadler (ÖVP) schritten sie die Ehrenformation des Bundesheeres ab, bevor Festspielpräsidentin Kristina Hammer die vielen Ehrengäste empfing. Auch Schaulustige versammelten sich trotz des Regens. Hammer und Edtstadler richteten anschließend in der Felsenreitschule ihre Grußworte aus.
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Festspielpräsidentin Kristina Hammer betonte in ihrer Begrüßungsrede, dass es naiv wäre, zu glauben, dass allein eine Aufführung der "Letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus "in ihrer erschütternden Aktualität" schon reichen würde, Despoten davon abzuhalten, eben diese letzten Tage einzuläuten. "Wir müssen aber dafür Sorge tragen", so Hammer, "dass diese Bibliotheken des Menschseins und die darin enthaltenen humanistischen Gedankenräume weiterhin allen offen stehen - und vor allem der nächsten Generation greifbar machen, was die Kunst über die reine Freude an der Aufführung hinaus aus Entdeckungswürdiges zu bieten hat."
Edtstadler vergleicht Festspiele mit "Ozeandampfer"
Die Salzburger Festspiele seien "resistent gegen plumpe politische Degradierungsversuche", sagte Edtstadler. "Bildlich könnte man die Salzburger Festspiele mit einem Ozeandampfer vergleichen, der auch hoher See jedem Wetter trotzt, sich beharrlich seinen Weg bahnt, neue Häfen ansteuert und Ideen und Strömungen aufnimmt, sich anpasst, doch letztlich stabil bleibt in Form und Gestalt."
Als letzter Redner ergriff Bundespräsident Alexander Van der Bellen das Wort. Er sprach sich für mehr Gemeinsinn in der Wirtschaft und eine Medienlandschaft aus, die erklärt statt empört. Auch die Kunst, so Van der Bellen, habe in der Demokratie eine politische Aufgabe: Sichtbar zu machen, was bedroht ist. "In Zeiten multipler globaler Krisen, wachsender Ungleichheit und des schwindenden Vertrauens in Institutionen zeigt sich: Wir alle, die Verantwortungsträger in Politik, Wirtschaft, Medien und auch in der Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur stehen auf dem Prüfstand", sagte der Bundespräsident. Es gelte, "unbequeme Wahrheiten auszusprechen".
Van der Bellen reagiert auf Protest
Van der Bellen sprach ebenfalls die Protestaktion an: Er sei ein Freund Israels, das bedeute nicht, jede Maßnahme der israelischen Regierung gutzuheißen. "Die Situation in Gaza ist niederschmetternd und in keiner Weise humanitär zu rechtfertigen. Aber bitte vergesst auch nicht den Oktober 2023, dem schlimmsten Pogrom der Nachkriegszeit." Das sei keine Rechtfertigung, für das, was im Gaza passiert, "aber bitte zur Erinnerung". Nach fast zwei Stunden wurden die 105. Salzburger Festspiele "endlich" eröffnet, wie er sagte. Das Mozarteum-Orchester spielte Werke von Ludwig van Beethoven, Ernest Bloch und Wolfgang Amadeus Mozart.
174 Aufführungen bei Salzburger Festspielen
Am Abend folgt mit "Giulio Cesare in Egitto" von Georg Friedrich Händel die erste szenische Opernproduktion in diesem Sommer. Das Festival startete bereits vor einer Woche mit der Ouverture Spirituelle und der Premiere des "Jedermann" mit Philipp Hochmair in der Titelrolle und Deleila Piasko als Buhlschaft. Bis einschließlich 31. August stehen 174 Aufführungen in 45 Tagen an 16 Spielstätten sowie 37 Vorstellungen im Jugendprogramm "jung & jede*r" auf dem Programm.
(Quelle: apa)