Alkoholsüchtige und Medikamentenabhängige finden in der Suchthilfe Klinik Salzburg seit 1986 professionelle Hilfe. Über den psychosozialen Dienst werden Suchtkranke an die Klinik vermittelt. In einer 90-tägigen Entwöhnungsbehandlung, die von den Kassen bezahlt wird, sollen Suchtkranke wieder zurück in den "normalem Lebensfluss" kommen, wie es Caroline Weinlich formuliert. Die Psychologin und Psychotherapeutin ist seit über 20 Jahren in der Suchthilfe Klinik tätig und hat dort die Psychologische Leitung über.
SALZBURG24: Warum schlittern Menschen in ein Abhängigkeitsverhältnis?
CAROLINE WEINLICH: Rund 50 Prozent der Suchtkranken haben als Grunderkrankung eine Depression. Man weiß, dass circa die Hälfte der Alkoholabhängigen und rund 80 Prozent der Drogenabhängigen schwerste traumatische Kindheitserfahrungen, wie Missbrauch oder Gewalt, erlebt haben. Bei Suchtkranken befindet sich daher die Persönlichkeit häufig in einem Ungleichgewicht. Dem wird bei uns Rechnung getragen. Wir machen auch eine traumatherapeutische Stabilisierung.
Sucht ist eigentliche eine Abhängigkeit im Dienste des Heilen. Wenn ich mich unwohl fühle, wende ich mich an ein Suchtmittel, das ich kontrollieren kann. Und lange Zeit kann ich es kontrollieren. Nur dieses System eskaliert irgendwann. Alkoholiker trinken in der Regel für ihre Stimmung. Das ist weg vom Genuss, hin zu dem, was der Alkohol mit mir macht. Alkohol hat eine sehr breite Wirkung: Er wirkt ein bisschen gegen Ängste, ein bisschen gegen Depressionen und hilft ein bisschen beim Schlafen.
Ab wann spricht man von einer Sucht?
Gefährlich ist es, wenn man das Gefühl bekommt, dass man die Sucht kontrollieren muss. Wenn man bemerkt, dass der Konsum nicht mehr gesund ist, dann ist schon etwas entgleist. Die Sucht kennt kein natürliches Sättigungsgefühl. Daher entgleitet der Konsum in der Menge und in der Häufigkeit. Hinzu kommt ein Suchtautomatismus. Suchtkranke können ihren Willen nicht mehr gebrauchen. Sie können nicht mehr sagen: Ich will jetzt nichts mehr trinken. Sie tun es trotzdem. Sie haben das nicht mehr unter Kontrolle. Angehörige haben dann häufig das Gefühl, angelogen zu werden, weil die Versprechen des Suchtkranken nichts mehr wert sind.
Dazu kommt, dass er ununterbrochen an den Alkohol denken muss. Wirklich Süchtige denken die meiste Zeit darüber nach, wie sie ihr Suchtmittel beschaffen und konsumieren können. Das ist ein Vollzeitjob. Man kann Sucht mit dem Gefühl, frisch verliebt zu sein, vergleichen. Man denkt ständig an den anderen und hat das Gefühl, dass man ohne ihn nicht kann.

Wie beginnt eine Sucht?
Sucht hat eine sehr lange Vorlaufzeit. Es hängt von der Art der Abhängigkeit ab, wann diese auffällig wird. Drogensucht und Spielsucht werden wegen der dadurch angehäuften Schulden recht schnell entdeckt und sind oft existenzbedrohend. Alkohol ist hingegen eine sehr unauffällige Droge. Es gibt ihn überall. Die Produktion ist ein Wirtschaftsfaktor bei uns, das heißt, die Leute sollen ihn auch konsumieren. Aber wo ist die Grenze?
Alkoholkranke, die zu uns kommen, haben oft vieles verloren. Sie haben keinen Partner, kein Zuhause und keine Arbeit mehr. Dazu kommt ein schlechter körperlicher Zustand. Suchtkranke kommen schließlich ihren privaten und beruflichen Verpflichtungen irgendwann einmal nicht mehr richtig nach. Daran stellen die Angehörigen dann fest, dass am Konsumverhalten des Suchtkranken etwas nicht stimmt. Erst dann kommt der Prozess der Selbstreflexion. Der Suchtkranke erkennt, dass er etwas ändern muss. Die Sucht kann nur der Erkrankte selbst bekämpfen. Es folgt häufig eine Phase, in der der Suchtkranke zunächst versucht, seinen Konsum selbst zu regulieren.
Wie verhalten sich Angehörige im Falle einer Suchterkrankung richtig?
Es gilt einen nüchternen Augenblick abzuwarten. Dann bringt es aber nichts, denjenigen mit Vorwürfen zu konfrontieren, weil ein Streit niemandem hilft. Ein besserer Zugang ist es, gegenüber dem Suchtkranken seine Sorge um ihn zum Ausdruck zu bringen. In dem Moment, in dem ein Angehöriger das sehr vehement formuliert, fühlen sich Suchtkranke oft bevormundet. Alkoholkranke sind in der Regel erwachsene Menschen. Sie wollen natürlich ihre eigene Verantwortung übernehmen. Solange sie krank sind, muss man für sie mitdenken und sie mitunter wie ein Kind behandeln.
Die Sucht belastet natürlich auch das Umfeld. Die Angehörigen von Süchtigen sind – das ist statistisch erwiesen – überdurchschnittlich oft selbst beim Arzt oder in Krankenhäusern. Wird ein Suchtkranker abstinent, passiert es häufig, dass dann ein Angehöriger kurz darauf schwer erkrankt. Das geschieht aus der Erschöpfung heraus, eine lange Zeit als Satellit eines anderen zu existieren. Als Angehöriger sollte man auf jeden Fall professionelle Hilfe suchen.
Was bringt Menschen dazu, sich ihrer Sucht zu stellen?
Da gibt es unterschiedliche Gründe. Ein Alkoholkranker ist zu uns gekommen, weil sich sein Enkerl nicht mehr auf seinen Schoss setzen wollte, weil er immer so nach Alkohol stinke. Zu einem anderen hat sein Vater gesagt: Ich habe keinen Sohn mehr.
Lässt sich eine Sucht ein für alle Mal besiegen?
Es funktioniert leider nicht so, dass man einmal eine Behandlung macht und dann geheilt ist. Sucht ist ein Prozess, der sich über Jahrzehnte, vielleicht über ein ganzes Leben, zieht. Ich habe Alkoholiker erlebt, die wegen eines Bieres rückfällig geworden sind. Die meisten Rückfälle passieren wegen auftretender Probleme.
Jedes Mal, wenn es zu schweren Lebensherausforderungen kommt, neigen Suchtkranke dazu, sich von der Herausforderung abzuwenden und diese durch Suchtmittel zu behandeln. Je länger jemand abstinent ist, desto mehr Rückfälle passieren aufgrund von Übermut. Weil der Körper die Substanz eigentlich nicht mehr braucht. Am Ende werden Rückfälle weniger und weniger intensiv. So schleicht sich die Sucht langsam aus.
Was macht die Sucht körperlich und geistig mit Menschen?
Mit einem Suchtmittel nimmt man ständig Gift zu sich. Der Körper neigt dazu, dass er alles ausgleicht. Das heißt, er verändert sich rund um dieses Suchtmittel. Ein Suchtmittel moduliert zum Beispiel das Belohnungssystem des Menschen. Das heißt, man hat schnell das Gefühl, dass alles okay ist. Das Belohungssystem im Körper ist aber so angelegt, dass das Belohnungsgefühl erst ausgeschüttet wird, wenn man eine Herausforderung gemeistert hat. Mit dem Suchtmittel geht man quasi eine Abkürzung.
Der Körper spürt, dass da von außen etwas zugeführt wird und steuert dagegen. Das heißt, die eigenen Depots werden runtergefahren, weil es kommt ja von außen. Wenn mein Körper an ein Suchtmittel gewohnt ist und es kommt weg, dann schlittert man häufig in eine Depression. Durch den Überschuss an Gift ist das ganze Verdauungssystem beeinträchtigt, die Süchtigen können Magenbeschwerden bekommen, die Speiseröhre, die Bauchspeicheldrüse, der Darm, die Leber können Schäden nehmen. Die Gehirnzellen werden ständig betäubt, damit wird die Informationsverarbeitung gelähmt.
Wie wird Sucht behandelt?
Bei einer Behandlung muss beidem Rechnung getragen werden. Auf der einem Seite der Grunderkrankung, auf der anderem Seite dem Automatismus. Wie kann ich mich davor schützen? Wenn du regelmäßig Bier getrunken hast, musst du im Sommer schauen, dass du immer genug Wasser bei der Hand hast, damit das Verlangen nach Bier und Durst nicht zusammenkommen.
Dazu gilt es sich auf einen etwaigen Rückfall vorzubereiten. Welche Situationen, welche Emotionen sind für mich gefährlich? Wir haben zum Schutz einen Notfallpass, auf dem Notfall-Telefonnummer und bestimmte Tätigkeiten stehen, auf die man zurückgreifen kann.
Sie arbeiten seit über 20 Jahren mit Suchtkranken. Warum gefällt Ihnen Ihre Arbeit?
Weil ich Menschen liebe. Wenn es anderen gut geht, geht es mir auch gut. Übernimmt ein Patient selbst die Verantwortung für sein Leben, erlebe ich das, wie wenn ein Flugzeug startet. Wenn jemand anfängt für sein Lebensglück die Verantwortung zu übernehmen und selbst daran arbeitet, ist der schönste Augenblick.
Vielen Dank für das Gespräch.
Weitere Informationen zur Suchthilfe Klinik Salzburg findet ihr HIER
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(Quelle: salzburg24)