Starker Anstieg

Warum gerade so viele junge Menschen suizidale Gedanken plagen

Bei Kindern und Jugendlichen wurde eine Verdreifachung bei suizidalen Gedanken und Handlungen verzeichnet. (SYMBOLBILD)
Veröffentlicht: 11. September 2023 16:21 Uhr
Immer mehr Menschen unter 18 Jahren plagen suizidale Gedanken, zuletzt berichteten Fachleute hier von einer Verdreifachung. Über die dahinter liegenden Gründe und darüber, wie man diesem Problem begegnen kann, haben wir mit dem Salzburger Psychotherapeuten Friedrich Faltner gesprochen.

Mit Zahlen zur Suizidalität bei jungen Menschen ließ vergangene Woche die österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP) aufhorchen: Demnach wurde eine Verdreifachung bei suizidalen Gedanken und Handlungen bei unter 18-Jährigen verzeichnet. Daten aus dem klinischen Bereich würden diese Steigerung seit 2018 belegen.

Rund 1.100 Menschen sterben jährlich in Österreich durch Suizid. Etwa 25 bis 30 davon sind unter 18 Jahre alt, den größten Anteil machen Männer über 65 Jahren aus. Auch wenn diese Zahlen seit einigen Jahren stabil sind, so ist Suizid dennoch die zweithäufigste Todesursache in der Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Pro Mente Salzburg berichtete zuletzt von einer Häufung an vollendeten Suiziden Jugendlicher im Zeitraum Oktober 2022 bis März 2023 in der Stadt Salzburg.

Suizidale Gedanken: Einengung, Rückzug und Isolation

Als eine "Einengung im Leben der Menschen, eine Art von Rückzug und Isolation" beschreibt der Salzburger Psychotherapeut Friedrich Faltner suizidale Gedanken im Gespräch mit SALZBURG24 am Montag. Dabei erfolge ein Fokus auf lediglich dieses eine Thema oder Problem, das die Menschen umtreibt. "Viele andere Dinge werden dann nicht mehr gesehen und Suizid oder ein Suizidversuch erscheinen als einzige Möglichkeit, um aus dieser großen Bedrückung und Anspannung herauszukommen."

Friedrich Faltner SALZBURG24/Archiv
Der Salzburger Psychotherapeut Friedrich Faltner in der Redaktion von SALZBURG24.

Multiple Krisen als Ursache

Als Grund für den starken Anstieg bei suizidalen Gedanken macht Faltner multiple Krisen aus, die uns seit einigen Jahren beschäftigen – angefangen von der Pandemie, über den Ukraine-Krieg und Inflation bis hin zum Klimawandel. Diese Herausforderungen würden nun auf eine Gesellschaft treffen, die zuvor kaum Krisen kannte. "Der größere Teil der Gesellschaft hat in relativem Wohlstand und Sicherheit gelebt. Jetzt kommen nach der Reihe Krisenfaktoren auf uns zu, die uns aus dem Gewohnten herausreißen", beschreibt der Psychotherapeut die aktuelle Situation.

 

Zeiten großer Unsicherheit würden zu mehr Angst führen, bei jungen Menschen spiele hier gerade eine große Verletzbarkeit in einer fragilen Phase ihres Lebens eine Rolle. Als Beispiel nennt Faltner die Klimakrise: "Wenn man als 15-Jähriger noch 70 bis 80 Jahre zu leben hat, dann hat man eine ganz andere Perspektive auf dieses Thema. Die Jugendlichen erleben das wohl als dramatische Einschränkung ihrer Lebenschancen."

Soziale Medien wirken wie Verstärker

Zu den vorhandenen Krisen kommen Inhalte in den Sozialen Medien, die bei jungen Menschen wie ein Verstärker wirken können. "Aus meiner Sicht werden die Themen hier sehr emotional diskutiert und es gibt sehr viel Schwarzweißmalerei. Zudem ist man ständig in einem Wettbewerb um die besten Fotos oder Berichte über den eigenen Urlaub." Gerade Jugendliche, die auf der Suche nach Orientierung sind, würden sich ihre Vorbilder aussuchen und dann mit ihnen vergleichen. Das eigene Leben würde dann allerdings deprimierend wahrgenommen, warnt Faltner. "Es entsteht eine Aufgeregtheit, die den Jugendlichen nicht guttut und der oftmals keine Beruhigung gegenübersteht."

Bewältigungsstrategien fehlen oftmals

Woran es den (jungen) Menschen angesichts der Krisen mitunter fehle, sind laut Faltner Bewältigungsstrategien. Also Mechanismen, wie man mit Krisen emotional umgeht und dabei selbstwirksam wird und die Dinge somit selbst in die Hand nimmt. Faltner spricht sich dabei dafür aus, diese Kompetenzen bereits in der Schule zum Thema zu machen. "Der Leistungsgedanke ist in Österreich noch relativ stark ausgeprägt. 20 Jahre nach der Schulzeit ist es aber egal, ob man einen Fünfer in Englisch hatte. Es ist aber nicht egal, ob man gelernt hat, emotional mit einer Krise umzugehen."

Bei den Hilfsangeboten seien niederschwellige Zugänge etwa über Einrichtungen wie "Rat auf Draht" laut Faltner ein guter erster Schritt. Bei erheblichen Problemen sei dann eine entsprechende Versorgung mit Psychotherapie für Kinder und Jugendliche notwendig. "Die kostet in Salzburg zwar nichts, die Zahl der Therapeut:innen wird aber seitens der Gesundheitskasse durch Kriterien beschränkt", so Faltner und ergänzt, dass man hier in Gesprächen sei, um die Anzahl der Therapeut:innen zu erhöhen. Gerade aber im stationären Bereich gebe es aufgrund von Knappheit oftmals lange Wartezeiten.

Vertrauensvolle Beziehungen für Jugendliche zentral

Die Gesellschaft gesamt müsse jedenfalls mehr hinhören, wenn es um die Probleme und Lebensrealitäten junger Menschen gehe. Gerade im jungen Alter seien vertrauensvolle Beziehungen zentral. "Wenn die nicht vorhanden sind, dann versuchen Jugendliche, diese über soziale Medien oder andere Strukturen aufzubauen. Aber es ist ein Unterschied, ob mir ein lebendiger Mensch gegenübersitzt, oder ob ich auf Instagram meine Postings mache."

Auch wenn nun ein Anstieg bei suizidalen Gedanken bei jungen Menschen verzeichnet wurde, zeigt sich Faltner dennoch zuversichtlich. "Es gibt sehr viele Jugendliche, die kraftvoll und zuversichtlich durchs Leben gehen. Die Probleme sollte man natürlich nicht kleinreden und betroffene junge Menschen unterstützen. Ich habe aber Vertrauen in die Jugend", so Faltner abschließend.

Hilfe bei psychischen Problemen

Bist du in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchst Hilfe? Sprich mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums.

Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. Infos für Jugendliche gibt es unter www.bittelebe.at.

Psychosozialer Dienst des Landes Salzburg

  • Telefonnummer: 0662 8042 3599

Weitere Angebote im Bundesland

(Quelle: salzburg24)

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