„Gehörlose Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert.“ Unter dieser provokanten Aussage tagen heute internationale Expertinnen und Experten an der Universität Salzburg und diskutieren über Gebärdensprache. Denn die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist zwar seit 2005 offiziell anerkannt, dennoch stehen die rund 450.000 hörbehinderten, davon 10.000 gehörlosen Menschen, hierzulande weiterhin vor zahlreichen Barrieren – die sogar die Menschenrechte teils unzugänglich machen. So zum Beispiel Artikel 26: Recht auf Bildung.
Viel Nachholbedarf an Schulen
Ab nächstem Schuljahr können Jugendliche an Gymnasien ÖGS als Wahlpflichtgegenstand – ähnlich wie Latein oder Griechisch – belegen. Damit kann in dem Fach künftig auch maturiert werden. „In den Pflichtschulen ist ein Unterricht in ÖGS aber nur bei gemeldetem Bedarf möglich“, berichtet Helene Jarmer, Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes (ÖGLB), im Telefoninterview mit SALZBURG24 am Dienstag. Ja, ein Telefoninterview mit einer Gehörlosen.
Mit einem Gebärdensprachdolmetscher ist sowas möglich. „Viele denken aber, mit einem Dolmetscher an der Seite passt das schon für alle gehörlosen Menschen“, merkt Jarmer an. Das stimme, wenn man nur die Behinderung sehe. Bei der Gebärdensprache gehe es aber um so viel mehr. Immerhin gibt es weltweit über 300 Gebärdensprachen und auch unterschiedliche Dialekte wie Vorarlbergerisch. Wie bei jeder anderen Sprache wünscht sich die ÖGLB-Präsidentin, dass sie gelebt, gefördert und erforscht wird. In Österreich gebe es bis dato keine Grundlagenforschung zur Gebärdensprache. „Das ist aber wichtig, allein für die Unterrichtsgestaltung an Schulen.“
Selbst an Schulen für gehörlose Kinder würden laut Jarmer hörende Lehrkräfte unterrichten, die keine Ausbildung in ÖGS hätten. Mittlerweile werden zwar mehr „Native Speaker“ (Muttersprachler:innen, Anm.) eingesetzt, oftmals würden sie aber als Hilfskraft gesehen und bezahlt. „Da gibt es seit Jahren keine offizielle Regelung, kein offizielles Berufsbild“, schildert die ÖGLB-Präsidentin. Der Wunsch: Eine Schule alle 25 Kilometer, an der in beiden Sprachen – Deutsch und ÖGS – in gemeinsamen Gruppen mit hörenden und gehörlosen Kindern unterrichtet werden. Denn „jede Sprache ist ein Gewinn“.
KI-Hilfen für Gehörlose am Vormarsch
International wird mit Künstlicher Intelligenz an Hilfen für gehörlose Menschen getüftelt. Kürzlich hat die gehörlose Regisseurin und Influencerin Chrissy Marshall auf TikTok eine KI-Brille getestet, die Gesprochenes ohne Verzögerung mit Untertiteln versieht. Freudentränen lassen schließen, dass Marshall von der Technologie schwer begeistert war.
An der Technischen Universität Zypern wurde zuletzt an einer App gearbeitet, in der ein persönlicher Avatar eine Lehrveranstaltung für Studierende automatisch gebärdet, wie das EU-Forschungsservice CORDIS berichtet. Und auch in Wien wurde heuer ein Test gestartet: Ein Avatar gebärdet in den Wiener Linien technische Störungen.
Gebärdensprache als Amtssprache in Österreich?
Von den KI-Tools und den Avataren zeigt sich Jarmer wenig begeistert: „Das wird alles als Idee verkauft, technisch sind wir noch lange nicht so weit. Das ist alles sehr mechanisch, die Mimik wie im persönlichen Austausch fehlt.“ Viel mehr fordert sie eine umfassende Anerkennung der Gebärdensprache. Wie genau das aussieht – ob vielleicht ähnlich dem Sprachminderheitenstatus von Ungarisch, Slowenisch und Burgenlandkroatisch, die als regionale Amtssprachen gelten – soll heute Nachmittag bei der Tagung in Salzburg diskutiert werden.
(Quelle: salzburg24)