Traditionell oder toxisch?

Veraltete Rollenbilder werden auf TikTok immer populärer

Veröffentlicht: 05. August 2024 19:14 Uhr
Veraltete Rollenbilder und geschlechterspezifische Klischees werden derzeit besonders auf der Kurzvideo-Plattform TikTok verbreitet. Warum solche Inhalte so populär sind, wann es problematisch wird und wie sich das auf die oft sehr jungen Nutzer:innen auswirken kann, haben wir bei der Jugendinfo von Akzente Salzburg herausgefunden.

„Wenn ihr mit einer Frau auf einem Date seid und sie sagt: ‚Glaub aber nicht, dass wir heute Abend noch Sex haben werden‘, dann meint sie genau das Gegenteil. Frauen sind nämlich Meister darin, eines zu sagen und das andere zu meinen.“ Dieser Meinung ist ein TikTok-User, der ein Video mit diesem Inhalt auf der Social-Media-Plattform geteilt hat. Ein anderer sagt in die Kamera: „Frauen gehen fremd, weil sie sich nicht trauen Schluss zu machen oder weil sie Angst haben, alleine zu sein. Aber Männer gehen fremd, weil sie einfach Männer sind.“ Ein weiterer Creator gibt „Schüchternen“ den Tipp, auf Dates einen Vorwand zu benutzen, um Frauen zu berühren. Zum Beispiel: „Das ist ein richtig schöner Ring, den du hier hast. Zeig mal.“ Aussagen wie diese sind keine Ausnahmen auf der beliebten Kurzvideo-Plattform. Das bemerkt auch Leonie Koch von der Jugendinfo bei Akzente Salzburg seit ein bis zwei Jahren. „Auf TikTok im Speziellen werden sehr, sehr alte Denkmuster reproduziert“, sagt sie im SALZBURG24-Interview am Montag. Aus einer Studie des University College London und der University of Kent geht hervor, dass die Algorithmen solche frauenfeindlichen Inhalte sogar verstärkt an Jugendliche ausspielen.

Dominante Männer und "Tradwives"

Die Reproduktion dieser Denkmuster passiere auf zwei verschiedenen Ebenen, führt die 27-Jährige aus. So gibt es den einen Content-Bereich, der vor allem für junge Männer oder männliche Jugendliche gemacht werde. Der Mann wird als Versorger und Familienoberhaupt gesehen. Er soll derjenige sein, der die Macht hat und das letzte Wort spricht. Emotionen sollte er keine zeigen, schon gar nicht weinen. Männer, die diesem „Ideal“ nicht entsprechen, Frauen oder queere Menschen werden abgewertet oder unterdrückt, erklärt die Expertin. Als Beispiel nennt sie die Tate-Brüder. Influencer Andrew Tate und sein Bruder Tristan gingen mit ihren Videos viral, in denen sie sich immer wieder frauenfeindlich äußerten. Außerdem stellte besonders Andrew seinen Luxus-Lifestyle zur Schau. Er generierte so eine Millionenreichweite.

Im selben Bereich wie die Tates sei auch die Incel-Culture anzusiedeln, so Koch. Unter Incels werden heterosexuelle Männer verstanden, die nach eigener Aussage unfreiwillig keinen Geschlechtsverkehr oder romantische Beziehungen haben. Sie haben ihrer eigenen Ansicht nach allerdings ein Recht auf Sex. Den Teenagern wird also vermittelt, dass Frauen kontrolliert werden und den Männern gehörig sein sollen. Gerade bei toxischer Männlichkeit werde Gewalt oftmals verherrlicht. Dadurch könne die Gewaltbereitschaft bei den Jugendlichen steigen.

Die zweite Ebene, die Koch herausfiltert, sind „Tradwives“ oder „Stay-at-home-girlfriends“. Diese Schiene richtet sich an die jungen Frauen. Das Wort Tradwife ist eine Abkürzung traditional wife, also traditionelle Ehefrau. Sie verzichten auf eine berufliche Karriere im klassischen Sinne und propagieren ein Dasein als Mutter und Hausfrau. Diese Arbeiten werden positiv dargestellt und erfahren so eine Ästhetisierung. „Es wird reproduziert, dass Hausarbeit und Care-Arbeit keine Arbeit sind“, sagt Koch. Auch die finanzielle Unabhängigkeit der Frau ist mit dieser Einstellung oft gar nicht erwünscht oder möglich. „Es wird nicht darauf eingegangen, was im Fall einer Scheidung oder Ähnlichem passiert.“

Wann wird es problematisch?

Aber wo endet die eigene Meinung und ab wann wird es problematisch oder diskriminierend? „Natürlich darf jede Familie ihre eigene Idee von Familie ausleben. Das Problematische ist, wenn nicht reflektiert wird, was dahintersteckt. Die eigene Meinung wird als das Non-Plus-Ultra gesehen, moderner Feminismus oder eine moderne Gesellschaft als Gefahr für ein traditionelles Familienbild“, führt die Expertin aus. Jugendliche stehen somit quasi zwischen zwei Welten. Und sich als junger Mensch dort zurecht zu finden, kann schwierig sein. Wie verhärtet die Fronten zwischen den verschiedenen Lagern sind, wird auch in den Kommentaren auf Social Media deutlich. Während die einen frauenfeindliche Aussagen feiern, schlagen andere Alarm und fürchten Rückschritte.

Von Comedy über Dating-Coaches auf TikTok

Nicht alle Creator:innen äußern sich ganz direkt und mit ernster Miene. Manche verpacken kritische Inhalte in „Comedy“-Videos. Häufig ist schwer zu erkennen, was ernst gemeint ist und was als Spaß oder gar als Kritik mit einem Augenzwinkern aufgefasst werden kann. Das bestätigt auch Koch. „Es gibt auch viele Couple-Accounts, wo es darum geht, sich ständig zu pranken (sich Streiche zu spielen, Anm.). Da werden auch oft Gender-Stereotype reproduziert. Und was lustig ist, wird besser geklickt. Es ist sicher nicht einfach, das auseinanderzuhalten.“

Andere geben ihre teilweise mehr als fragwürdigen Tipps an die Community weiter und sehen sich als Dating-Coaches. Dass sich manche Jugendlichen oder jungen Erwachsenen für solche Ratschläge interessieren, könne damit zu tun haben, dass sie verunsichert sind. Online-Dating und Co könnte dazu beigetragen haben, dass das Miteinandersprechen im „echten“ Leben etwas verloren gegangen ist, vermutet Koch.

Anzeige für den Anbieter Kavedo über den Consent-Anbieter verweigert

Nicht außer Acht lassen sollten jene, die auf Online-Plattformen wie TikTok unterwegs sind, den wirtschaftlichen Aspekt, der dahintersteckt, appelliert die 27-Jährige. „Wenn man zum Beispiel Tradwife-Content anschaut, fällt einem nicht unbedingt auf, dass dahinter Agenturen stehen, die diese Influencerinnen vermarkten.“ Zu deren Aufgaben zählen etwa das Produzieren und Schneiden der Videos. „Sie tun so, als würden sie nicht arbeiten, weil es gut funktioniert und geklickt wird. Aber es steckt Arbeit dahinter.“

Suche nach Sicherheit und Stabilität

Dass solche Inhalte aktuell besonders verbreitet sind, kann mehrere Ursachen haben, sagt die Jugendberaterin. „Ich glaube, dass es ein großes Problem ist, dass es kaum positive männliche Vorbilder gibt – also moderne Männer, die mal stark, aber auch weich sein können. Und ich glaube grundsätzlich ist unsere Zeit sehr schnelllebig, was einfach verunsichernd ist für die meisten von uns.“ Das Festhalten an starren Denkmustern würde manchen womöglich eine gefühlte Sicherheit geben. Das sei jedoch nicht nur bei Männern der Fall, sondern auch bei jungen Frauen. „Sie haben womöglich die Doppelbelastung ihrer Mütter gesehen, die gleichzeitig arbeiten und trotzdem noch die Care- und Hausarbeit machen, was in vielen Familien leider einfach der Fakt ist. Wenn sie eine unfassbare Erschöpfung der Mütter sehen, sagen sie vielleicht für sich selber, dass sie das nicht machen. Wenn sie sich aber Kinder wünschen, dann ist die logische Schlussfolgerung, zuhause zu bleiben.“

Wie können Salzburgs Jugendliche nun für diese Thematik sensibilisiert werden? Die Antwort von Leonie Koch von der Akzente-Jungendinfo ist wenig überraschend: Medienbildung in Schulen oder in Form von Workshops, um beispielsweise den TikTok-Algorithmus besser zu verstehen. Gleichzeitig brauche es Hilfe von den Eltern, die sich ebenfalls damit auseinandersetzen sollten, was ihre Kinder online konsumieren. Darüber hinaus gebe es Beratungsangebote für Jugendliche, Lehrkräfte oder Eltern. Und: „Selbstständiges Denken und Selbstreflexion muss in jeglichen Lebensbereichen gefördert werden. Das ist, glaube ich, ganz wichtig.“

(Quelle: salzburg24)

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