Laut Statistik Austria sind 18 Prozent der in Österreich lebenden Männer und 15 Prozent der Frauen krankhaft übergewichtig, also adipös. In absoluten Zahlen sind damit 660.000 Männer und 580.000 Frauen von Fettleibigkeit betroffen. Und auch bei den Jungen verschärft sich die "Epidemie des 21. Jahrhunderts", wie es einhellig in der Fachwelt heißt: Fast ein Viertel der Sieben- bis 14-Jährigen in Österreich ist übergewichtig oder adipös. Bundesweit wird die Hälfte der Über-15-Jährigen aktuellen Erhebungen zufolge dazu gezählt.
Tausende Kinder in Salzburg übergewichtig
Es ist ein globales Problem, vor allem in der westlich-industrialisierten Welt. Weltweit sind bereits mehr als eine Milliarde Menschen übergewichtig, mindestens 300 Millionen leiden an krankhafter Fettleibigkeit – Tendenz steigend. Mehr als die Hälfte der EU-Bevölkerung gilt als übergewichtig.
Darum muss dieser Negativtrend mit allen Mitteln gestoppt werden, appelliert Primar Prof. Daniel Weghuber, leitender Kinderarzt an den Salzburger Landeskliniken, gegenüber SALZBURG24: "Übergewicht muss so früh wie möglich gegengesteuert werden und nicht erst in jugendlichen Jahren." Im Land Salzburg habe sich die Zahl an von Adipositas Betroffenen in den letzten 30 Jahren verzehnfacht. "Im ganzen Bundesland gelten rund 5.000 Kinder bzw. Jugendliche als adipös, weitere ca. 2.000 als extrem adipös", führt Weghuber aus.
Dramatische gesundheitliche Folgen
Der Unterschied zwischen Übergewicht und Adipositas wird durch den Body Mass Index (BMI) definiert: Bei Erwachsenen spricht man ab einem BMI von 25 von Übergewicht, ab einem BMI von 30 von Adipositas. Die Ursache liegt immer darin, dass dem Körper mehr Energie zugeführt wird als er verbrennen kann. Dieser Überschuss legt sich dann als Fettpolster an.
Und die Folgen für die Heranwachsenden sind dramatisch. Neue, vor einigen Jahren noch nicht beobachtete, Krankheitsbilder bei jungen Menschen sind mittlerweile entstanden: Eine Fettleber als Jugendlicher kann sich schon im jungen Erwachsenenalter rasch zur lebensbedrohlichen Leberzirrhose entwickeln. Darüber hinaus sind Altersdiabetes (Typ 2) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie Bluthochdruck, Begleiterscheinungen von Übergewichtigen oder an Adipositas leidenden Menschen.
Soziale Isolation
"Wir dürfen dabei aber keinesfalls das wachsende psychosomatische Ausmaß vernachlässigen", mahnt der Kinderarzt und zählt soziale Isolation wegen fehlender gesellschaftlicher Teilhabe auf, was schwerwiegende Auswirkungen auf die persönliche Entwicklung hat. "Oftmals leiden Leistungen in der Schule darunter und Ausbildungsplätze werden nicht gefunden. Das ist ein Negativstrudel."
Das sei einem ganzen Bündel an Ursachen geschuldet. Neben genetischen Faktoren, also persönlicher Veranlagung, "bewegen sich Kinder heutzutage einfach zu wenig", weiß Weghuber. Smartphones und Co würden zu vermehrter körperlicher Inaktivität verleiten – "das ist ein zentrales Problem, denn Kinder werden viel zu früh an die neuen Technologien gewöhnt." Mehr als 50 Prozent aller Kinder würden sich zu wenig bewegen, erklärte auch der Salzburger Kinderarzt Holger Förster im S24-Interview.
Helfen könne hier nur eine interdisziplinäre Diät, also die Verknüpfung verschiedener Wissenschaftszweige, wie es etwa an der Salzburger Uniklinik für Kinder- und Jugendheilkunde praktiziert wird. Eine Gentherapie ist Weghuber zufolge jedoch "nicht absehbar und Medikamente können nur Bausteine in der Therapie sein."
Brandbeschleuniger Corona-Pandemie
Und die seit mehr als anderthalb Jahren andauernde Pandemie dürfte sich wie ein Brandbeschleuniger auf die bereits akute Situation auswirken. "Corona ist in diesem Zusammenhang ein weiteres Drama", fasst es der SALK-Primar zusammen, "weil die Adipositas-Epidemie augenscheinlich durch Covid-19 weiter befeuert wurde. Denn jene, die besonders veranlagt sind, haben in dieser Zeit auch überdurchschnittlich viel zugenommen." Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Lockdowns, Schul- und Kindergartenschließungen sowie die massive Einschränkung des sozialen und sportlichen Lebens.
Auch eine aktuelle Studie aus Graz bestätigt die Aussagen des Salzburger Mediziners: "Die Zunahme der Zahl der übergewichtigen oder adipösen Kinder innerhalb eines Jahres um 3,8 Prozentpunkte entspricht in etwa der Größe dieser Zunahme bei österreichischen Kindern innerhalb von vier Jahren (2014 bis 2018)", stellten die Grazer Wissenschafter fest.
Zu wenig Bewegung und viel ungesundes Essen
Doch wer hat überhaupt Schuld an dieser Misere? Der Salzburger Bewegungswissenschafter Jürgen Birklbauer nimmt die Erziehungsberechtigungen in die Pflicht: "Das Allerwichtigste ist, dass Eltern ihren Kindern Rahmenbedingungen schaffen, um sich bewegen zu können", führt er gegenüber S24 aus.
Primar Weghuber ist da anderer Meinung: "Die Schuld den Eltern zu geben erscheint mir zu leicht, weil manche Menschen einfach empfänglicher gegenüber äußeren Reizen sind." Die vielfältigen Gründe würden auch mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zusammenhängen, meint der Mediziner: "Die Verfügbarkeit ungesunder Lebensmittel hat ein riesiges Ausmaß angenommen." Schließlich hätten Studien gezeigt, dass eine ausgewogene Ernährung in den ersten drei Lebensjahren mit entscheidend für eine gesunde Zukunft der Kinder sein kann – dazu zähle auch die Schwangerschaft.
In diesem Zusammenhang wirft Weghuber den Begriff der Verhältnisprävention in den Raum. Diese Art der Vorbeugung will Einfluss auf Gesundheit bzw. Krankheit nehmen, indem sie Veränderungen der Lebensbedingungen der Menschen anstrebt, um diese möglichst risikoarm zu gestalten. Ein bekanntes Beispiel aus der Vergangenheit ist das Gastro-Rauchverbot.
Adipositas: Wege aus dem Negativstrudel?
Weitere Möglichkeiten der Verhältnisprävention sind eine fixe Sportstunde am Tag, verbindliche Standards für Schul- und Kindergartenverpflegung oder gesundheitsfördernde Lebensmittelpreise. "Weil im Supermarkt Millisekunden über die Kaufentscheidung entscheiden, bin ich für mehr vereinfachte Nährwertkennzeichnungen auf der Vorderseite verpackter Lebensmittel, wie dem "'Nutri Score'." Diese sollen Verbraucher bei der Auswahl gesünderer Lebensmittel helfen. "Einschränkende Werbemaßnahmen für Kinder sind zudem seitens der Bundesregierung in aktiver Vorbereitung und Umsetzung", lässt Weghuber durchblicken.
"Ich denke, die Gesellschaft hat die Zeichen der Zeit mittlerweile erkannt", resümiert der Primar von den SALK, der aber einräumt, dass in diesem Zusammenhang gesellschaftlich noch viel zu tun ist. "Ich wünsche mir, dass wir uns im Kampf gegen die Adipositas-Epidemie mit einer Ernsthaftigkeit entgegenstellen, wie wir es bislang auch mit Corona gehandhabt haben."
(Quelle: salzburg24)